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Konzertsaal in Karlsbad
deutsche bauzeitung

Gestern imperiales Kurbad mit schlammigen Moorbädern, geplant von den Wiener Theaterarchitekten Fellner & Helmer, heute radikale Musiktribüne in kräftigem Signalrot, hineinimplantiert vom tschechischen Architekten Petr Hájek. Zu Besuch in den Císařské Lázně in Karlsbad.

8. Januar 2024 - Wojciech Czaja
Kateřina Kněžíková betritt die Bühne, champagnerfarbenes Abendkleid mit glitzernden Steinchen, ein knallrotes Reflektieren am ganzen Körper. Und setzt zu den ersten Versen an: »Una donna a quindici anni, dèe saper ogni gran moda, dove il diavolo ha la coda, cosa è bene e mal cos’è.« Schon ein Mädchen von fünfzehn Jahren, singt die Sopranistin, müsse die große Kunst verstehen, wo der Teufel hat den Schwanz, was gut sei und was schlecht. Ihre Arie aus Mozarts »Così fan tutte«, so tun es angeblich alle, füllt den ganzen Raum, der Schall pflanzt sich fort bis hoch in die allerletzte Reihe. »Dèe in un momento, dar retta a cento, colle pupille, parlar con mille.« In einem Moment, zu Hunderten wechselt sie die Blicke, zu Tausenden die Worte.

Gar so viele Männer und Frauen passen in den neuen Konzertsaal nicht hinein, aber immerhin an die 300, verteilt auf insgesamt 13 Reihen, voll bestückt mit superbequemen, teufelsrot bespannten Klappsitzen, die sich bei Bedarf mitsamt Tribüne mit wenigen Handgriffen umklappen und nach hinten schieben lassen und den Saal stattdessen mit einer ebenen Kongressfläche beschenken. In welchem Zustand auch immer, das kräftige Signalrot, RAL 3001, füllt den Innenhof des ehemaligen Kaiserbads, Císařské Lázně, errichtet 1895 von den Wiener Theaterarchitekten Fellner & Helmer, und verleiht der längst stillgelegten Badeanstalt im südlichsten Talschlusszipfel von Karlsbad auf diese Weise ein immerhin theatralisches Leben nach dem Tod.

Ein Haus wird wachgeküsst

»Ich bin selbst in Karlsbad geboren und aufgewachsen und habe den Charme dieser Stadt immer schon geliebt«, sagt der Prager Architekt Petr Hájek. »Doch ich kann mich erinnern: Schon in meiner Kindheit war das Kaiserbad leer und verwaist, der Kurbetrieb bereits eingestellt. Nach vielen Jahrzehnten gab es nun die einmalige Chance, das Haus wachzuküssen und einer neuen Funktion zuzuführen.« Die Pläne zum Einbau einer Konzertbühne reichen schon viele Jahre zurück, 2018 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, doch das Projekt steckte nach zwei Jahren fest, weil die ausschweifenden Wünsche der Auftraggeber mit den baulichen, technischen Möglichkeiten und den Anforderungen der Denkmalbehörde nicht in Einklang zu bringen waren. Die Planungen wurden gestoppt.

»Daraufhin wurde ich 2020 kontaktiert und gebeten, als eine Art Troubleshooter einzuspringen und einen alternativen Entwurf auszuarbeiten«, erzählt Hájek, der schon einmal zum Architect of the Year gekürt wurde, mit einem irgendwie beelzebübischen, genussvollen Grinsen im Gesicht. Sein Erfolgsrezept: »Nicht alles ins Gebäude hineinquetschen, was man sich im Idealfall erträumt, denn damit kann man nur scheitern, sondern stattdessen auf die räumlichen Gegebenheiten reagieren und die Bauaufgabe auf das reduzieren, was der Raum und die schwierigen Parameter erlauben. Gerade in so einer fragilen, einzigartigen Situation muss man sehr sensibel vorgehen.«

Bühne und Tribüne wurden daraufhin verkleinert und als eine Art selbsttragendes Stahlmöbel in den Hof hineingestellt, die technischen und materiellen Schnittstellen wurden damit auf ein Minimum reduziert, auf Kulissen und unmittelbar angrenzende Backstage-Räumlichkeiten wurde gänzlich verzichtet, und sogar die Haustechnik konnte im Gespräch mit den Bauherren auf eine kompakte Lowtech-Sparvariante abgespeckt werden. Vor und nach dem Konzert sowie in den Pausen wird die Lüftung auf 100 Prozent hochgefahren, während der Vorstellungen hingegen fährt die Anlage auf viertel oder halbe Kraft herab, bei Tonaufzeichnungen wird sie komplett auf Standby gestellt. Aufgrund der enormen Raumhöhe von rund 20 m ist genug Frischluft für alle vorhanden. Hájek: »Ungewöhnliche Aufgaben erfordern ungewöhnliche Lösungen.«

18:53 Uhr. In wenigen Minuten beginnt das Konzert. Gleich wird Kateřina Kněžíková die Tschechischen Philharmoniker mit ihrer Sopranstimme begleiten, gefolgt von Haydn und Beethovens 5. Sinfonie in c-Moll. Während die Gäste den Saal betreten und ihre Sitzreihen auf den ebenfalls knallrot lackierten Stufen erklimmen, stehen unter der Tribüne einstweilen die Musikerinnen und Musiker, stimmen ihre Instrumente mangels Backstage-Bereich vor den Augen (und Ohren) des einströmenden Publikums ein, räuspern sich, zupfen an den Saiten, speicheln ihre hölzernen Mundstücke ein. Eine Kakophonie auf Tuchfühlung, frei von jeglichen Barrieren, mal abgesehen vom Talent der darstellenden Kunst, so simpel und basisdemokratisch hat sich die räumliche Begebung in klassischer E-Musik noch nie angefühlt.

