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Klimarat: Die radikalen Pläne der Bürger
Spectrum

Der Klimarat empfiehlt, was Experten seit Jahrzehnten fordern – die Raumplanungskompetenz von den Gemeinden auf die Landes- oder Bundesebene zu verlagern. Bisher scheint das in Österreich unmöglich zu sein.

6. August 2022 - Christian Kühn
Der Nachteil der Demokratie, so beklagt es Coriolan im gleichnamigen Shakespeare-Stück, bestehe darin, dass nichts entschieden werden könne ohne Zustimmung der Dummen. Dieser elitäre Dünkel äußert sich heute selten so freimütig. Seine mächtigste Plattform findet er im Populismus, dem die Dummen gar nicht blöd genug sein können, siehe Brexit und Trump. Die repräsentative Demokratie ist für diesen Populismus nur noch Folklore, die in regelmäßigen Wahlkämpfen abgefeiert wird. Wählen war aber nicht immer der Königsweg zu einer demokratischen Legitimation. Der belgische Historiker David van Reybrouck hat 2013 in seinem Buch „Gegen Wahlen“ historische und aktuelle Alternativen beschrieben, die auf dem Zufallsprinzip basieren. Im antiken Athen beruhte die Mitgliedschaft im gesetzgebenden Rat der 500 nicht auf Verdienst und Wahl, sondern auf einem Losverfahren. Bis auf das Heer und die Finanzen galt das auch für die operativen Organe der attischen Demokratie: Jede Bürgerin und jeder Bürger sollte fähig sein, ein öffentliches Amt zu bekleiden.

Die moderne Form dieses Prinzips, die auch David van Reybrouck propagiert, sind Bürgerräte, deren per Zufall ausgewählte Mitglieder einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung abbilden. In Österreich wurden solche Bürgerräte auf Gemeindeebene vor allem in Vorarlberg erfolgreich durchgeführt. Der erste solche Beirat auf nationaler Ebene war das Resultat des Klimavolksbegehrens 2020, das von fast 400.000 Menschen unterstützt wurde und die Einrichtung eines „Klimarats“ forderte. Dessen Zusammensetzung erfolgte nach den Kriterien Alter, Geschlecht, Schulbildung, Einkommen, Wohnsitzregionen, Geburtsland und Urbanisierungsgrad. Die Statistik Austria zog entsprechend eine gewichtete Zufallsstichprobe von mehreren Tausend Personen aus dem zentralen Melderegister, die zur Teilnahme eingeladen wurden. Am Ende blieben 84 Personen übrig, die an sechs Wochenenden begleitet von Expert:innen zu den Themen Energie, Konsum und Produktion, Ernährung und Landnutzung, Wohnen und Mobilität diskutierten und Empfehlungen aussprachen.

Bereit zu Verhaltensänderungen

Das Ergebnis: eine bemerkenswert objektive Auseinandersetzung mit der drohenden Klimakatastrophe und ein Hinweis darauf, dass die „Dummen“ weit weniger dumm sind, als sich manche wünschen. Dass die Treibhausemissionen weltweit um 45 Prozent gegenüber 2010 gesenkt werden müssen, um die Folgen der Erderwärmung kontrollierbar zu halten, ist die unwidersprochene Ausgangsposition des Klimarats. In den ersten vier Treffen ging es um das gemeinsame Problemverständnis, den „common ground“, auf dem zuletzt Empfehlungen formuliert und noch einmal kritisch hinterfragt wurden. Diese lassen den Schluss zu, dass die Bevölkerung sehr wohl zu Verhaltensänderungen bereit wäre, wenn der Staat dafür entsprechende Rahmenbedingungen schafft. Von der Politik wird dabei mehr fraktionsübergreifende Zusammenarbeit und Sachlichkeit gefordert.

