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Die Welt im Dahinter

Die Ringstraße kennen wir alle. Doch wie sieht es hinter den Kulissen des Wiener Prachtboulevards aus? Ein neues Buch unternimmt eine Expedition in Luftkeller, Dachstühle und historische Haustechnikräume.
13. Oktober 2025 - Wojciech Czaja
Sie sehen aus wie Rachenhöhlen, wie unterirdische Luftröhren, wie weitverzweigte Bronchien mit Pilzen, Staubpartikeln und jahrzehntelangen Ablagerungen an den Zellwänden. „Und ja, diese Orte, die im Gegensatz zu den darüber liegenden Repräsentationsräumen nie dafür gemacht wurden, sich der Öffentlichkeit zu zeigen“, sagt die Wiener Autorin, Kuratorin und Architekturhistorikerin Gabriele Kaiser, „haben in der Tat etwas Anatomisches. Sie erinnern an einen riesigen Organismus, den man zwar schon Hunderte Male von außen gesehen hat, aber noch nie zuvor von innen.“
Die Rede ist vom Burgtheater. Der Prachtbau an der Wiener Ringstraße, errichtet in den Jahren 1874 bis 1888 nach Plänen von Gottfried Semper und Carl von Hasenauer, ist eine der größten und komplexesten Lüftungsmaschinerien, die im historischen Wien je gebaut wurden. Neben Prunkstiegen, Pausenräumen und dem rund 1300 Menschen fassenden Zuschauerraum, der im Volumenvergleich zum Gesamtgebäude wie eine kleine Perle in einer riesigen Auster drinsitzt, gibt es einen 28 Meter hohen Bühnenturm, jede Menge faustische Zuluft-Katakomben im Untergrund sowie monströse Abluft-Konstruktionen, die den Dachboden wie eiserne Eingeweide ausfüllen.
Luft- und Zeitmaschine
„Die technischen Infrastrukturen hinter den Kulissen des Theaterbetriebs sind enorm“, so Kaiser. „Das erste Mal vor Ort ist man bass erstaunt ob des riesigen Äquivalents an nicht sichtbaren Räumen über, unter und hinter all den historistischen Kostbarkeiten. Doch das wirklich Erstaunliche ist, dass diese alte, originale Haustechnik-Anlage – die über ein Einlaufbauwerk im Volksgarten mit Frischluft gespeist wird, die dann über Luftbrunnen, Drosseltüren und Filtersysteme mucksmäuschenstill ins Innere des Theaters gelangt – nach 150 Jahren immer noch in Betrieb ist. Das ist nicht nur eine Luft-, sondern auch eine Zeitmaschine.“
Die Faszination für das Unsichtbare wurde nun zwischen zwei Buchdeckel gepresst. Maschinenräume. Hinter der Kulisse der Wiener Ringstraße , herausgegeben von Kaiser, dem STANDARD-Architekturjournalisten Maik Novotny und der Wiener Fotografin und Projektinitiatorin Hertha Hurnaus, ist ein fotografischer Spaziergang in Keller, Kesselhäuser und Luftheizkammern, zu Kettenzügen, Gasmessern und Rohrpostanlagen, auf Dachböden, Doppelkuppeln und hauchdünne, zart genietete Wartungswendeltreppen aus der Wiener Eisenkonstruktionswerkstätte Ignaz Gridl. Und natürlich bis hinauf zum Luftstromregler des Burgtheaters, wo die warme, verbrauchte Luft nach drei Stunden Drama durch eine kupferne Windfahne entweicht, geschmückt vom hübschen Nordwindgott Boreas.
„Begonnen hat das Projekt“, erzählt Fotografin Hertha Hurnaus, „als ich im Zuge des Parlament-Umbaus 2017 beauftragt wurde, den historischen Bestand zu dokumentieren – und zwar nicht nur in den repräsentativen Räumlichkeiten des parlamentarischen Betriebs, sondern auch in den Luftmischräumen und Luftzufuhrschächten, die Theophil Hansen einst unter den großen Plenarsälen errichtet hat.“ Nach der Sanierung durch Jabornegg & Pálffy ist das unterirdische Maschinenlabyrinth längst Geschichte, das alte Haustechniksystem modernisiert, das Lüftungsregime modernen Ausschusslokalen gewichen.
