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Der Sonnenweiher in Grafenwörth ist auch ästhetisch fragwürdig
Spectrum

Die Stadt Hohenems zeigt, wie man eine Altstadt wiederbelebt und dabei den Bodenverbrauch minimiert. Gegenbeispiel: der umstrittene Sonnenweiher in Grafenwörth. Entsteht hier eine Parallelgesellschaft von Menschen, die aus den Städten flüchten und das Landleben scheuen?

26. Oktober 2023 - Isabella Marboe
Kürzlich wurden wieder die Bauherrenpreise der Zentralvereinigung der Architekt:innen vergeben. Einer ging an den Umbau des Kärnten Museums in Klagenfurt, geplant von Winkler+Ruck Architekten und Ferdinand Certov. „Ein Gesamtkunstwerk aus historischer und zeitgenössischer Architektur“, resümiert die Jury. Ein Preis wurde für die Wohnbebauung Marburger Höfe in Graz vergeben, die anstelle der abgesiedelten Legero Schuhfabrik nach Plänen von Balloon Architekten entstanden. Ein weiterer Preis ging an Projektentwickler Markus Schadenbauer und die Gemeinde Hohenems für die Wiederbelebung der dortigen Altstadt.

Drei Preise also, die Vorhandenes nutzen und ergänzen. Die Altstadt von Hohenems ist ein Musterbeispiel für nachhaltige Zentrumsentwicklung. Eine hohe Verkehrsbelastung beförderte über viele Jahre Leerstand und Niedergang. Wird anderswo oft befürchtet, dass Verkehrsberuhigung und Denkmalschutz der wirtschaftlichen Entwicklung schaden, erwies sich in Hohenems das Gegenteil als richtig. Die Verkehrsentlastung durch eine Umfahrungsstraße und die Unterschutzstellung der Häuser in der Marktstraße im Jahr 2010 trugen maßgeblich zu einer Neuerfindung der 17.000-Einwohner-Stadt bei. Treibende Kraft ist Markus Schadenbauer: Ihm gelang es, im Zusammenspiel von privatwirtschaftlichem Engagement und der Stadtgemeinde unter frühzeitiger Einbindung der Bevölkerung ein Gesamtkonzept für die Marktstraße und die Harrachgasse zu entwickeln und eine Reihe von Investoren ins Boot zu holen. Zahlreiche Gebäude wurden denkmalgerecht saniert und die Altstadtstruktur mit behutsam eingefügten Neubauten nachverdichtet. Keine Filialen großer Handelsketten, sondern eigentümergeführte Ladenlokale beleben die Erdgeschoße. Geöffnete Innenhöfe und Durchgänge schaffen neue Verbindungen für Fußgänger.

Stärkung der Ortskerne

Das neue Stadtgefühl ist alles andere als oberflächlich. In zehn Jahren wurden über 40 neue Betriebe angesiedelt und gut 130 Arbeitsplätze geschaffen. Aus den einst vom motorisierten Verkehr in Beschlag genommenen Straßen und Plätzen wurden verkehrsberuhigte öffentliche Räume von hoher Aufenthaltsqualität. Anwohner, Gäste, Wirtschaftstreibende, die historische Bausubstanz und das Klima – alle profitieren. Die Stärkung der Orts- und Stadtkerne ist heute eine der größten Herausforderungen: Fußläufige tägliche Wege, attraktive öffentliche Räume und Orte der Begegnung dienen nicht nur der Bequemlichkeit und dem sozialen Miteinander, richtig gemacht sind sie auch essenzielle Beiträge im Kampf gegen Klimawandel und Bodenverbrauch.

