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Ein Wohnzimmer für die Wuchtel

Heute Nachmittag wird das neue Reichshofstadion in Lustenau eröffnet. Das „Fußball-Wohnzimmer“ ist ein spannendes Match zwischen Holzbau, Anrainer-Interessen und cleverer Verkehrsplanung.
19. Juli 2025 - Wojciech Czaja
Heute, Samstag, 16 Uhr, werden die Grün-weiß-Gestreiften aus Lustenau gegen die Augsburger im knallroten Auswärtstrikot antreten und das neue Reichshofstadion mit einem Freundschaftsspiel eröffnen. „Der FC Augsburg spielt in der deutschen Bundesliga, das ist ein Klassenunterschied, das kann man nicht leugnen, die sind schon echt gut“, sagt Bernd Bösch, Vorstandssprecher des SC Austria Lustenau, zweite Bundesliga in Österreich. „Aber wir haben dennoch ganz gute Chancen auf den Sieg. Abgesehen davon: Darum geht es nicht! Wir freuen uns einfach riesig auf das Match. Und wir freuen uns, dass wir nun endlich ein Stadion haben, das dem Namen auch wirklich gerecht wird.“
Schon seit den 1950er-Jahren wird auf dem Areal des ehemaligen Reichshofs – die Bezeichnung geht auf das 9. Jahrhundert zurück, als der Reichshof Lustenoua zwischen mehreren Geschlechtern und Grafschaften hin und her geschenkt wurde – Fußball gespielt. Der Sportplatz wurde immer wieder erweitert, mit einer Rasenheizung ausgestattet und mit mal fixen, mal temporären Tribünen eingefasst, doch die Summe der provisorischen Maßnahmen sollte bald ein Ende haben. 2018 wurde ein offener Wettbewerb mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren ausgeschrieben.
Vier Pflöcke in den Boden rammen
„Ich glaube, wir haben vor allem aus zwei Gründen gewonnen“, sagt Matthias Kastl, Projektleiter im siegreichen Architekturbüro Bernardo Bader, das den Wettbewerb in Zusammenarbeit mit dem Südtiroler Architekten Walter Angonese und dem Dornbirner Ingenieursbüro GBD Group für sich entscheiden konnte. „Erstens wollten wir eine warme, hölzerne Gemütlichkeit schaffen, eine Art Wohnzimmer für den Fußball bauen, und zweitens haben wir es geschafft, dass das eigentlich kleine, niedrige Stadion dank den vier Eckpylonen, die nun 40 Meter hoch in den Himmel reichen, als hätte jemand vier Pflöcke in den Erdboden gerammt, nun eine gewisse Größe und Sichtbarkeit bekommt.“
Ein Sockel für 90 Minuten Emotionen
Der Haupteingang befindet sich in der Schützengartenstraße 21, keine 200 Meter vom Rhein und somit von der Schweizer Staatsgrenze entfernt. Im Norden des Stadions gibt es ein Klubhaus in Holzbauweise sowie das sogenannte Austria-Dorf, eine Art Ganzjahres-Christkindlmarkt für die Wuchtel, mit Bier und Bosna, mit Fanartikeln und Fußball-Devotionalien – zusammengezimmert in Holzbauweise, niederschwellig in der Anmutung, durchaus ansprechend in seiner architektonischen Gestaltung. Von hier aus gelangt man zur VIP-Lounge sowie – durch breite Publikumstore, durch massiv betonierte „Münder“, wie der Architekt dies ausdrückt – zu den einzelnen Tribünen.
„Der erste Eindruck ist ein sehr archaischer, mit schwerem Sichtbeton, verzinkten Stahltoren und geböschten Wandscheiben, die wir so richtig plakativ in Szene setzen“, sagt Kastl. „Auf diese Weise wollten wir das Fundament zelebrieren und seine tragende Rolle veranschaulichen, schließlich sprechen wir hier von einem Publikum, das aus tausenden Menschen besteht, mit starken Emotionen, mit Schreien, Stampfen und Applaudieren, zweimal 45 Minuten lang und oft auch viel, viel länger.“
Doch kaum hat man die betonierten Münder passiert und die acht Betontreppen überwunden, eröffnet sich plötzlich ein fast 120 mal 80 Meter großes Wohnzimmer mit grünem Teppichboden und ohne Plafond, mit hölzernen Tribünen, hölzernen Stützen, hölzernen Seitenwänden und ebenso hölzernen Tribünendächern, die zehn Meter weit ins Nichts hinausragen und den insgesamt 5000 Zuschauerinnen und Zuschauern ein Dach über dem Kopf bieten. Die bestehende Westtribüne blieb erhalten und wurde dem neuen Konzept miteinverleibt. Spätestens hier versteht man, was die neunköpfige Wettbewerbsjury unter Vorsitz von Hemma Fasch meinte, als sie im Juryprotokoll die außergewöhnliche Atmosphäre des Projekts hervorhob.
