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Killerkommando Canaletto
Der Standard

Seit dem Hochhausprojekt am Wiener Heumarkt wurde wohl kein Barockmaler so oft zitiert wie Bernardo Bellotto. Die Wiener Künstler Steinbrener/Dempf & Huber ziehen gegen ihren längst toten Kollegen in einen polemischen Kampf und fordern in ihrer Ausstellung: „Tötet Canaletto!“

6. September 2025 - Wojciech Czaja
Der erste Aufschrei

„Ich denke an ein Retro-Hotel auf höchstem Niveau“, verriet der Wiener Investor Michael Tojner 2012 in einem Interview, als ihn DER STANDARD zu den Umbauplänen des Wiener Eislaufvereins befragte. Knapp zwei Jahre später war der internationale Wettbewerb entschieden: Mit seinem Entwurf für die Sanierung des Hotel Intercontinental sowie für ein ebenso modernistisch anmutendes Wohnhochhaus mit 22 Stockwerken und 73 Meter Gebäudehöhe konnte sich der brasilianische Architekt Isay Weinfeld gegen zwei Dutzend Konkurrenten aus aller Welt durchsetzen – darunter auch Hochkaräter wie etwa Snøhetta, Coop Himmelb(l)au und Neutelings Riedijk Architects. Aufgrund der Schreie und Beschimpfungen im Saal musste die Pressekonferenz damals abgebrochen werden.

Stadt als Meterware

In den Folgejahren entwickelte sich der „Tojner-Turm“ am Rande der Innenstadt zu einem Wiener Politikum, und schon bald mischten sich zwei externe Kräfte in die Diskussion mit ein – einerseits die Unesco, die damit droht, Wien im Falle einer Realisierung den Welterbe-Status abzuerkennen, andererseits der venezianische Vedutenmaler Bernardo Bellotto, besser bekannt als Canaletto, der während seines zweijährigen Wien-Aufenthalts im Auftrag von Maria Theresia ein paar Stadtansichten malte – darunter auch Wien, vom Belvedere aus gesehen, entstanden 1761. Und so musste das geplante Turmprojekt am Heumarkt immer wieder gestaucht und zusammengestutzt werden. Nach heutigem Stand – und noch weit entfernt von einem realisierungsfähigen Konsens – misst er 49,95 Höhenmeter.

Barocke Messlatte

„Wien hat sich seit dem Barock dramatisch weiterentwickelt, und Canaletto ist seit 245 Jahren tot“, sagt Christoph Steinbrener, der mit seinen beiden Partnern Rainer Dempf und Martin Huber das Wiener Künstlerkollektiv Steinbrener/Dempf & Huber leitet. „Wie kann es also sein, dass ein solches Auftragswerk, das in seinen Größen und Proportionen erwiesenermaßen verzerrt und beschönigt wurde, heute immer noch als qualitative Referenz herangezogen wird? Will man Stadtplanung im 21. Jahrhundert ernsthaft an den subjektiven Kennwerten einer absolutistischen Monarchie abarbeiten?“ Der Canaletto-Blick, so Steinbrener, sei damals schon ein Fake gewesen, daher habe er auch überhaupt keine Skrupel, in der Tradition des falschen Abbilds weiterzuarbeiten.

Narrativ der Rechten

„Genau so arbeitet die rechte Politik“, sagt er. „Sie lässt die Kommunikation eskalieren und erreicht damit große Erfolge. Also dachten wir uns: Wir werden die plakative, leicht verständliche und wohl auch erfolgreiche Herangehensweise nicht allein den Rechten überlassen. Das können wir auch!“ Und so eröffneten Steinbrener/Dempf & Huber dieser Tage eine Ausstellung unter dem provokanten Titel Tötet Canaletto!. Die Schau in der Wiener Galerie rauminhalt harald bichler zeigt unter anderem verfremdete Canaletto-Blicke, die zu ganz neuen Arrangements collagiert werden – mit Knochen, Baseballschlägern, kiloschweren Vorschlaghämmern, aggressiv durchschneidenden Stadtautobahnen und himmelhohen Isay-Weinfeld-Hochhäusern, die wie im Hollywood-Film Inception zu einer surrealen Traumwelt zusammenwachsen.

59 Stockwerke

Und plötzlich gibt es in einem Viertelkilometer Höhe ein zweites, gespiegeltes Wien, das mit der echten oder angeblich echten Stadt da unten über Pflanzendarstellungen aus alten Lehrbüchern sowie über insgesamt 14 Tojner-Türme, jeder einzelne davon 59 Stockwerke hoch, verbunden ist. „Wir finden den Turm eigentlich ein bissl fad und vor allem auch sehr kurz nach all den Verkleinerungen“, sagt Künstler Martin Dempf, der in seinem Zweitberuf selbst als Architekt tätig ist. „Also haben wir ihn nach eigenem Ermessen wieder ein bisschen höher gemacht, denn der absolutistisch angelegte Schlossgarten Belvedere, aus dem die Öffentlichkeit einst aktiv ausgeschlossen wurde, kann in Zeiten der Wohnungsnot und der stadtplanerischen Stagnation ruhig einen zeitgenössischen Impuls vertragen.“

Wie tot ist das Tote?

Die am Dienstag eröffnete Ausstellung in der Schleifmühlgasse zeigt neben Collagen, Dioramen und Installationen, die allesamt mit dem vielzitierten Canaletto-Blick arbeiten, auch eine Handvoll schräg inszenierter Tierpräparate – ob das nun halbe Rehe sind oder kopflose Raben mit einem kopfsubstituierenden Objektiv von P. Angénieux, Paris. „In der Tierpräparation ist man stets darum bemüht, das tote Tier so darzustellen, dass es möglichst lebendig und möglichst wenig tot erscheint“, sagt Dempf. „Es ist eine Verzerrung zwischen Original und Kopie. So ähnlich ist das auch beim Canaletto.“ Mit dem ständigen Referenzieren auf einen barocken Zustand, der ohnehin nicht die Realität abgebildet habe, töte man jeden Gedanken einer künftigen Entwicklung.

Urbane Konfliktliebe

„Wir lieben die Stadt“, sagen Steinbrener/Dempf & Huber, die sich schon seit 20 Jahren mit dem Thema Stadt und öffentlicher Raum beschäftigen, im Interview mit dem ΔTANDARD. „In der Dichte der vielen, vielen Konflikte, die es hier Tag für Tag auszutragen gilt, ist die Großstadt das wahrscheinlich komplexeste und faszinierendste soziale Biotop, in dem wir Menschen koexistieren. Umso wichtiger ist es, für die Zukunft Kriterien zu finden und Qualitätsstandards zu definieren, die keinen toten Barockmenschen instrumentalisieren, sondern die aus heutiger Sicht heraus, mit dem heutigen Wissen im Talon eine gesunde Stadtentwicklung und Stadtverdichtung ermöglichen. Als Künstler nehmen wir uns die Freiheit, diesen Missstand zu kommentieren. Canaletto gehört endlich begraben.“

[ Die Ausstellung „Tötet Canaletto!“ ist noch bis 4. Oktober 2025 zu sehen. Galerie rauminhalt_harald bichler. ]

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