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Die Herren L.O.M.O.
Der Standard

Im Gegensatz zu Schwestern haben Brüderpaare in der Architektur eine lange Tradition. Es gibt eine Menge von ihnen. Zum Beispiel Laurids und Manfred Ortner. Der eine in Wien, der andere in Berlin.

11. Februar 2023 - Wojciech Czaja
In der Seestadt Aspern gibt es einen Wohnbau namens Die drei Schwestern , die einzelnen Häuser heißen Anna, Bella und Clara. In der Architekturgeschichte wiederum werden historische Pionierinnen aus der Zeit der ersten hochschulausgebildeten Architektinnen und Ziviltechnikerinnen gerne als „Margarete Schütte-Lihotzkys Schwestern“ bezeichnet. Auffällig ist auch, dass Schwestern immer wieder als Auftraggeberinnen auftreten – es gibt Doppelhäuser für Schwestern in Wien (querkraft), Innsbruck (Paolo Pizzignacco), Zürich (raumfindung), Brixen (bergmeisterwolf), Kirchheim (Alexander Brenner), Bochum (Eigenentwurf) und in der spanischen Provinz Murcia (Blancafort Reus Arquitectura).

Abgesehen davon jedoch sind weibliche Geschwisterschaften in der Architekturzunft ein eher seltenes Phänomen. Was man von männlichen Geschwisterpaaren definitiv nicht behaupten kann. In den 1920er-Jahren zählten die Stuttgarter Brüder Heinz und Bodo Rasch zu den wichtigsten Vertretern der Moderne, in der Schweiz planten die Gebrüder Pfister eine Vielzahl öffentlicher Bauten, in Preußen hingegen arbeiteten Bruno und Max Taut eher aneinander vorbei als miteinander, und auch heute noch nehmen Brüder gerne zu zweit das Geodreieck in die Hand. Die Liste allein im deutschsprachigen Raum ist lang: Pedevilla Architekten, Marte.Marte, Najjar & Najjar, Chalabi & Chalabi, Brückner und Brückner, Innerhofer oder Innerhofer – oder etwa die beiden Architektenbrüder Laurids und Manfred Ortner, die inzwischen ein Riesenbüro mit 80 Mitarbeitern betreiben, der eine in Wien sitzend, der andere in Berlin.

Von O&O stammen viele zentrale, stadtprägende Bauwerke wie etwa das Wiener Museumsquartier, der Bürocluster Wien-Mitte, das Landesarchiv NRW in Duisburg, das Berliner Shoppingcenter Alexa, das Theater- und Kulturzentrum Schiffbau in Zürich, die Sächsische Landes-Staats- und Universitätsbibliothek in Dresden (übrigens eine der zehn größten der Welt) sowie weitere Wohn-, Büro- und Hotelbauten in ganz Deutschland.

Geboren und aufgewachsen sind die beiden in Linz, Laurids Jahrgang 1941, Manfred Jahrgang 1943. Schon in der Schulzeit zeichneten und malten beide gerne, spielten meist mit ihren Zinnsoldaten, denen sie mit Farbe Kleidung auf den Leib pinselten. Dazu wurden Flaggen entworfen, Schiffe gebaut und Häuser zusammengezimmert. Das brüderliche Spiel empfanden die beiden damals als eine Art kreative Rivalität: Man durfte sich voneinander Inspiration holen und es anders und besser machen, durfte den anderen mit seinen eigenen Waffen schlagen, nur eines war damals schon verpönt im Hause Klein Ortner: nachahmen und kopieren.

Texte, Bilder, Zeichnungen

Und so trennten sich die Wege nach der Matura: Während Manfred an der Wiener Akademie der bildenden Künste aufgenommen wurde, wo er Malerei und Kunsterziehung studierte, musste für Laurids eigens der Familienrat einberufen werden: Der arme Bub, grad noch durch die Schule gekommen, was soll nur aus ihm werden? Architektur an der TU Wien, so der Konsens, schien noch die beste aller Optionen.