Die tragenden Bauteile wie die 60 mal 26 Zentimeter dicken Stützen und das bis zu 85 Zentimeter hohe, jedoch geschickt kaschierte, superschlank erscheinende Tribünendach bestehen aus industriell vorgefertigten BSH-Leimbindern. Ergänzt wird der Holzbau von Bodenbrettern und abgehängten Lamellen aus Vorarlberger Fichte, direkt aus der Region. Bei der fast fünf Meter hohen Glasfassade im Hintergrund handelt es sich um satinierte Scheiben mit einer speziellen Sonnenschutz-Bedampfung, damit die Lichtemissionen, wenn das Spielfeld von oben mit tausenden Lux ausgeleuchtet wird, zu einem Teil absorbiert und die Bewohner in den angrenzenden Wohnhäusern nicht gestört werden.
Das neue, 15 Millionen Euro teure Reichshofstadion, das der Lustenauer Bürgermeister Patrick Wiedl in politischen Worten als „sportliches Highlight“ und „emotionalen Meilenstein“ bezeichnet, kann aber mehr als nur schön sein. Mit seiner gemütlichen Wohnzimmerhaftigkeit und einem vergleichsweise gut durchmischten Publikum – der Anteil der weiblichen Gäste im Reichshofstadion betrug schon bisher 30 bis 40 Prozent, während er in der Bundesliga bei nur 20 Prozent liegt – rückt es den Fußball weg von Gewalt und Rowdytum zwischen den Fanblöcken hin zu einer familiären Freizeit-Chose mit Kind und Kegel.
Die ganze Stadt als Parkplatz
Vor allem aber ist das Stadion Zeugnis einer selten cleveren Zusammenarbeit zwischen sämtlichen Disziplinen, zwischen Holzbauern und Betonierern, zwischen Architekten und Bauingenieuren, zwischen Stadtplanung, Privatwirtschaft und Verkehrsbetrieben. Der Anteil der Pkw-Stellplätze im Stadionbereich ist auf ein absolutes Minimum reduziert, auf 66 Stück, um genau zu sein, davon 20 Prozent barrierefrei. Der Löwenanteil der Pkw-Anreisenden wird auf den bestehenden Firmenparkplätzen und in den unzähligen Gewerbebetrieben abgefangen.
„Lustenau hat einen hohen Anteil an Firmen und Gewerbeparks“, sagt Architekt Matthias Kastl. „Die dazugehörigen Parkplätze stehen an den Abenden und Wochenenden komplett leer. Also haben wir ein Modell entwickelt, wo die Leute ihr Auto auf den bereits bestehenden Parkplätzen abstellen und dann mittels Shuttle zum Stadion gebracht werden.“ Hinzu kommt, dass direkt neben dem Stadion für die Aktivmobilen rund 700 Fahrrad-Stellplätze errichtet wurden. Besser kann ein Freundschaftsspiel zwischen Sport, Politik und Umweltverträglichkeit nicht angepfiffen werden. Die Besten haben schon gewonnen.
Schon seit den 1950er-Jahren wird auf dem Areal des ehemaligen Reichshofs – die Bezeichnung geht auf das 9. Jahrhundert zurück, als der Reichshof Lustenoua zwischen mehreren Geschlechtern und Grafschaften hin und her geschenkt wurde – Fußball gespielt. Der Sportplatz wurde immer wieder erweitert, mit einer Rasenheizung ausgestattet und mit mal fixen, mal temporären Tribünen eingefasst, doch die Summe der provisorischen Maßnahmen sollte bald ein Ende haben. 2018 wurde ein offener Wettbewerb mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren ausgeschrieben.
Vier Pflöcke in den Boden rammen
„Ich glaube, wir haben vor allem aus zwei Gründen gewonnen“, sagt Matthias Kastl, Projektleiter im siegreichen Architekturbüro Bernardo Bader, das den Wettbewerb in Zusammenarbeit mit dem Südtiroler Architekten Walter Angonese und dem Dornbirner Ingenieursbüro GBD Group für sich entscheiden konnte. „Erstens wollten wir eine warme, hölzerne Gemütlichkeit schaffen, eine Art Wohnzimmer für den Fußball bauen, und zweitens haben wir es geschafft, dass das eigentlich kleine, niedrige Stadion dank den vier Eckpylonen, die nun 40 Meter hoch in den Himmel reichen, als hätte jemand vier Pflöcke in den Erdboden gerammt, nun eine gewisse Größe und Sichtbarkeit bekommt.“
Ein Sockel für 90 Minuten Emotionen
Der Haupteingang befindet sich in der Schützengartenstraße 21, keine 200 Meter vom Rhein und somit von der Schweizer Staatsgrenze entfernt. Im Norden des Stadions gibt es ein Klubhaus in Holzbauweise sowie das sogenannte Austria-Dorf, eine Art Ganzjahres-Christkindlmarkt für die Wuchtel, mit Bier und Bosna, mit Fanartikeln und Fußball-Devotionalien – zusammengezimmert in Holzbauweise, niederschwellig in der Anmutung, durchaus ansprechend in seiner architektonischen Gestaltung. Von hier aus gelangt man zur VIP-Lounge sowie – durch breite Publikumstore, durch massiv betonierte „Münder“, wie der Architekt dies ausdrückt – zu den einzelnen Tribünen.