Unbekannte Welt
„Ich habe eine mir unbekannte Welt betreten und dachte mir: Wo bin ich hier? Was sind das für Armaturen und Gerätschaften? Und wohin führen die vielen dunklen Räume, die den Eindruck erwecken, als hätte man ein künstliches Universum betreten?“ Der Parlaments-Haustechniker, erinnert sich Hurnaus, meinte damals: „Na, wenn mich das schon umhaut, dann solle ich mir doch unbedingt das Burgtheater anschauen! Da gebe es noch sehr viel mehr zu entdecken!“
Gesagt, getan. Und nicht nur das. Die Expedition mit Nikon, Stativ und mitunter minutenlangen Belichtungszeiten in Dunkel- und Abgeschiedenheiten führte darüber hinaus ins Rathaus, in die Universität, ins Kunst- und Naturhistorische Museum, in den Wiener Bankverein am Schottentor sowie ins ehemalige, denkmalgeschützte k. k. Uniformierungs-Inspektorat des Obersthofmeisteramts in den Untergeschoßen der Hofburg. Die weiß lackierten Schränke samt Gridl-Stiege und eingezogener Zwischendecke aus Eisenrosten erinnern an eine Mischung aus Titanic, Gellért-Bad und Orient-Express.
Technische Utopien
Ergänzt werden die Fotoserien, die auf manchen Doppelseiten für Gänsehaut sorgen, gefangen im Tambour des Kunsthistorischen Museums, verloren im Wikingerschiff-Dachstuhl des Rathauses, von essayistischen Annäherungen an technische Utopien, medizinische Lufthygiene-Erfindungen und verbale Fieberträume aus der Hochblüte des Industriezeitalters.
„Die Errichtung der Monumentalbauten entlang der Ringstraße ist fotografisch gut festgehalten“, erklärt Gabriele Kaiser, „von der Grundsteinlegung bis zur Fertigstellung. Von den technischen Einrichtungen aber gibt es kaum bauzeitliche Aufnahmen.“ Manche dieser Installationen seien bereits verschwunden, andere vielleicht schon kurz davor, demontiert und demoliert zu werden, damit hier Depots, Learning-Center und unterirdische Sicherheitsräume entstehen. „Der Nutzungs- und Verwertungsdruck ist groß. So gesehen sind die aktuellen Fotografien eine Dokumentation des Fremden und Verschlossenen, wo ganz andere Gesetzmäßigkeiten herrschen als in der uns bekannten Welt.“
„Maschinenräume. Hinter der Kulisse der Wiener Ringstraße“ ist im Album-Verlag erschienen. Buchpräsentation am Montag, 27. Oktober, im Nordbuffet des Wiener Rathauses, Eingang Lichtenfelsgasse 2, 18.30 Uhr.
Die Rede ist vom Burgtheater. Der Prachtbau an der Wiener Ringstraße, errichtet in den Jahren 1874 bis 1888 nach Plänen von Gottfried Semper und Carl von Hasenauer, ist eine der größten und komplexesten Lüftungsmaschinerien, die im historischen Wien je gebaut wurden. Neben Prunkstiegen, Pausenräumen und dem rund 1300 Menschen fassenden Zuschauerraum, der im Volumenvergleich zum Gesamtgebäude wie eine kleine Perle in einer riesigen Auster drinsitzt, gibt es einen 28 Meter hohen Bühnenturm, jede Menge faustische Zuluft-Katakomben im Untergrund sowie monströse Abluft-Konstruktionen, die den Dachboden wie eiserne Eingeweide ausfüllen.
