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Kunst, wo einst die Obdachlosen schliefen
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In Ljubljana wurde eine denkmalgeschützte ehemalige Zuckerfabrik und Militärbaracke zur Galerija Cukrarna umgebaut. Die Stadt weiß um ihr architektonisches Erbe: Es bestimmt nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft der Stadt.

23. November 2022 - Isabella Marboe
Die Cukrarna in Ljubljana ist ein mächtiger Bau. Jeder kennt sie. Jahrzehntelang eine Ruine mit abgeschlagenen Mauern, leuchtet sie nun frisch verputzt in der Sonne. 85 Meter lang, 25 Meter hoch, thront sie am Südufer der Ljublanica. CU-KR-AR-NA steht auf den Türblättern aus Schwarzstahl, in den hellen Putz sind die Fugen eingeritzt, reduziert und edel. Südseitig ragt ein Mittelrisalit etwa zehn Meter aus dem Gebäude, seine sattelbedachte Stirnseite wendet je sechs Fenster und drei große Torbögen dem südlichen Hinterland zu. Das coole, zweigeschoßige Museumscafé mit Bühne und Bar ist ein angesagter Ort, viele Tische stehen draußen auf dem neu gestalteten Platz mit den Sitzstufen. So bleibt das Museum offen für die Stadt.

2009 gewannen die slowenischen Architekten Scapelab den internationalen, offenen Wettbewerb zur Sanierung der einstigen Zuckerfabrik mit einer radikalen Idee. Sie entkernten den denkmalgeschützten Bestand bis auf die Außenmauern und stellten eine weitgehend autonome Struktur so in den leeren Raum, dass dessen gewaltige Dimensionen spürbar bleiben. Aus einer einsturzgefährdeten Ruine wurde ein Ort für zeitgenössische Kunst aller Sparten: die Galerija Cukrarna. 1828 errichtet, war die Cukrarna eine der ersten und größten Fabriken in Slowenien. 1845 brannte sie bis auf die Außenmauern nieder. Damals floss so viel Zucker in die Ljublanica, dass ihr Wasser tagelang süß schmeckte, das Feuer brannte sich tief ins kollektive Gedächtnis ein. Danach war sie Tabak-, Textilfabrik, Militärbaracke, letzter Zufluchtsort für Gestrandete und Obdachlose. In den 1920er-Jahren lebten auch Dragotin Kette und Josip Murn hier, zwei Dichter der slowenischen Moderne, die einen Bauerndialekt zur Kultursprache transformierten.
Das Ziel: ein leeres Gebäude

Die Cukrarna ist weit mehr als Industriedenkmal, sie ist ein Stück Identität. In den 1960er-Jahren verhängte man ein Betretungsverbot, in den 1980er-Jahren wurde auch das Ufer gesperrt, in den 1990er-Jahren scheiterte ein Investor am Bau eines Einkaufszentrums. Die Stadt kaufte die Curkrarna zurück, sie verfiel weiter. „Die Geschoße waren keine 1,90 Meter hoch, wir probierten viel aus – nichts passte in dieses Gebäude“, erzählen Marko Studen, Jernej Šipoš and Boris Matić von Scapelab. „Da sagte einer von uns: Es sollte leer sein.“

Blieb noch die Frage, wie sich genug Flächen schaffen ließen, ohne die Idee der Leere zu verlieren. Und wofür? Kunst schien ideal, sie passte zu Wesen und Geschichte der Fabrik. „Wir beschlossen, Ausstellungsräume in zwei Volumen aus Stahl in den leeren Raum zu stellen und ein neues Untergeschoß zu errichten, um mehr Raum zu generieren.“

Die Cukrarna liegt an einer Schlüsselposition am Ufer der Ljublanica. Jože Plečnik, der beste Schüler in Otto Wagners Meisterschule, hat sie souverän und kunstvoll mit der urbanen Topografie verwoben. 2021 nahm die Unesco „Die Werke von Jože Plečnik in Ljubljana – am Menschen orientierte Stadtgestaltung“ in die Liste des Welterbes auf. Unweit seines Stauwehrs mit den korinthischen und dorischen Pilastern, das den innerstädtischen Wasserstand reguliert, führt die Roška-Straßenbrücke mit Fußgänger- und Radsteg über den Fluss. Sie war sehr teuer, aber wesentlich für die Weiterentwicklung der Stadt und wurde daher – wie die Cukrarna – von der EU gefördert.

