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Ein Jodler in die Welt hinaus
Der Standard

Heute, Samstag, wird in Bad Ischl die Europäische Kulturhauptstadt 2024 eröffnet. Das Salzkammergut leidet an Overtourism, Abwanderung, Leerständen, strukturellen Schwächen und immer noch kaiserlichen Klischees. Doch wie ist es um die Zukunft der einstigen Salzkammer bestellt? Das Potenzial ist enorm.

20. Januar 2024 - Wojciech Czaja
In den letzten Tagen hat das Wetter wunderbare Arbeit geleistet. „Schön zugezuckert hast du’s“, sagen die einen, „perfektes Timing“, die anderen. „Ohne Schnee wär’s zwar auch gut gewesen, aber so ist’s noch viel, viel besser.“ Global Home heißt die hausgroße Skulptur des oberösterreichischen Künstlers Herbert Egger, sechs mal vier Meter im Grundriss, zusammengenagelt aus rund tausend Leisten, aus sägerauem, unbehandeltem Fichtenholz, 5000 Laufmeter in Summe.

„Es ist ein Haus für die Natur“, sagt Egger, eingepackt in Daunenjacke und Wollmütze wie alle hier an diesem sonnigen Sonntagvormittag, zwei Grad unter null. „Denn während der Mensch in dieses globale Gebäude keinen Zutritt hat, bietet es in den Zwischenräumen zugleich ein Zuhause für Fauna und Flora. Für Samen, die angeweht werden, für Insekten aller Art, für Vögel, die hier ihre Nistplätze einrichten werden.“

An diesem versteckten Platzerl in St. Konrad, unten am Kotbach, umgeben von einem Wäldchen, wo sich kaum ein Tourist hinverirrt, entfaltet das temporäre Kunstwerk einen gewissen surrealen Zauber. Das Publikum ist begeistert. Und sogar der Grundstückseigentümer, alles andere als ein Kunstkenner, wie er selbst meint, habe das Land gerne zur Verfügung gestellt, denn schließlich, sagt er, ganz ehrlich, was solle man da unten sonst machen?

„Ordentlich Reibung“

Doch das sehen nicht alle so. Am Stammtisch oben im Ort, erzählen die Leute bei der Vernissage, Kunstschaffende und Kulturinteressierte aus dem Salzkammergut, die einen mit Prosecco-Glas, die anderen mit Bierflasche in der Hand, da höre man auch ganz andere Dinge. Wozu das Ganze! Was für eine Verschwendung von Steuergeldern! Und überhaupt, am besten, man fackelt die Hütte so schnell wie möglich ab!

„Zeitgenössische Kunst in einer alten, traditionellen Region“, sagt Elisabeth Schweeger, künstlerische Geschäftsführerin der Europäischen Kulturhauptstadt 2024 in Bad Ischl und im Salzkammergut, „ja, das sorgt schon für ordentlich Reibung. Das Salzkammergut ist zwar eine der kulturell und wirtschaftlich wohlhabendsten Regionen der Alpen, ohne jeden Zweifel, aber es ist auch eine Region, die Gefahr läuft, sich auf den Traditionen auszuruhen und steckenzubleiben. Das zeigt sich an Dirndl und Lederhose, das zeigt sich am 18. August, wenn in Bad Ischl immer noch des Kaisers Geburtstag abgefeiert wird, das zeigt sich aber auch an der lokalen Chalet-Architektur, von der nur wenige wissen, dass sie eigentlich eine Importware aus der Schweiz ist.“

Genau diese Klischees zu überdenken und ein anderes, modernes, zukunftsfähiges Salzkammergut herauszukitzeln ist die Aufgabe der Europäischen Kulturhauptstadt 2024, die – 40 Jahre nach Gründung des Formats auf Initiative der damaligen griechischen Kulturministerin Melina Mercouri und des französischen Kulturministers Jack Lang – nun erstmals in einer ländlichen Alpenregion ausgetragen wird. Am Samstag, den 20. Jänner, wird das Kulturhauptstadtjahr feierlich eröffnet. „Ein Jodler in die Welt hinaus“, so lautet der Programmschwerpunkt des heutigen Tages.

