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Ein Hof für die Kinder und Kindeskinder
Spectrum

Ein alter Hof bei Lustenau war nicht mehr zu retten, Architektin Julia Kick konzipierte mit den Bauherrinnen eine Wohnform, die über die Grundgrenzen und Generationen hinaus in die ­Zukunft denkt.

23. Juli 2025 - Isabella Marboe
Über dreihundert Jahre bewirtschaftete die Familie Vetter im Rheindorf ihren Hof, schon in den 1970er-Jahren stellte der Betrieb auf biologische Landwirtschaft um und nahm damit eine Vorreiterrolle ein. Er stand an der Kreuzung der Bahnhofstraße mit dem Fischerbühel. Erstere ist die Hauptverkehrsader, auf der alle quer durch den Ort ziehen, zweitere schlängelt sich als ruhige Gasse träge zwischen Einfamilienhäusern durch. Früher gab es hier viele landwirtschaftliche Flächen, der Großteil wurde als Bauland vergoldet.

Lustenau ist mit rund 25.000 Einwohnern die einwohnerreichste Marktgemeinde Österreichs, es zerfranste ins Umland. „Siedlungsbrei“ nennt das Architektin Julia Kick. In sein verflochtenes Straßen- und Wegenetz, das von alten Streuobstwiesen und Feldern durchsetzt ist, ist das Dorf aber noch eingeschrieben. Im Jahr 1996 siedelten Hubert und Annemarie Vetter mit ihrem Hof zwanzig Fahrradminuten weiter ins Alberried und setzten dort ihre ganzheitliche Vision einer organisch-biologischen Landwirtschaft neuen Typs um.

Architekt Roland Gnaiger plante ihnen schlichte Holzskelettbauten mit Fassaden aus unbehandelter, sägerauer Lärche und lehm­verputzten Wänden. U-förmig fassen das Wohn- und Gemeinschaftshaus mit Seminarzentrum und Laden einen grünen Hof ein, gegenüber im Osten bildeten die früheren Laufställe ein längeres U. Vieh gibt es heute keines mehr, Simon und Raphael Vetter entwickeln ihre Landwirtschaft kontinuierlich weiter, derzeit kultivieren sie unterschiedlichste Gemüsesorten, es gibt Veranstaltungen und andere vielseitige Angebote an Gemeinschaften und ­Interessierten auf ihrem Hof. Längst ist die ­verwitterte Fassade in die Landschaft eingewachsen und die Architektur zur Ikone gereift.

Ein barrierefreier Hof musste sein

Simons und Raphaels Tanten Lisi und Traudi hatten dem alten Vetterhof im Rheindorf die Treue gehalten. Doch der Stall war desolat, das Haus ein akuter Sanierungsfall, als eine der beiden erkrankte, herrschte Handlungsbedarf, der Hof musste barrierefrei werden. Sie kontaktierten Julia Kick, die schon einige Bestände mit viel Sensibilität für die Möglichkeiten von Haus und Bewohnerschaft umgebaut hat. In diesem Fall war nichts zu machen.

Ein paar Parzellen weiter besaß die Familie am Fischerbühel noch landwirtschaftlichen Grund mit Bauwidmung. Architektin und Bauherrinnen zeichnen sich durch überdurchschnittliche Achtsamkeit aus, was den Umgang mit Ressourcen betrifft. „Es war ihnen vollkommen klar, dass man heute eigentlich gar kein Einfamilienhaus neu bauen darf“, sagt Kick. Deshalb entwickelten sie gemeinsam ein zukunftsweisendes Wohnkonzept, das weit über die eigenen Grundgrenzen und Generationen hinaus die nachhaltige Entwicklung seiner Nachbarschaft weiterdenkt. Und zwar multiperspektivisch.
Dieses Haus kann mit Bedürfnissen und Anzahl seiner Bewohnerschaft mitwachsen

„Unser Arbeitstitel war Vetternhof 2.0“, sagt Kick. Das Haus ist in seiner Konzeption des Wohnens in einem Einfamilienhausgebiet so exemplarisch und umfassend nachhaltig, wie es der Vetterhof für die biologische Landwirtschaft war. Kick verwendete das ökologische, nachwachsende Baumaterial Holz, plante das Haus modular und legte seine Statik so aus, dass es um eine zweite Wohnebene und ein ausgebautes Dachgeschoss erweiterbar ist. In Reminiszenz an den alten Vetterhof wünschten sich die Bauherrinnen ein geneigtes Dach und Vordächer. Die Architektin tüftelte lang an den Details des Pultdaches mit der gewellten Blechabdeckung, die sich im Fall einer Aufstockung einfach abheben und wieder aufsetzen lässt.

