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Wenn die Welt am seidenen Faden hängt

Am Freitag wurde die 19. Architektur-Biennale in Venedig eröffnet. Konstruktive Beiträge halten sich in Grenzen. Die meisten suchen Zuflucht im Gestern oder im dystopischen Übermorgen, dass es leider nur so wehtut.
10. Mai 2025 - Wojciech Czaja
Sie erinnern an Wolken, an Spinnennetze, an Omamas Esstischüberwurf. 140 maschinell und zum Teil sogar händisch, mit mütterlicher Hilfe gestrickte Stoffteile, 400 Quadratmeter in Summe, hängen in Bäuchen und Parabeln von der Decke, man muss unweigerlich hingreifen, hineinkneifen, das luftig Leichte mit sanften Griffen durchkneten – bis man plötzlich ein leises Summern und Rattern vernimmt. An den beiden Längsseiten des Pavillons sind 140 Holzspindeln montiert, diese wiederum sind an die auf dem Dach installierte PV-Anlage angeschlossen. Wenn die Sonne scheint, drehen sich die Spindeln und wickeln die weißen, beigen, cremefarbenen Fäden Millimeter für Millimeter auf.
„Am Ende der Biennale“, sagt Architektin Jelena Mitrović, die das Projekt gemeinsam mit Stevan Martinović und Slobodan Jović kuratiert hat, „wird sich die Installation komplett in Luft aufgelöst haben. Dann wird das alles hier Geschichte sein.“ Ob sie das traurig macht, perdu die ganze Schaffenskraft? „Nein, ganz im Gegenteil. Wir bauen und kreieren eh schon viel zu viel, die Welt ist voll davon, unser ökologischer Fußabdruck eine einzige Katastrophe. Jetzt geht es darum, Räume und Gedankenräume wieder zu dekonstruieren und zu demontieren. Wo etwas verschwindet, gibt es Platz für neue Perspektiven. Das müssen wir wohl erst noch lernen.“
Unraveling: New Spaces, so der Titel des serbischen Pavillons am Ende der Giardini, ist wahrscheinlich einer der schönsten, einer der stärksten Beiträge auf der diesjährigen 19. Architektur-Biennale, die gestern, Freitag, offiziell eröffnet wurde. Und er bringt – mit nichts als Stoff – auf den Punkt, wie sehr sich die Disziplin Architektur heuer negiert, verneint, in ihrem gesamten Wesen zutiefst infrage stellt. Und wie schwer sie sich mit dem Generalmotto des diesjährigen Generalkurators Carlo Ratti tut. Denn „Intelligens. Natural. Artificial. Collective“ ist ein ziemlich großes Ding, das in Bausch und Bogen so ziemlich alles einschließt und so ziemlich nichts auslässt.
„Es geht um die Zukunft“, sagt Ratti, der die Biennale wissenschaftlicher haben wollte denn je, im Gespräch mit dem ΔTANDARD, „und darum, wie wir mithilfe von natürlicher, künstlicher und kollektiver Intelligenz zu einer guten, nachhaltigen Lösung beitragen können. Architektur ist eben nicht nur das Erschaffen von Umwelten, sondern auch das Gegenteil davon, das Innehalten, Nachdenken und Umlernen bisheriger Traditionen.“ Ob das wirklich gelingen kann? „Wenn, dann hier auf dieser Biennale, die ich als eine Art vielzelligen Superorganismus begreife. Gemeinsam können wir viel in Bewegung setzen.“
Steinzeitliche Ästhetik
Na ja. Dafür sind die einzelnen Beiträge – ob das nun die Länderpavillons in den Giardini oder die Forschungsprojekte im Arsenale sind – zu polarisierend unterwegs. Die einen marschieren schnurstracks in die Vergangenheit zurück und präsentieren in steinzeitlicher Ästhetik neu interpretierte Archen aus Holz, Lehm und Schilf. Darunter etwa auch Peru, die Ukraine, Marokko, Australien, Saudi-Arabien oder – besonders perfide – Großbritannien, das sich unter dem Titel GBR: Geology of Britannic Repair seine ehemalige Kolonie Kenia wieder einverleibt und den Pavillon in einen Vorhang aus tausenden Kuhdung-Kugeln hüllt. Die Idee der kolonialen Reparatur geht nicht wirklich auf.