Die Brücke ermöglicht ein autofreies Zentrum, weil sie den Verkehr umlenkt und das östliche Entwicklungsgebiet anbindet. Sie setzt unmittelbar neben der Cukrarna auf, so knapp, dass ihre Untersicht das Trottoir vor deren Stirnseite trocken hält. Hier passieren viele, zu Fuß, per Rad und Skateboard, hier liegt der Eingang. Der Eintritt ins Foyer ist frei, was für ein Raum!

Das Erdgeschoß ist über seine gesamte Breite und 80 Meter Länge hinweg leer, geschoßhoch schwebt über dem frei stehenden Empfangspult eine weiße, gepunktete Decke. Dahinter öffnet sich ein haushoher Raum, perfekt geschalte Wände aus Sichtbeton, perforiert von kleinen Fenstern. In der Mitte schwebt ein abstraktes, aus vertikalen und horizontalen Kuben komponiertes Volumen über dem Raum, das mit einem schmalen, vertikalen Baukörper auf dem polierten Betonboden aufsetzt: das Stiegenhaus mit Lift, ganz in Rot. Es ermöglicht, dass die Galerien in Quer- und Längsrichtung wie schwebend wirken, und reduziert die Spannweiten auf etwa 30 Meter in jede Richtung.

Black Boxes für viel Hängefläche

Der Bau war eine ingenieurtechnische Höchstleistung. Die Außenmauern konnten sich trotz Betoninjektionen nicht mehr selbst tragen, sie mussten von außen mit einem Gerüst gestützt werden. Nachdem alle Zwischenmauern und Decken im Inneren abgebrochen waren, zog man einen Stahlbetonring um die Wände, damit sie nicht zusammenbrachen. Bevor der Keller ausgehoben werden konnte, mussten die alten Außenwände mit Stahlspunden im Erdreich verankert werden. Sobald das neue Fundament trug, konnte man die Innenschale aus Sichtbeton errichten, die mit den alten Mauern verbunden ist. Nun erst waren sie stark genug, die neue Dachkonstruktion aus Stahl zu tragen, von der die Galerien abgehängt sind. Sie berühren den Wandhybrid aus Bestand und Sichtbetonscheibe nur punktuell mit einer Fachwerkkonstruktion aus weißem Stahl. Der Schlitz dazwischen ermöglicht, dass man den Umriss des Raumes zur Gänze wahrnehmen kann.

Die Raumstruktur aus Stahlfachwerken ist mit einer perforierten Aluminiumhaut verkleidet. Sie absorbiert Schall, verdeckt die Elektrik, ist als Aufhängung für Scheinwerfer geeignet, kleidet die Raumstruktur einheitlich in Weiß mit schwarzen Punkten und wirkt wie eine riesige, abstrakte Skulptur. Im Inneren befinden sich klassische Black Boxes, die viel Hängefläche bieten und sich mit Leichtbauwänden beliebig unterteilen lassen. Das neue Volumen besteht aus drei Ebenen: In der ersten und niedrigsten, dem Mezzanin, befindet sich im langen östlichen Bauteil die Bibliothek, in seinem westlichen, fast quadratischen Pendant ein Seminarraum; im Mittelristalit ist der Luftraum der Bar. Die zwei darüberliegenden Ebenen gehören der Kunst. Die unterschiedlich proportionierten neutralen Black Boxes oder White Cubes eignen sich perfekt für Ausstellungen; die Verbindungsspange an der Nordseite bietet 75 Meter Hängefläche, ein Steg führt zu den Büros im Mittelrisalit. Die Regale der Bibliothek im Mezzanin entwarf der Künstler Tobias Putrih, selbst die Toilette im Keller mit dem trogartigen Nirosta-Waschbecken ist höchst ästhetisch.

Ljubljana weiß um sein architektonisches Erbe – es bestimmt nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft der Stadt. Die Galerija Cukrarna ist unbedingt eine Reise wert.

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