Dieses Haus kann also mit Bedürfnissen und Anzahl seiner Bewohnerschaft mitwachsen, soweit es die Bauordnung zulässt. Julia Kick dachte die Verdichtung in einer sehr ortsbildverträglichen Form mit. „Wir haben das Grundstück gesamtheitlich betrachtet und sind davon ausgegangen, wie eine Siedlung idealerweise für uns aussehen könnte“, sagt Kick. So gaben sie und ihre Bauherinnen dem Einfamilienhaus, das an der Wurzel der Zersiedelung steht, eine neue Rolle. Es bekommt die Chance, alles wiedergutzumachen, indem es künftig eine erweiterbare Siedlung bilden und so einen Beitrag zur Verdichtung leisten kann.

Der Fischerbühel bildet die nördliche Grundgrenze: hier verläuft gleichermaßen der Wirtschaftstrakt. Fünf Meter breit, an die zwanzig Meter lang, nimmt diese einfache Struktur dort, wo der Quertrakt anschließt, ein Lager für Vorräte, Geräte und die Garage auf. Bei Krankheit braucht es ein Auto. Dieser Trakt bildet auch Schutz vor Straße und Einsicht. ­Privatheit ist wichtig: Die außenseitigen Öffnungen sind mit Maß und Ziel gesetzt.

Roter Mohn leuchtet aus der Wiese

Ostwärts öffnet sich der Hof in die Landschaft. Hier ließe sich auf dem gegenüberliegenden Grundstück an der gemeinsamen Zufahrt gespiegelt dasselbe U-förmige Haus hinpflanzen. Gemeinsam fassten sie einen größeren Hof ein, wo nicht nur Pflanzen, sondern auch nachbarschaftliche Beziehung gedeihen könnten. Die Zufahrt zwischen beiden verläuft im rechten Winkel zur Straße und wurde bereits zur Hälfte als Kiesweg gestaltet, während die andere der Natur überlassen blieb. Dort leuchtet nun roter Mohn zwischen der hohen Blumenwiese hervor, die natürlich viele Bienen anlockt.

Man betritt das Haus am Ende des südlichen Wohntrakts in einer Pergola, die vor der rollstuhlgerecht breiten Eingangstür einen schönen, schattigen Freibereich ausbildet. Die Bauherrinnen sitzen gern hier draußen. Auch die Einbaumöbel plante Julia Kick. Rechts zeigt das breite Fensterbrett, was es als Garderobe kann, die Küche mit dem Tisch aus dem alten Nußbaum, der Eckbank und dem fast quadratischen Herdblock ist semiprofessionell ausgestattet, da beide sehr gerne kochen.

Der Raum öffnet sich nach Nordosten zum Innenhof und nach Südwesten zur Streuobstwiese, deren Apfel- und Birnbäume über hundert Jahre alt sind, Ziegen und Schafe aus dem Ort mähen das hohe Gras. Hier ließe sich das Haus in die andere Richtung erweitern: Den L-förmigen Wohntrakt der beiden Damen könnte man einfach noch einmal südwärts anstückeln, dann würde das U-förmige Haus zum E, mit zwei kleinen offenen Höfen. Ein drittes Mal ginge sich das auch noch aus, das ergäbe dann gespiegelt schon kleine, kompakte Einheiten mit insgesamt sechs Innenatrien. Also schon eine veritable kleine Siedlung aus nachhaltigen Holzhäusern in verträglicher Dichte um grüne Höfe in der Landschaft.

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