Viele der Empfehlungen haben mit Architektur und Raumplanung zu tun. Das ist nicht weiter überraschend, bedenkt man, dass die Bau- und Gebäudewirtschaft 38 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes ausmacht und der Verkehr 22 Prozent. Überraschend ist aber sehr wohl, dass dem Klimarat eine Empfehlung so wichtig war, dass sie fast gleichlautend in drei Handlungsfeldern auftaucht: die Verlagerung der Verantwortung für die Raumplanung von der Gemeinde- auf die Landes- bzw. Bundesebene. Dort, und nicht bei den Ländern, sollte die Verantwortung für die Gesetzgebung in Raumplanungsfragen liegen, während der Vollzug eine Ebene über den Gemeinden anzusiedeln wäre. Das sind keine neuen Forderungen. Experten erheben sie seit Jahrzehnten, und seit Jahrzehnten werden sie gebetsmühlenartig abgewürgt. Der Gemeinderat als höchste Instanz in Raumplanungsfragen, das ist heilige österreichische Tradition und aktuelle Rechtslage. Die Folgen sind weitreichend: Die regionale Abstimmung von sozialer Infrastruktur wird erschwert, ebenso die effiziente Organisation des öffentlichen Verkehrs. Wenn Wettbewerb statt Kooperation zwischen den Gemeinden herrscht, breiten sich Gewerbeparks und Fachmarktzentren aus. Baulandwidmungen auf Gemeindeebene sind ein eigenes Kapitel. Zu den berüchtigten 16 Fußballfeldern, die täglich dem Landschaftsraum entzogen werden, zählen auch sie. Nicht jeder Bürgermeister hat das Rückgrat und die Berater, hier Grenzen zu setzen.

Kulturelle und planerische Fragen

Die Probleme sind bekannt, und es gibt Hilfskonstruktionen, ihre negativen Effekte zu reduzieren. Dass aber die klarste und in anderen Ländern selbstverständliche Lösung, den Großteil der Raumplanungsagenden auf regionale oder nationale Ebene zu heben, in Österreich unmöglich scheint, ist ein Skandal für sich. Dabei geht es auch um kulturelle, nicht nur um planerische Fragen, wie das Beispiel der Gemeinde Laßnitzhöhe zeigt, einer Umlandgemeinde von Graz, die langsam mit neuer Wohnbebauung zuwächst. Der Flächenwidmungsplan sieht ein großzügiges Angebot an Grundstücken mit einer Bebauungsdichte von „0.2 bis 0.8“ vor. Diese Spannweite bietet dem Eigentümer das Recht auf maximale Ausnutzung.

Für Laßnitzhöhe ist das insofern von Belang, als sich die Gemeinde zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Luftkurort etabliert hat, mit Villen und Sanatorien, und sie ist sich dieses Werts bewusst: Ein „Villenwanderweg“ führt Besucher zu den wichtigsten Objekten. Dass der Gemeinde aber die Instrumente fehlen, an das baukulturelle Erbe anzuschließen, zeigt sich an aktuellen Neubauprojekten. An der Adresse Greimelweg soll ein Wohnbau entstehen, der architektonisch mehr als fragwürdig den Hang hinuntertanzt. Zwar noch ohne publiziertes Projekt, aber durch seine Nachbarschaft zu einer historischen Villa wesentlich brisanter ist ein Projekt, das bei maximaler Ausnutzung des Grundstücks bis zu 2200 Quadratmeter Nutzfläche erzielen könnte. Die denkmalgeschützte Villa Luginsland (1905) stammt vom Architekten Adalbert Pasdirek-Coreno und wurde von der Kunsthistorikerin Antje Senarclens de Grancy kürzlich in einer im Onlinemagazin „Gat.st“ publizierten Analyse auf eine Stufe mit Werken von Adolf Loos und Josef Hoffmann gestellt.

Wie knapp werden die neuen Nachbarn an die Villa heranrücken? Wird der Neubau in einen Dialog mit dem Bestand treten? Sollte eine Gemeinde, die ein so außergewöhnliches Erbe verwaltet, nicht auf einen Gestaltungsbeirat zurückgreifen können, der sie kompetent unterstützt? Es wäre kein Schaden für die Gemeinde, fielen Fragen in die Verantwortung des Landes oder teilweise – wie es beim Denkmalschutz der Fall ist – des Bundes.

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