„Der erste Eindruck ist ein sehr archaischer, mit schwerem Sichtbeton, verzinkten Stahltoren und geböschten Wandscheiben, die wir so richtig plakativ in Szene setzen“, sagt Kastl. „Auf diese Weise wollten wir das Fundament zelebrieren und seine tragende Rolle veranschaulichen, schließlich sprechen wir hier von einem Publikum, das aus tausenden Menschen besteht, mit starken Emotionen, mit Schreien, Stampfen und Applaudieren, zweimal 45 Minuten lang und oft auch viel, viel länger.“
Doch kaum hat man die betonierten Münder passiert und die acht Betontreppen überwunden, eröffnet sich plötzlich ein fast 120 mal 80 Meter großes Wohnzimmer mit grünem Teppichboden und ohne Plafond, mit hölzernen Tribünen, hölzernen Stützen, hölzernen Seitenwänden und ebenso hölzernen Tribünendächern, die zehn Meter weit ins Nichts hinausragen und den insgesamt 5000 Zuschauerinnen und Zuschauern ein Dach über dem Kopf bieten. Die bestehende Westtribüne blieb erhalten und wurde dem neuen Konzept miteinverleibt. Spätestens hier versteht man, was die neunköpfige Wettbewerbsjury unter Vorsitz von Hemma Fasch meinte, als sie im Juryprotokoll die außergewöhnliche Atmosphäre des Projekts hervorhob.
Die tragenden Bauteile wie die 60 mal 26 Zentimeter dicken Stützen und das bis zu 85 Zentimeter hohe, jedoch geschickt kaschierte, superschlank erscheinende Tribünendach bestehen aus industriell vorgefertigten BSH-Leimbindern. Ergänzt wird der Holzbau von Bodenbrettern und abgehängten Lamellen aus Vorarlberger Fichte, direkt aus der Region. Bei der fast fünf Meter hohen Glasfassade im Hintergrund handelt es sich um satinierte Scheiben mit einer speziellen Sonnenschutz-Bedampfung, damit die Lichtemissionen, wenn das Spielfeld von oben mit tausenden Lux ausgeleuchtet wird, zu einem Teil absorbiert und die Bewohner in den angrenzenden Wohnhäusern nicht gestört werden.
Das neue, 15 Millionen Euro teure Reichshofstadion, das der Lustenauer Bürgermeister Patrick Wiedl in politischen Worten als „sportliches Highlight“ und „emotionalen Meilenstein“ bezeichnet, kann aber mehr als nur schön sein. Mit seiner gemütlichen Wohnzimmerhaftigkeit und einem vergleichsweise gut durchmischten Publikum – der Anteil der weiblichen Gäste im Reichshofstadion betrug schon bisher 30 bis 40 Prozent, während er in der Bundesliga bei nur 20 Prozent liegt – rückt es den Fußball weg von Gewalt und Rowdytum zwischen den Fanblöcken hin zu einer familiären Freizeit-Chose mit Kind und Kegel.
Die ganze Stadt als Parkplatz
Vor allem aber ist das Stadion Zeugnis einer selten cleveren Zusammenarbeit zwischen sämtlichen Disziplinen, zwischen Holzbauern und Betonierern, zwischen Architekten und Bauingenieuren, zwischen Stadtplanung, Privatwirtschaft und Verkehrsbetrieben. Der Anteil der Pkw-Stellplätze im Stadionbereich ist auf ein absolutes Minimum reduziert, auf 66 Stück, um genau zu sein, davon 20 Prozent barrierefrei. Der Löwenanteil der Pkw-Anreisenden wird auf den bestehenden Firmenparkplätzen und in den unzähligen Gewerbebetrieben abgefangen.
„Lustenau hat einen hohen Anteil an Firmen und Gewerbeparks“, sagt Architekt Matthias Kastl. „Die dazugehörigen Parkplätze stehen an den Abenden und Wochenenden komplett leer. Also haben wir ein Modell entwickelt, wo die Leute ihr Auto auf den bereits bestehenden Parkplätzen abstellen und dann mittels Shuttle zum Stadion gebracht werden.“ Hinzu kommt, dass direkt neben dem Stadion für die Aktivmobilen rund 700 Fahrrad-Stellplätze errichtet wurden. Besser kann ein Freundschaftsspiel zwischen Sport, Politik und Umweltverträglichkeit nicht angepfiffen werden. Die Besten haben schon gewonnen.
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