Die anderen wiederum flüchten sich ins Übermorgen und setzen alles auf Robotik, künstliche Intelligenz, Nuklearreaktoren „Designed by Pininfarina“ (sic) und die offenbar unaufhaltsame 3D-Bedruckung der Welt, ob das nun mit Lehm, Bioplastik oder Cyanobakterien ist. Bei all dieser naturwissenschaftlichen Komplexität, mit der man in Carlo Rattis vollgestopfter Ausstellung im Arsenale konfrontiert wird, ist es umso erstaunlicher, was man szenografisch und typografisch alles falsch machen kann. Die Texte sind so lang, so dicht, so klein, so kontrastlos und so tief über dem Boden hängend, dass es sich empfiehlt, Lesebrille, Taschenlampe und Knieschoner mitzubringen.
Urbane Überhitzung
Stark thematisiert wird heuer auch die Klimakrise in Verbindung mit urbaner Überhitzung. Bahrain stellt unter dem Titel Heatwave eine Installation vor, die im Stadtraum und auf Baustellen mithilfe von geothermischen Bohrungen und abgehängten Gitterrosten einen gekühlten, wenn auch etwas dystopischen Schattenraum schafft. Deutschland greift mit seinem Stresstest wie immer in die Pathoskiste und inszeniert – durchaus schweißtreibend überzeugend – eine überhitzte Urban-Heat-Hölle sowie ein mit Bäumen gekühltes Stadtparadies. Und das Büro Transsolar simuliert im Arsenale mit Wasserbecken und der Abluft von dutzenden Klimaanlagen die venezianische Sommertemperatur – 42 Grad Celsius – anno 2100. Blöd nur, dass aufgrund der enormen Luftfeuchtigkeit schon am ersten Tag der Biennale der Putz von den denkmalgeschützten Säulen abgeblättert und ins Wasser geplumpst ist.
Noch beängstigender sind die Beiträge von Polen und Lettland. Polen baut unter dem Titel Lares and Penates. On Building a Sense of Security in Architecture ein zynisches Emergency-Labor mit häuslichen Schutzmaßnahmen wie etwa Rauchmeldern, Herrgottswinkeln und als Marienstatue getarnten Feuerlöschern auf – vor dem Hintergrund, dass ab 1. Jänner 2026 alle Neubauten in Polen aufgrund der globalpolitischen Situation mit Luftschutzräumen ausgestattet werden müssen.
Neue Aufgaben meistern
Und Lettland analysiert in Landscape of Defence seine 450 Kilometer lange Nato-Außengrenze zu Russland und Belarus. Oder, wie Kuratorin Liene Jākobsone dies ausdrückt: „Die Welt ist nun mal leider, wie sie ist, aber auch politische und militärische Grenzen können gebaut und gestaltet werden, anstatt sie nur mit Stacheldraht, Panzerkreuzen und Wachtürmen zu verstellen und tausenden Menschen, die hier wohnen, das Leben kaputtzumachen.“
In einer Welt, die auf der Kippe steht, muss Architektur lernen, neue Aufgaben zu meistern. Vielleicht nicht nur mit 3D-Druckern, designten Atomreaktoren und ach so intelligenten Robotern, wie Carlo Ratti meint, sondern auch mit Demut, Hoffnung und Empathie.
Bis 23. November 2025
„Am Ende der Biennale“, sagt Architektin Jelena Mitrović, die das Projekt gemeinsam mit Stevan Martinović und Slobodan Jović kuratiert hat, „wird sich die Installation komplett in Luft aufgelöst haben. Dann wird das alles hier Geschichte sein.“ Ob sie das traurig macht, perdu die ganze Schaffenskraft? „Nein, ganz im Gegenteil. Wir bauen und kreieren eh schon viel zu viel, die Welt ist voll davon, unser ökologischer Fußabdruck eine einzige Katastrophe. Jetzt geht es darum, Räume und Gedankenräume wieder zu dekonstruieren und zu demontieren. Wo etwas verschwindet, gibt es Platz für neue Perspektiven. Das müssen wir wohl erst noch lernen.“
Unraveling: New Spaces, so der Titel des serbischen Pavillons am Ende der Giardini, ist wahrscheinlich einer der schönsten, einer der stärksten Beiträge auf der diesjährigen 19. Architektur-Biennale, die gestern, Freitag, offiziell eröffnet wurde. Und er bringt – mit nichts als Stoff – auf den Punkt, wie sehr sich die Disziplin Architektur heuer negiert, verneint, in ihrem gesamten Wesen zutiefst infrage stellt. Und wie schwer sie sich mit dem Generalmotto des diesjährigen Generalkurators Carlo Ratti tut. Denn „Intelligens. Natural. Artificial. Collective“ ist ein ziemlich großes Ding, das in Bausch und Bogen so ziemlich alles einschließt und so ziemlich nichts auslässt.