19:00 Uhr. Wo eben noch die Besucherinnen und Besucher nach oben spaziert sind, marschieren nun die Orchestermitglieder der Tschechische Philharmonie die Treppen hoch, gewappnet mit Violinen und Bratschen, mit Klarinetten, Querflöten und ausladend gerollten Hörnern. Applaus. Wenige Momente später betritt Dirigent Tomáš Netopil die Bühne. Und schon bei den ersten Zwischenabtritten, die mangels Backstage-Bereich in diesem Gebäude lediglich angedeutet werden können, wird man als Zuschauer – wenn neben dem Stiegenabgang bald ein schwarz gekleideter Herr auftauchen wird, mit einem weißen Handtuch, keck über den Unterarm geworfen, um dem Dirigenten die Möglichkeit zu bieten, sich den Schweiß von der Stirn zu wischen – unweigerlich schmunzeln müssen. Ungewöhnliche Aufgaben, hat der Architekt gesagt, erfordern ungewöhnliche Lösungen, jawohl.

Mit 4.592 Schrauben verbunden

Die Exotik liegt dem Bauwerk schon seit seiner Fertigstellung anno 1895 bis ins kleinste Detail inne. Denn ursprünglich wurde das Kaiserbad für gesundheitlich wohltuende Moorbäder genutzt. Um den Angestellten die Arbeit im wahrsten Sinne des Wortes zu erleichtern und das schwere Schleppen des Schlamms zu vermeiden, diente der Innenhof als reiner Service-Hof, mit einem Stahlkran in der Mitte, der die mit Moor gefüllten Wannen durch Fensteröffnungen direkt in die Badezellen hineinschob, um sie nach dem Baden der Gäste wieder zu entnehmen und im UG des Hofs mit frischem Torf und Wasser aufs Neue zu befüllen.

»Damals clever, heute clever«, sagt Petr Hájek ganz lapidar. Um die Bauarbeiten zu vereinfachen, wurde das ehemalige verglaste Stahldach entfernt. Durch die so entstandene Öffnung konnten die geschweißten, vorgefertigten Stahlelemente, 746 Stück an der Zahl, per Kran in den Innenhof gehievt werden.

Um die Konstruktion eines Tages auch wieder zerlegen zu können, musste die Montage der einzelnen Komponenten – eine Anforderung der Denkmalbehörde – ausschließlich mittels Schraubverbindungen erfolgen. 4 592 Schrauben halten das 16 m hohe Theater-Implantat, das die denkmalgeschützten Hofmauern an keiner einzigen Stelle berühren durfte, zusammen. Erst nach Fertigstellung des roten Teufelswerks wurde das Dach wieder geschlossen – mit einem stählernen Tragwerk samt Trapezblech und Dämmung, in den Zwischenräumen des Fachwerks werden die verhältnismäßig spärlich dimensionierten Lüftungsleitungen geführt.

Aus akustischen Gründen wurde die gesamte Stahlkonstruktion mit ebenfalls signalrot lackiertem Streckmetall verkleidet. Im Überkopfbereich über dem Orchester kamen CNC-gefräste Sperrholzplatten zum Einsatz. Als Vorlage für die unregelmäßig verspielte Oberfläche mit ihrem reizvollen Licht- und Schattenspiel diente die topografische 3D-Landschaft rund um Karlsbad, irgendwie charmant. Die 300 gepolsterten Klappsitze – ein Entwurf Jean Nouvels für die Philharmonie in Paris, den Petr Hájek als Lizenz für dieses Projekt in Absprache mit dem Atelier Nouvel übernommen hat – tun ihr Übriges.

Für klassische Sinfonien, Violinkonzerte und Mozart-Arien eignet sich der Klang ohrenscheinlich ganz wunderbar, für Kammermusik und andere, atmosphärisch etwas dumpfere Musik wird man noch weitere Maßnahmen ergreifen müssen. Geplant sei, so Hájek, die hufeisenförmige Ummauerung des Innenhofs mitsamt ehemaligen Badezimmerfenstern mit einem schwarzen, raumhohen Vorgang auszustatten, den man bei Bedarf ganz oder zumindest teilweise wird schließen können. Dann wird sich der Saal mit seiner mobilen Kinoleinwand, die man hinter dem Orchester hervorzaubern kann, nicht zuletzt auch als Location für das Karlovy Vary International Film Festival noch besser eignen. Die Nachrüstung wird dem Projekt guttun.

Beethovens Fünfte ist gleich zu Ende. Die Violinen sägen sich eifrig in die letzten Schlussakkorde ein. Die Theaterbühne in Fellners & Helmers Kaiserbad, so viel ist nach knapp zwei Stunden Moll-Kunstgenuss sicher, ist ein radikaler, ungewöhnlicher, aber durch und durch schlüssiger und geglückter Bau, der dem Publikum angenehmen und mitunter begeisterten Gesprächsstoff, Klangfarbe Dur, liefert. Applaus.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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