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Bis zur allerletzten Schraube!
Bis zur allerletzten Schraube!
Bis zur allerletzten Schraube!, Foto: Wolfgang Tschapeller
Spectrum

Murau könnte sich glücklich schätzen: über zwei Bauten außerordentlicher Qualität –wenn die beiden einander nicht in die Quere kämen. Über einen nicht alltäglichen Konflikt oder: Wie untergräbt man eine Brücke?

31. Juli 1999 - Christian Kühn
Die Aufregung ist groß: Ein Bauwerk, bis zur letzten Schraube aus seiner Situation und seinen Verkehrsbeziehungen heraus entwickelt, in Architekturzeitschriften gelobt als ebenso poetischer wie konstruktiv innovativer Beitrag zum Brückenbau, ist in seiner Substanz bedroht durch einen rücksichtslosen Eingriff, der drei Jahre lang im geheimen vorbereitet wurde. Abhilfe schaffen kann nur eine breit abgestützte Protestaktion, ein Appell an das Kulturbewußtsein der Verantwortlichen und er Bürger, die ihre Gemeinde doch als Touristenort profiliert sehen wollen. Gefordert wir ein sofortiger Baustopp und die Suche nach einer besseren Lösung.

Es geht um den Mursteg im steiermärkischen Murau, eine Fußgänger- und Radfahrerbrücke, die vom Murauer Bahnhof über den Fluß zur Stadt hinüberführt. Die Schweizer Architekten Marcel Meili und Markus Peter haben die Brücke zusammen mit dem Tragwerksplaner Jürg Conzett geplant. Nach einem Wettbewerb im Jahr 1993 konnte sie 1995 ihrer Bestimmung übergeben werden.

Die Geburtswehen für das Projekt waren beachtlich: Murau veranstaltete damals die Ausstellung „Holzzeit “,und die Brücke, die unter anderem als eine Art Demonstrationsobjekt für konstruktiven Ingenieurbau in Holz gedacht war, entsprach nicht so ganz dem, was man sich gemeinhin darunter vorstellte. Sie ist keine Skelettkonstruktion, sondern ein massives Objekt, zusammengesetzt aus zwei vertikalen scheibenartigen Hohlkästen, die aus Dreischichtplatten aufgebaut sind, und einem massiven Ober- und Untergurt aus Brettschichtholz.

„Die weitgehende Unterdrückung er holztypischen tektonischen Gliederung “, schreiben die Planer,„schafft die Voraussetzung für eine gelassene und elementare Beziehung zwischen dem Material, der Brückenform und der Umgebung. “Es bedurfte einiger Überredungskunst, auch von seiten des Landes, um die Veranstalter der „Holzzeit“ Ausstellung, die eher an eine Fachwerkskonstruktion mit flotten High-Tech-Details gedacht hatten, vom Projekt zu überzeugen.

Weil ihre Lösung das Budget bei weitem sprengte, verzichteten die Planer auf ihr Honorar und trieben noch eine Reihe von Sponsoren auf, unter anderem Hermann Kaufmann, dessen Holzbaufirma in Reuthe in Vorarlberg die Brücke errichtete. Die industriell gefertigten Träger wurden als Fertigteile aus Vorarlberg an die Mur gebracht – auch das nicht ganz im Sinne der Organisatoren, die grüne Steiermark als Ort er Holzverarbeitung zu bewerben.

Das Ergebnis ist jedenfalls außerordentlich.„Die Brücke versammelt die Erde als Landschaft um den Strom “:Dieser Satz aus Martin Heideggers „Bauen, Wohnen, Denken “ließe sich mit dem Mursteg ebenso trefflich illustrieren wie jener, daß die Brücke in ihrem Geviert Himmel und Erde versammelt und das Strömen unter sich für einen Moment anhält. Das hölzerne Zimmer mit den großen, liegenen Öffnungen, das Meili und Conzett über dem Fluß entstehen ließen, erzeugt genau einen solchen Punkt der Ruhe. Für Heidegger ist die Brücke eine Metapher für die Kraft des Menschen, einen Ort zu schaffen, der zuvor noch gar nicht existiert hat: „Von der Brücke selbst her entsteht erst der Ort.“

Die ursprüngliche Welt, die hier vorausgesetzt wir ,gibt es natürlich so gut wie nirgends mehr. Auch in Murau besetzt der Steg eine Kulturlandschaft, in der viele frühere Maßnahmen in Schichten und Brüchen an- und übereinander liegen und zu einer Neuinterpretation einladen. Der Mursteg verbindet nicht nur zwei Ufer, sondern zwei Stadtteile: den Bahnhof auf er einen Seite und die zuerst locker bebaute und rasch sich verdichtende Altstadt auf er anderen Seite. Da der Bahnhof ein gutes Stück über der Stadt liegt und die Böschungen mehrere Stufen aufweisen, verbindet die Brücke unterschiedliche Niveaus. Auf der Stadtseite spannt sich vom Brückenkopf weg eine Verlängerung des Stegs zur Hauptstraße, während eine quer zur Brücke gesetzte Treppe hinunter zum Ufer der Mur führt.

