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Die Purkersdorfer proben den Aufstand
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Parks, Denkmale und Kulturgüter haben keine Lobby – außer einer engagierten Zivilgesellschaft. Die geplante Bebauung eines Grundstücks im Sichtfeld des berühmten Sanatoriums von Josef Hoffmann in Purkersdorf schlägt hohe Wellen – ein Fallbeispiel.

10. März 2023 - Isabella Marboe
So viel ist sicher, es bleibt erhalten“, sagt Stefan Steinbichler, Bürgermeister von Purkersdorf. In seiner Gemeinde steht das ehemalige Sanatorium „Westend“ von Josef Hoffmann, ein epochales Stück Weltarchitektur an der Schwelle vom Jugendstil zur Moderne. 1996 inszenierte Paulus Manker dort sein faszinierendes Polydrama „Alma – A Show Biz ans Ende“ zum ersten Mal, sechs Jahre lang folgte das Publikum dem Spielverlauf über die mehrläufige Prachtstiege mit Oberlicht durch Zimmerfluchten, Bäder in den mondänen Speisesaal. Alle waren überwältigt.

Seit der Kundmachung einer beabsichtigten Widmungsänderung des Grundstücks 170/14 in der Wiener Straße 68 im Dezember 2022 gehen die Wogen hoch. Die Parzelle grenzt direkt an den Park des Hoffmann-Sanatoriums – bzw. das, was davon übrig ist. Im Westen wird er von Wohnbauten begrenzt, im Norden von der neuen Seniorenresidenz, die über den denkmalgeschützten, verglasten Wandelgang mit Hoffmanns Bau verbunden ist. Decken- und Stiegenkonstruktion nutzen die modernste Technologie ihrer Zeit, ebenso wesentlich war der Park als integrativer Teil des Gesamtkunstwerks.

„Das Hoffmann-Sanatorium verdient aufgrund seiner hohen künstlerischen Qualität und seiner architektur- und kulturhistorischen Bedeutsamkeit erhalten zu werden“, schrieb Eduard F. Sekler, Hoffmann-Biograf und architekturhistorische Eminenz der Harvard University. „Nicht nur im Interesse Österreichs, sondern als Teil des kulturellen Erbes der Menschheit.“ Erstaunlich spät – 1992 – wurde es unter Denkmalschutz gestellt.

1904/05 war das Sanatorium auf einem riesigen Grundstück des jüdischen Industriellen Victor Zuckerkandl als luxuriöse Kuranstalt für Heilbäder und physikalische Therapie errichtet worden. Hoffmann hatte es als Gesamtkunstwerk mit Möbeln und Interieur entworfen, auch der Park gehörte dazu. Alma Mahler, Arthur Schnitzler, Arnold Schönberg, Hugo von Hofmannsthal zählten zu den illustren Gästen, dann kamen Weltwirtschaftskrise, Nationalsozialismus, Enteignung und Ermordung der Besitzerfamilie, Kriegsversehrte und die Russen. Das Rückstellungsverfahren an die einzigen zwei Überlebenden, Fritz Zuckerkandl und Hermine Müller-Hofmann, endete 1952 in einem Vergleich.
Rückführung auf geplante Kubatur

1953 kaufte der Evangelische Verein für Innere Mission das Sanatorium und betrieb es bis 1984 als Krankenhaus und Pflegeheim. Dann stand es leer und verfiel langsam, aber sicher. Im selben Jahr widmete man den Grund von Grünland – Krankenanstalt in Bauland – Sondergebiet, Altersheim, Krankenanstalt um. Damit wurde aus dem Hoffmannpark ein gefährdeter Park. 1991 erwarb der Baumeister und Immobilienmakler Walter Klaus das Areal, man verpflichtete ihn zur Sanierung; Architekt Sepp Müller renovierte das Sanatorium vorbildlich und führte es originalgetreu auf die von Hoffmann geplante Kubatur zurück. Dafür bekam Klaus die Baugenehmigung für eine Seniorenresidenz für betreutes Wohnen samt Hotel und frei finanzierten Eigentumswohnungen. Das Büro Hlawenicka & Partner erstellte den Bebauungsplan, teilte das Grundstück in mehrere Parzellen, die Widmung wurde entsprechend angepasst.

