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Wien: Im Land der Pratoide
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Jahrzehntelang nur Passierort und Verkehrsinsel, nun ein Platz mit Aufenthaltsqualität: Die Umbauten am Praterstern sind abgeschlossen, dem heterogenen Gebilde wurde neues Leben eingehaucht. Kritik an der Wiener Stadt- und Verkehrsplanung blieb bei der Eröffnung aber nicht aus.

14. September 2022 - Christian Kühn
Ein richtiger Platz zum Verweilen war der Praterstern nie, hier ist immer vieles zusammen- und durchgelaufen: die Achsen der Alleen, die den Prater durchzogen, später die Eisenbahn, die in Hochlage erst um, dann quer über den Platz führte. Seine annähernd halbkreisförmige Grundrissfigur war danach für die Fußgänger kaum mehr wahrnehmbar. Nach dem Zweiten Weltkrieg verwandelte sich der Praterstern endgültig in eine Verkehrsinsel, umspült von dreispurigen Straßen und durch unterirdische Fußgängerpassagen mit dem Festland verbunden. Aus dem Halbkreis wurde eine für die Zeit typische geschmeidige Nierentischform.

Heute passieren 150.000 Menschen pro Tag diesen Ort. Mit der 2007 abgeschlossenen Neugestaltung des Bahnhofs durch Albert Wimmer verbesserte sich die Innenraumqualität des Bahnhofsgebäudes deutlich, der Platz rundherum blieb aber gestalterische Kampfzone. Boris Podrecca, der im Wettbewerb für das Bahnhofsgebäude eine monumentale Gesamtüberdachung des Pratersterns mit einem Membrandach vorgeschlagen hatte, durfte die stadtseitige Kontur des Platzes mit einer fünf Meter hohen Stahlpergola nachzeichnen. Von seiner Überdachungsidee blieb ein Glasdach übrig, das den Haupteingang zum Bahnhof markiert und zugleich die Gleise der Straßenbahnlinien überdeckt, die den Platz kreuzen und hier ihre Haltestellen haben.

Zu den Menschen, die hier aneinander vorbei strömen, zählen Touristen auf der Suche nach dem Riesenrad, aber auch Obdachlose und Suchtkranke, die aus dem Praterstern einen sozialen Brennpunkt machen, den die Stadt durch Alkoholverbote, Sozialarbeit und Polizeipräsenz einzuhegen versucht. Diesem heterogenen Bestand neues Leben einzuhauchen war Gegenstand eines zweistufigen, im Jahr 2019 ausgeschriebenen Bieterverfahrens, das eine Arbeitsgemeinschaft der Architektengruppe KENH mit D&D Landschaftsarchitektur für sich entschied. KENH waren bereits seit 2015 am Praterstern tätig: Sie hatten den Auftrag, die ehemalige Polizeistation, einen kleinen fünfeckigen Pavillon, in ein Café-Restaurant umzuwandeln. Das Projekt hat gedauert: Der Pavillon wurde erst diese Woche als veganes Restaurant PURE in Betrieb genommen. Seine frühere Aufgabe, den Platz gut im Blick zu haben, ist auch jetzt ein Vorteil: Das Restaurant mit seinem kleinen Gastgarten bereichert den gesamten Platz.

Erlebnis „Platz am Platz“

Eine Polizeistation gibt es nach wie vor. Sie wächst wie eine schwarze Wucherung aus dem Bahnhof heraus und entstand ohne Abstimmung mit der restlichen Platzgestaltung. Die Wucherung enthält neben den Räumen für die Polizei einige Abluftschächte der U-Bahn, neue Geschäfte und einen neu organisierten Abgang zu den U-Bahnpassagen. Mit den schwarzen Streckmetallgittern wirkt sie so kommunikativ wie ein geschlossener Vollvisierhelm. Man kann nur hoffen, dass sich die Polizei nicht von diesem Bauwerk repräsentiert fühlt.