Auf der Bahnhofsseite endet das Haupttragwerk der Brücke im Hang: Radfahrer können den Höhensprung zum Bahnhof auf einer seitlich wegführenden Straße überwinden, während Fußgänger über eine an der anderen Seite in einem geschlossenen Kasten angesetzte Treppe nach oben kommen und von dort auf direktem Weg zum Bahnhof gelangen.

Dieser Punkt, an dem die seitliche Treppe wie ein leichtes Tentakel auf dem Bahnhofsvorplatz auflagert, ist der Gegenstand der derzeitigen Aufregung. Im Mai 1996 wurde ein Wettbewerb für eine Bezirkshauptmannschaft vor dem Bahnhof ausgeschrieben, den das Wiener Team Wolfgang Tschapeller und Friedrich Schöffauer für sich entscheiden konnte. Der Standort wurde in einer Vorstudie gerade wegen des Murstegs und der damit gegebenen direkten Verbindung zum Stadtkern als ideal erkannt. Das Einsatzmodell, das für den Wettbewerb gebaut wurde, zeigt deutlich die Gesamtsituation mit Flußraum, Steg und Bahnhof. Im Juryprotokoll ist nachzulesen, daß für die Juroren unter dem Vorsitz von Irmfried Windbichler der gelungene „Anschluß an den bestehenden Fußgängerübergang “eines der fünf maßgeblichen Kriterien war, dessen Nichterfüllung bei einigen Projekten auch explizit kritisiert wird.

Das Projekt von Tschapeller und Schöffauer wir von der Jury als „außerordentliche Lösung “gelobt, die von „einer intensiven Analyse der Potentiale des Bauens in dieser Landschaft ausgeht “.Durch eine schräg in die Böschung geschnittene Abgrabung gelingt es, den Verwaltungsbau teilweise ins Erdreich zu legen und die Baumassen vor dem Bahnhof klein zu halten. Die Treppe des Murstegs wir in ihrem oberen, flachen Teil von zwei niedrigen Baukörpern flankiert, während ein dritter, höherer Baukörper so gesetzt ist, daß der Weg vom Mursteg Richtung Bahnhof frei bleibt, vom vorkragenden Dach dieses Baukörpers dort geschützt, wo der Eingang in die Bezirkshauptmannschaft liegt.

Tschapeller und Schöffauer, die schon einmal mit dem Trigon-Museum ein Projekt bis zur Detailplanung gebracht haben, um es dann durch politische Ränkespiele verhindert zu sehen, haben um den Bau in Murau drei Jahre gekämpft. Zuerst mußte nachgewiesen werden, daß die Kosten nicht über dem Üblichen liegen würden, dann sollte das Projekt – um besser zum Murauer Image zu passen – aus Holz errichtet werden. Die Architekten konnten nachweisen, daß die Herstellungskosten im Rahmen bleiben würden, und legten zusätzlich ein Energiekonzept vor, das die besondere Bauweise nutzt, um die Betriebskosten niedrig zu halten. Als alle Hürden nach langwieriger Überzeugungsarbeit überwunden waren, konnten schließlich vor sechs Wochen in der Landesregierung die endgültigen Beschlüsse für den Bau gefaßt und die Aufträge an die Firmen vergeben werden.

Nun setzt sich Wolfgang Tschapeller mit Jürg Conzett in Verbindung, um ihn bezüglich der notwendigen Unterbauung des letzten Brückenausläufers und eventueller seitlicher Durchgangsöffnungen zu befragen. Conzett, der zum ersten Mal vom Bau der Bezirkshauptmannschaft hört, bittet um Unterlagen. Ein weiteres, bereits gespanntes Gespräch zwischen Meili und Tschapeller folgt. Tschapeller bietet an, nach Zürich zu kommen.

Meili und Conzett sind an einem persönlichen Gespräch nicht interessiert und beginnen ihre Kampagne gegen das Projekt. Kollegen in ganz Europa erhalten Faxe mit dem eingangs erwähnten Anliegen: Baustopp und Verhinderung des Projekts von Tschapeller und Schöffauer. Das Fax enthält drei Pläne im Format A4,auf deren Grundlage immerhin 60 Kollegen glauben, das Projekt negativ beurteilen zu können. Ein Fax nach dem anderen langt bei Tschapeller und beim Murauer Bürgermeister ein.

Daß Meili und Conzett in die Bearbeitung des neuen Auflagers ihrer Brücke eingebunden werden sollten, steht außer Zweifel. Es ist wahrscheinlich, daß sie dabei in Kooperation mit Tschapeller und Schöffauer zu einer Lösung kommen werden, die auf die neue Situation mit Gewinn reagiert. Ihr Anspruch, das ganze Umfeld der Brücke bestimmen zu dürfen und ein korrekt abgelaufenes Verfahren außer Kraft zu setzen, ist dagegen vermessen und unverständlich. Tschapellers Projekt verändert den Ort, indem es ihn auf seine Art interpretiert, so wie jede qualitätvolle, nicht angepaßte Architektur.

Am Ende wird der alltägliche Benutzer in Murau mit zwei Lesarten eines Orts konfrontiert sein. Im Zeitalter der durchgängigen Simulation sollte das niemanden wirklich irritieren. Außer vielleicht jene Architekten, die noch an das Absolute glauben.

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