Das Grundstück 170/14 ist 5017 m2groß, 60 Meter lang, etwa 30 Meter tief, derzeit Freifläche, achtlos gestaltet. Parkplatz, Wiese, ein paar alte Bäume – aber unbebaut; dem Parkplatz ist der ungehinderte Blick aufs Sanatorium zu verdanken. Die momentane Widmung ist Sondergebiet – Pflegeheim Seniorenbetreuung. Es gilt Bauklasse III, also acht bis elf Meter Höhe. Altortgebiet, Zentrumszone. Ziel des Bauwerbers, der Auris Immo Solutions GmbH, die das Hoffmann-Sanatorium im Portfolio führt, ist der Bau eines Generationenwohnhauses mit zwei Kindergruppen im Erdgeschoß, darauf drei Geschoße plus zurückgestuftes Dachgeschoß, macht rund 41 Wohnungen (47 bis 76 m²). Dieses Projekt bedarf der Umwidmung von Bauland – Sondergebiet, Pflegeheim, Seniorenbetreuung in Bauland-Kerngebiet – Generationenhaus. Die Höhe bleibt gleich, die mögliche Kubatur verändert sich; die generierbare Nutzfläche vermehrt sich um marginale 57,8 m², rechnet Steinbichler vor. Der Wert pro Quadratmeter aber steigt nicht unbeträchtlich.

Zu viel Geld für eine Wiese

Architekt Fritz Waclawek sammelte Unterlagen, Bescheide, Unterschutzstellungen, Widmungsänderungen, machte mobil und verfasste einen Einspruch gegen die Umwidmung. Auch die Zentralvereinigung der Architekt:innen Österreichs, die Initiative für Denkmalschutz und viele andere taten das. 138 bis 160 Einsprüche trudelten ein, die Quellen divergieren; über 60 Menschen kamen zur Bürgerversammlung im Hotel Friedl. „Bei einer Infoveranstaltung ohne Freibier habe ich das noch nie erlebt“, sagt Bina Aicher, Obfrau der Bürgerliste „Pro Purkersdorf“. Frust und Ärger sind groß, man hat die Umwidmungen satt und den Typus „Generationenwohnen“, der keinerlei Rechtsverbindlichkeit hat. Die Website von „ProPurkersdorf“ ist voller Beispiele: meist Lochfassaden mit Vollwärmeschutz und Eigentumswohnungen, einige davon für Senioren, der Rest normal verkauft. Das bringt Rendite: deutlich mehr als ein Pflegeheim, besonders mit Blick auf Weltarchitektur. Mit dieser Parzelle wäre eine der letzten Grünflächen im Ortsgebiet für immer verbaut. 2018 sammelte „ProPurkersdorf“ über 650 Unterschriften für einen Initiativantrag und erwirkte 2019 einen Baustopp im gesamten Ort, der um ein Jahr verlängert wurde.

Steinbichler ist sehr stolz auf seine Idee mit dem Generationenhaus. „Ich möchte das Optimum für die Purkersdorfer:innen herausholen. Wir brauchen leistbaren Wohnraum und Kindergartenplätze.“ Natürlich sei er traurig, dass man das Sanatorium dann nicht mehr sähe, ein Grundtausch aber sei unmöglich – es gäbe es keine vergleichbar große Baufläche mehr, einzig den Sportplatz mit 8200 m². Bliebe der Rückkauf. Wie immer man dessen Wert berechnet: zu viel öffentliches Geld für eine Wiese. Die Gemeinderatssitzung, bei der die Umwidmung behandelt werden sollte, wurde um drei Monate auf Juni verschoben: um Bedenkzeit zu gewinnen und Skeptiker umzustimmen. Petra Eichlinger vom Ortsbildschutz Niederösterreich war auch schon da. „Bauland ist Bauland“, sagt sie. „Das Einzige, was man tun könnte: die Baufluchtlinie so zu verändern, dass mehr von der Sichtbeziehung bleibt.“

Der Fall ist symptomatisch. Parks, Denkmale und Kulturgüter haben keine Lobby, ihr Erhalt kostet Geld, ihr Verlust bringt fast immer Gewinn und Rendite, für Gemeinden, Bauträger, Investoren. Kulturgut schwindet still und heimlich. Doch das Bewusstsein einer hoch engagierten Zivilgesellschaft dafür wächst.

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