KENH suchten für den Praterstern nicht nach dem „großen Wurf“, der dem Platz eine neue Ordnung aufprägt, sondern entwickelten einen Katalog aus einem Dutzend Einzelmaßnahmen, die zusammen ein neues Platzerlebnis bieten. „Platz am Platz“ zu schaffen war eine davon: Die Pergolen und Pflanzgerüste aus Podreccas Projekt wurden entfernt, das Tegetthoff-Denkmal freigespielt. Die Grünflächen bleiben zwar weiterhin Inseln auf der Verkehrsinsel, werden aber in ihrer Dimension verdoppelt, ebenso die Anzahl der Bäume, wobei die Neupflanzungen nach dem Schwammstadt-Prinzip, also mit einer speziellen wasserspeichernden Schichte, erfolgen. Die bisher klare Trennung des Platzes in eine Vorderseite zur Stadt und eine Rückseite zum Prater wird nicht ganz aufgehoben, aber reduziert.

Die Stadtmöblierung nutzt dieselben Geometrien – bezeichnet als Pratoide, weil sie die eiernde Form des Pratersterns aufnehmen –, teilweise als Betonkörper, die eher skulptural und nicht für längeres Sitzen geeignet sind, teilweise als schwebende Betonbänder, von denen viele um bestehende oder neue Bäume herumführen. Bequem werden diese Bänder erst durch aufgesattelte Holzbänke, die leider nicht ganz mit ihrem Unterbau harmonieren. Hier musste auf eine Standardlösung zurückgegriffen werden, die von der Stadt vorgegeben wird. Insgesamt gibt es doppelt so viele Sitzmöbel wir früher, aber in besserer Verteilung, was es sozialen Randgruppen erlauben soll, den Platz konfliktfrei zu nutzen. Die Bespielung wird wie bisher von Sozialarbeitern betreut.

Ungenutzte Chancen?

Um den Platz möglichst niederschwellig als Veranstaltungsort anbieten zu können, wurden vier spezielle Zonen geschaffen, an denen Strom, Wasser und Abwasser installiert sind und die Genehmigung durch Standardverträge vereinfacht ist. Die größte Zone ist zugleich die zentrale Attraktion des Platzes, ein 500 Quadratmeter großes Wasserspiel mit Spritz- und Nebeldüsen. Ein erster Eindruck des Platzes im Betrieb bestätigt das Konzept: Dieser Platz hat Aufenthaltsqualität, für Tagespendler ebenso wie für Touristen und die Wohnbevölkerung. Vergleicht man die Baukosten von rund 7,5 Millionen Euro mit den Hunderten Millionen, die hier im Untergrund verbaut sind, ist der Platz ein Geschenk, auf das die Stadt stolz sein kann.

Getrübt wurde dieser Stolz bei der Pressekonferenz mit den Stadträten Ulli Sima und Jürgen Czernohorszky zur Eröffnung Ende August durch den Auftritt einer Gruppe von Aktivisten, die mit einem Transparent „Greenwashing ist keine Klimapolitik“ den Praterstern in einen erweiterten Kontext rückten. Der Protest richtete sich gegen die „Stadtstraße“ in der Donaustadt, die wie unter einem Brennglas Fehlentwicklungen der Stadt- und Verkehrspolitik der jüngsten Jahre ans Licht bringt, und gegen den Bau einer Sporthalle auf dem Areal der Venediger Au hinter dem Praterstern, eines Parks mit Sportflächen und Spielplätzen.

Die neue Sporthalle ersetzt eine bestehende, die andernorts dem neuen Busbahnhof weichen muss. Dass es für sie keinen bereits versiegelten Standort gegeben hätte, muss man der Stadt glauben. Dass man das Projekt nicht zum Anlass nahm, den ganzen Park neu zu denken und die Chancen auszunutzen, die eine Sporthalle an einem so prominenten Platz bietet, ist bedauerlich. Beispiele für innovative Sportbauten gäbe es genug, etwa in Dänemark. Die Banalität des Wiener Hallenentwurfs war offenbar gewünscht: Auf einen Architekturwettbewerb glaubte man verzichten zu können, weil laut Projekt-Webseite „die baulichen und qualitativen Vorgaben der Ersatzhalle zum Zeitpunkt der Beauftragung bereits klar definiert waren, nämlich eine sportlich gleichwertige Halle unter heutigen ökologischen Gesichtspunkten zu errichten“. Die Direktvergabe eines Entwurfsauftrags mit diesem Argument grenzt an einen Missbrauch des Vergaberechts.

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