Pausetaste und Inspiration

Während das Format in Kulturhauptstädten wie etwa Helsinki (2000), Graz (2003), Linz (2009), Riga (2014) und Timişoara (2023) eher künstlerische und stadtkulturelle Dienste leistet und im besten Falle als atmosphärisches Beschleunigungsmittel für große Architekturprojekte verstanden werden kann, übernimmt das Hauptstadtjahr in den 23 teilnehmenden Gemeinden des Salzkammerguts eine weitaus wichtigere Funktion: Es dient als Pausetaste, Selbstreflexion und Inspirationsquelle, wie mit den bestehenden Problemen der Region in Zukunft umgegangen werden kann – ob dies nun Overtourism, Abwanderung junger Generationen oder Umgang mit Leerständen und Identitätslöchern ist.

In einem fiktiven, bislang nicht realisierten Projekt pinselt Idil Sentürk, Studentin an der TU Wien, in weißen Lettern auf die Hallstätter Dachlandschaft: „there are people living under these roofs, don’t you believe?“, und Daniel Jordan, ebenfalls Teilnehmer der Denkwerkstatt 2024, lässt das pittoreske Städtchen, das in Guangdong, China, ohnehin schon in einer spiegelverkehrten Kopie existiert, unter dem Titel Recht auf Hallstatt gleich hinter einem blickdichten Vorgang verschwinden.

Erst vor wenigen Tagen, am Mittwoch, haben Simone Barlian, Sabine Pollak, die raumarbeiterinnen sowie Studierende der Kunstuniversität Linz unter dem Titel Plateau Blo ein Saunafloß in den Traunsee gelassen. In der in Gmunden vor Anker gegangenen Schwitzhütte, so der Plan, will man in der kalten Jahreszeit Bürgermeistergespräche zu relevanten Themen veranstalten.

„Nackt sind alle Menschen gleich, die Sauna ist so gesehen ein sehr demokratischer Ort“, sagt Künstlerin Barlian. „Wir nutzen diesen Ort sozialer Wärme daher, um mit den politisch und immobilienwirtschaftlich Verantwortlichen über einen fairen, demokratischen Umgang mit Stadt, Land und See zu diskutieren.“ Hitzige Gespräche sind vorprogrammiert. So etwa auch im Herbst, wenn von 19. bis 22. September nach einem Konzept von Sabine Kienzer und Marie-Thérèse Harnoncourt in Hallstatt das dreitägige Baukultur-Symposium Interventa 2024 über die Bühne gehen wird.

Innovative Rezepte

Das Salzkammergut zählt zu den demografisch ältesten Regionen Österreichs. In einigen Gemeinden beträgt das Durchschnittsalter 48,4 Jahre (Österreich gesamt 43,2 Jahre). Allein in Bad Ischl hat sich der Anteil der über 60-Jährigen laut Statistik Austria in den letzten 20 Jahren von knapp 25 Prozent auf ein Drittel dramatisch erhöht. Umso schöner, dass nun die Jungen kommen. So wie beispielsweise Christoph Held, 39 Jahre alt, besser bekannt als Krauli, Fernsehkoch mit Dreadlocks, Küchenchef am Siriuskogl in Bad Ischl. Ab sofort behaust er das seit Jahren leerstehende Bahnhofsbeisl am ÖBB-Bahnhof Bad Ischl und verwöhnt seine Gäste im sogenannten Wirtshauslabor mit regionaler Küche und innovativen Rezepten.

Zu verdanken ist die Bewerbung Bad Ischls und seiner umliegenden Region, by the way, ebenfalls den ganz Jungen. Bereits 2014 startete Elisabeth Leitner, Kulturberaterin und Obfrau des Vereins Landluft, damals Assistentin an der TU Wien, einen Denkprozess mit rund hundert Studierenden aus ganz Österreich. Eines Tages wurden diese in Bad Ischl vorstellig und schafften es, gemeinsam mit der Gemeinde ein Konzept für die Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt auszuarbeiten. Der Rest ist Geschichte.

Die wichtigste Frage, die es 2024 zu beantworten gilt: „Wie schaffen wir es, die Region zu verjüngen, die Strukturen zu optimieren und die Baukultur weiterzuentwickeln“, so Geschäftsführerin Elisabeth Schweeger, „und zwar ohne Verrat an der Tradition?“ Zwölf Monate Zeit.

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Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

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