In ihrer Studienzeit hatten L. O. und M. O. phasenweise nur wenige Berührungspunkte, holten sich beim anderen aber immer wieder Rat – und Inspiration. Und so entstanden einige Texte, Bilder, Zeichnungen und fiktive Raumentwürfe, die damals schon mit „L.O.M.O.“ signiert wurden. Laurids gründete mit seinen Kollegen Günter Zamp Kelp und Klaus Pinter die viel beachtete Architektur- und Kunstgruppe Haus-Rucker-Co, die international so erfolgreich war, dass Anfang der 1970er-Jahre gleich zwei Studios eröffnet wurden: eines in New York von Zamp Kelp und Pinter, das andere in Düsseldorf von Laurids – und Bruder Manfred, der 1971 in die Gruppe einstieg. Haus-Rucker-Co mischte in der Kunstszene der 70er und 80er kräftig mit. Die „Architekten-Künstlergemeinschaft“, so die Eigendefinition, war zum Beispiel bis zur endgültigen Auflösung 1992 dreimal auf der Documenta in Kassel vertreten.

Im Jahr 1987 beschlossen die Brüder, ein eigenständiges Architekturbüro zu gründen: Ortner & Ortner. Der Rest ist Architekturgeschichte und O&O in der Zwischenzeit ein Imperium mit Niederlassungen in Wien, Köln und Berlin. In ihren Büros: Bücher, Bücher, Bücher und tausende Materialmuster aus Holz, Glas, Beton, Metall und Keramik auf den Tischen. Wir haben L. O. und M. O. getrennt voneinander gefragt:

Architektenbrüder also, wie ist das so?

Was uns heute auszeichnet, nach nunmehr acht Jahrzehnten, das ist ein fast sprachloses Verständnis. Es ist alles schon tausendmal gesagt worden, wir kommunizieren mittlerweile nonverbal, und wir verstehen uns von Grund auf. Über all die kleineren Querelen, die es natürlich gibt, hinweg haben wir eine Art symbiotische Beziehung. Ich weiß nicht, ob ich das zwischen uns als Liebe oder Freundschaft bezeichnen würde, keine Ahnung. Auf jeden Fall aber ist es eine tiefe Verbundenheit, die sich sehr gut anfühlt. Die Rivalität der Kindheit hat sich in eine Differenzierung transformiert: Manfred ist der bessere Zeichner von uns beiden, und er ist auch derjenige, der einen organischeren Zugang im Denken und in der körperlichen Bewegung hat. Ich wiederum bin der Texter, der Stratege, der thematisch besser Aufgestellte. Ob er mir fehlt, wenn wir uns nicht sehen? Ich glaube nicht, es braucht eine gesunde Distanz, nur nicht aufeinanderpicken! Aber wenn wir uns sehen … ein Traum! Niemand bringt mich so zum Lachen wie er!

Was immer schon unser Trumpf war, in all der langen Zeit, ist das gegenseitige Vertrauen. Wir haben schon alle Phasen durchgemacht, von Konkurrenz und Rivalität über ein jahrelanges Nebeneinander bis hin zu einer gegenseitigen Stärkung und Inspiration. Heute hat unsere Beziehung einen so reichen Bodensatz, dass wir manchmal schon zig Schachzüge des anderen vorausdenken können. Und obwohl wir eh schon wissen, was der andere sagen wird, ist uns seine Meinung immer noch wichtig. Wir sind Sparringspartner füreinander. Manchmal fliegen die Fetzen, Laurids ist der schärfste Kritiker, den man sich vorstellen kann, er bringt immer eine zusätzliche Perspektive rein, er denkt und formuliert mit Worten wie ein Schwert. Dafür bin ich derjenige, der den Laden zusammenhält und sich kommunikativ einbringt, ich bin einer, der Dinge erledigt. Es funktioniert gut an zwei Orten, er in Wien, ich hier in Berlin. Wenn wir uns nicht sehen, vermisse ich ihn. Wenn wir uns dann sehen … was wir lachen können!

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