„Es geht um die Zukunft“, sagt Ratti, der die Biennale wissenschaftlicher haben wollte denn je, im Gespräch mit dem ΔTANDARD, „und darum, wie wir mithilfe von natürlicher, künstlicher und kollektiver Intelligenz zu einer guten, nachhaltigen Lösung beitragen können. Architektur ist eben nicht nur das Erschaffen von Umwelten, sondern auch das Gegenteil davon, das Innehalten, Nachdenken und Umlernen bisheriger Traditionen.“ Ob das wirklich gelingen kann? „Wenn, dann hier auf dieser Biennale, die ich als eine Art vielzelligen Superorganismus begreife. Gemeinsam können wir viel in Bewegung setzen.“
Steinzeitliche Ästhetik
Na ja. Dafür sind die einzelnen Beiträge – ob das nun die Länderpavillons in den Giardini oder die Forschungsprojekte im Arsenale sind – zu polarisierend unterwegs. Die einen marschieren schnurstracks in die Vergangenheit zurück und präsentieren in steinzeitlicher Ästhetik neu interpretierte Archen aus Holz, Lehm und Schilf. Darunter etwa auch Peru, die Ukraine, Marokko, Australien, Saudi-Arabien oder – besonders perfide – Großbritannien, das sich unter dem Titel GBR: Geology of Britannic Repair seine ehemalige Kolonie Kenia wieder einverleibt und den Pavillon in einen Vorhang aus tausenden Kuhdung-Kugeln hüllt. Die Idee der kolonialen Reparatur geht nicht wirklich auf.
Die anderen wiederum flüchten sich ins Übermorgen und setzen alles auf Robotik, künstliche Intelligenz, Nuklearreaktoren „Designed by Pininfarina“ (sic) und die offenbar unaufhaltsame 3D-Bedruckung der Welt, ob das nun mit Lehm, Bioplastik oder Cyanobakterien ist. Bei all dieser naturwissenschaftlichen Komplexität, mit der man in Carlo Rattis vollgestopfter Ausstellung im Arsenale konfrontiert wird, ist es umso erstaunlicher, was man szenografisch und typografisch alles falsch machen kann. Die Texte sind so lang, so dicht, so klein, so kontrastlos und so tief über dem Boden hängend, dass es sich empfiehlt, Lesebrille, Taschenlampe und Knieschoner mitzubringen.
Urbane Überhitzung
Stark thematisiert wird heuer auch die Klimakrise in Verbindung mit urbaner Überhitzung. Bahrain stellt unter dem Titel Heatwave eine Installation vor, die im Stadtraum und auf Baustellen mithilfe von geothermischen Bohrungen und abgehängten Gitterrosten einen gekühlten, wenn auch etwas dystopischen Schattenraum schafft. Deutschland greift mit seinem Stresstest wie immer in die Pathoskiste und inszeniert – durchaus schweißtreibend überzeugend – eine überhitzte Urban-Heat-Hölle sowie ein mit Bäumen gekühltes Stadtparadies. Und das Büro Transsolar simuliert im Arsenale mit Wasserbecken und der Abluft von dutzenden Klimaanlagen die venezianische Sommertemperatur – 42 Grad Celsius – anno 2100. Blöd nur, dass aufgrund der enormen Luftfeuchtigkeit schon am ersten Tag der Biennale der Putz von den denkmalgeschützten Säulen abgeblättert und ins Wasser geplumpst ist.
Noch beängstigender sind die Beiträge von Polen und Lettland. Polen baut unter dem Titel Lares and Penates. On Building a Sense of Security in Architecture ein zynisches Emergency-Labor mit häuslichen Schutzmaßnahmen wie etwa Rauchmeldern, Herrgottswinkeln und als Marienstatue getarnten Feuerlöschern auf – vor dem Hintergrund, dass ab 1. Jänner 2026 alle Neubauten in Polen aufgrund der globalpolitischen Situation mit Luftschutzräumen ausgestattet werden müssen.
Neue Aufgaben meistern
Und Lettland analysiert in Landscape of Defence seine 450 Kilometer lange Nato-Außengrenze zu Russland und Belarus. Oder, wie Kuratorin Liene Jākobsone dies ausdrückt: „Die Welt ist nun mal leider, wie sie ist, aber auch politische und militärische Grenzen können gebaut und gestaltet werden, anstatt sie nur mit Stacheldraht, Panzerkreuzen und Wachtürmen zu verstellen und tausenden Menschen, die hier wohnen, das Leben kaputtzumachen.“
In einer Welt, die auf der Kippe steht, muss Architektur lernen, neue Aufgaben zu meistern. Vielleicht nicht nur mit 3D-Druckern, designten Atomreaktoren und ach so intelligenten Robotern, wie Carlo Ratti meint, sondern auch mit Demut, Hoffnung und Empathie.
Bis 23. November 2025
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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