Luft- und Zeitmaschine
„Die technischen Infrastrukturen hinter den Kulissen des Theaterbetriebs sind enorm“, so Kaiser. „Das erste Mal vor Ort ist man bass erstaunt ob des riesigen Äquivalents an nicht sichtbaren Räumen über, unter und hinter all den historistischen Kostbarkeiten. Doch das wirklich Erstaunliche ist, dass diese alte, originale Haustechnik-Anlage – die über ein Einlaufbauwerk im Volksgarten mit Frischluft gespeist wird, die dann über Luftbrunnen, Drosseltüren und Filtersysteme mucksmäuschenstill ins Innere des Theaters gelangt – nach 150 Jahren immer noch in Betrieb ist. Das ist nicht nur eine Luft-, sondern auch eine Zeitmaschine.“
Die Faszination für das Unsichtbare wurde nun zwischen zwei Buchdeckel gepresst. Maschinenräume. Hinter der Kulisse der Wiener Ringstraße , herausgegeben von Kaiser, dem STANDARD-Architekturjournalisten Maik Novotny und der Wiener Fotografin und Projektinitiatorin Hertha Hurnaus, ist ein fotografischer Spaziergang in Keller, Kesselhäuser und Luftheizkammern, zu Kettenzügen, Gasmessern und Rohrpostanlagen, auf Dachböden, Doppelkuppeln und hauchdünne, zart genietete Wartungswendeltreppen aus der Wiener Eisenkonstruktionswerkstätte Ignaz Gridl. Und natürlich bis hinauf zum Luftstromregler des Burgtheaters, wo die warme, verbrauchte Luft nach drei Stunden Drama durch eine kupferne Windfahne entweicht, geschmückt vom hübschen Nordwindgott Boreas.
„Begonnen hat das Projekt“, erzählt Fotografin Hertha Hurnaus, „als ich im Zuge des Parlament-Umbaus 2017 beauftragt wurde, den historischen Bestand zu dokumentieren – und zwar nicht nur in den repräsentativen Räumlichkeiten des parlamentarischen Betriebs, sondern auch in den Luftmischräumen und Luftzufuhrschächten, die Theophil Hansen einst unter den großen Plenarsälen errichtet hat.“ Nach der Sanierung durch Jabornegg & Pálffy ist das unterirdische Maschinenlabyrinth längst Geschichte, das alte Haustechniksystem modernisiert, das Lüftungsregime modernen Ausschusslokalen gewichen.
Unbekannte Welt
„Ich habe eine mir unbekannte Welt betreten und dachte mir: Wo bin ich hier? Was sind das für Armaturen und Gerätschaften? Und wohin führen die vielen dunklen Räume, die den Eindruck erwecken, als hätte man ein künstliches Universum betreten?“ Der Parlaments-Haustechniker, erinnert sich Hurnaus, meinte damals: „Na, wenn mich das schon umhaut, dann solle ich mir doch unbedingt das Burgtheater anschauen! Da gebe es noch sehr viel mehr zu entdecken!“
Gesagt, getan. Und nicht nur das. Die Expedition mit Nikon, Stativ und mitunter minutenlangen Belichtungszeiten in Dunkel- und Abgeschiedenheiten führte darüber hinaus ins Rathaus, in die Universität, ins Kunst- und Naturhistorische Museum, in den Wiener Bankverein am Schottentor sowie ins ehemalige, denkmalgeschützte k. k. Uniformierungs-Inspektorat des Obersthofmeisteramts in den Untergeschoßen der Hofburg. Die weiß lackierten Schränke samt Gridl-Stiege und eingezogener Zwischendecke aus Eisenrosten erinnern an eine Mischung aus Titanic, Gellért-Bad und Orient-Express.
Technische Utopien
Ergänzt werden die Fotoserien, die auf manchen Doppelseiten für Gänsehaut sorgen, gefangen im Tambour des Kunsthistorischen Museums, verloren im Wikingerschiff-Dachstuhl des Rathauses, von essayistischen Annäherungen an technische Utopien, medizinische Lufthygiene-Erfindungen und verbale Fieberträume aus der Hochblüte des Industriezeitalters.
„Die Errichtung der Monumentalbauten entlang der Ringstraße ist fotografisch gut festgehalten“, erklärt Gabriele Kaiser, „von der Grundsteinlegung bis zur Fertigstellung. Von den technischen Einrichtungen aber gibt es kaum bauzeitliche Aufnahmen.“ Manche dieser Installationen seien bereits verschwunden, andere vielleicht schon kurz davor, demontiert und demoliert zu werden, damit hier Depots, Learning-Center und unterirdische Sicherheitsräume entstehen. „Der Nutzungs- und Verwertungsdruck ist groß. So gesehen sind die aktuellen Fotografien eine Dokumentation des Fremden und Verschlossenen, wo ganz andere Gesetzmäßigkeiten herrschen als in der uns bekannten Welt.“
„Maschinenräume. Hinter der Kulisse der Wiener Ringstraße“ ist im Album-Verlag erschienen. Buchpräsentation am Montag, 27. Oktober, im Nordbuffet des Wiener Rathauses, Eingang Lichtenfelsgasse 2, 18.30 Uhr.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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