Medial viel präsenter als diese drei Vorzeigebeispiele ist seit dem Sommer das noch nicht fertige Siedlungsprojekt Sonnenweiher in Grafenwörth (NÖ). Selbst die Landeshauptfrau konnte angesichts fragwürdiger Grundstücksgeschäfte des Bürgermeisters nicht anders, als eine „schiefe Optik“ zu konstatieren. Eine noch viel schiefere Optik hat die Tatsache, dass nach wie vor kaum nachzuvollziehen ist, auf welcher fachlichen Basis diese Siedlungsentwicklung auf welchen Ebenen durchgewinkt wurde. Greenpeace hat Ende Juli beim Land Niederösterreich gemäß Umweltinformationsgesetz die Herausgabe aller Gutachten in der Causa Sonnenweiher beantragt.

In der Zwischenzeit sind diese eingelangt und werden geprüft. Für das Siedlungsprojekt gab es sogar einen geladenen Architekturwettbewerb, dessen Inhalte allerdings nicht öffentlich sind. Gewonnen hat ihn 2019 das Büro Pichler & Traupmann Architekten. Mit der Planung beauftragt wurde hingegen das Büro Holzbauer und Partner. „Der See ist zentrales Element der Anlage, zugleich Rückzugsort, Erholungs- und Kommunikationszone“, heißt es auf der Website von Holzbauer & Partner Architekten über den Sonnenweiher, der mit seiner Schlangenform, dank der die Zahl der Seegrundstücke maximiert wird, an den Canal Grande erinnert. Lässt es sich in Wasser schwimmend besser mit dem Nachbarn kommunizieren als auf dem Dorfplatz? Ist das die Zukunft des Wohnens auf dem Land? Oder entstehen hier Parallelgesellschaften von Städtern, die sich die Mühen des Landlebens nicht antun wollen? Hauptsache, ein Haus mit eigenem Seezugang? Sozusagen Seevillenarchitektur für Nichtmilliardäre?

Ökologischer als Haus mit Pool?

Die vis-à-vis gelegene Friedhofsmauer ist einladender als die Straßenfront der Reihenhäuser. Das Vorfeld bildet ein Gehsteig- und Parkplatzstreifen, zu dem sich die Reihenhäuser abschotten. Nur ein mit einer fetten dunkelgrauen Fasche umrandetes Fenster blickt pro Haus traurig aus der See-Idylle hinaus. Braune Geräteboxen bilden weitere Puffer zur Außenwelt. Im Norden, entlang der Lärmschutzwand, soll der „Campus Lakeside“ der Senecura, eine Kombination aus Fachhoch- und Krankenpflegeschule, Studierendenheim, Ambulatorium und Hotel, entstehen. Teil des ursprünglichen Wettbewerbs war das offenbar nicht; mehrere Architektenbüros lieferten Studien. Ob der vor zweieinhalb Jahren vorgestellte Entwurf von Querkraft umgesetzt wird, konnte vor Redaktionsschluss nicht eruiert werden.

Klickt man sich durch die einschlägigen Immobilienportale und Internetseiten der Developer, wird klar, dass Siedlungen an Schotterteichen und künstlichen Folienseen boomen. Mangels boulevardtauglicher Skandale hält sich die Aufregung darüber in Gren­zen. Mag sein, dass die Seeressorts eine ­ökologischere Alternative zum Einfamilienhaus-Wildwuchs mit je einem Swimmingpool pro Parzelle sind. Den Handel und andere Funktionen zurück in die Ortskerne bringen, den motorisierten Verkehr reduzieren, für die Menschen mehr Platz schaffen, um sich zu Fuß oder per Rad fortzubewegen und sich auf kühlen begrünten Plätzen zu treffen, und die Zentren wieder als lebenswerten Wohnort attraktiveren: Das ist nicht rasch und einfach umzusetzen. Zahlreiche Räder müssen ineinandergreifen, Allianzen der Willigen geschlossen und Konfliktpotenziale entschärft werden. Das geht nicht im Alleingang Einzelner und nicht von heute auf morgen. Stimmen die Rahmenbedingungen und werden die Entwicklungsprozesse gut organisiert, passt auch das Ergebnis. Wenn es aber nur darum geht, wie man am besten Ackerboden zu Gold macht und die darauf entstandenen Retortendörfer optimal vermarktet, wird nichts gelingen, was dem Gemeinwohl dient.

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