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Weichen, hört die Signale!
Weichen, hört die Signale! © ÖBB
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8,2 Milliarden Schilling investieren die ÖBB in die Modernisierung ihrer Bahnhöfe. Die Bahnhofsoffensive zeitigte bisher ein gestalterisch durchwegs hohes Niveau - eine dubiose Vergabepraxis läßt jedoch für die anstehenden Wettbewerbe wenig Erfreuliches erwarten.

19. Februar 2000 - Christian Kühn
Helmut Draxler, Generaldirektor der Österreichischen Bundesbahnen, ist ein erklärter Architekturliebhaber. Das kleine Haus in den Alpen, das er sich von Johannes Spalt entwerfen ließ, findet sich auf dem Titelblatt des Katalogs zur Ausstellung über österreichische Architektur des 20. Jahrhunderts, die 1995 im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt zu sehen war.
Als Generaldirektor der ÖBB hat Draxler sich von Anfang an dazu bekannt, den Ausbau der Bahn nicht nur als verkehrstechnische, sondern auch als architektonische Aufgabe wahrnehmen zu wollen. Von dem 140 Milliarden Schilling (10,17 Milliarden Euro) umfassenden Investitionspaket für die „Neue Bahn“ werden in den nächsten fünf Jahren 8,2 Milliarden in die bauliche Modernisierung der 43 meistfrequentierten Bahnhöfe Österreichs fließen. Die ÖBB sind damit einer der wichtigsten Bauherren des Landes, wobei nicht die Investitionssumme allein ausschlaggebend ist: Wegen der zentralen Lage der meisten Bahnhöfe geht es auch um folgenschwere stadtgestalterische Entscheidungen.

Bereits unter Draxlers Vorgänger, Heinrich Übleis, hatten die ÖBB eine Initiative zur „Bahnhofsverbesserung“ begonnen. Die Architekten Zechner und Zechner entwickelten ein Handbuch für die Gestaltung von Perrondächern, Passagen und anderen Teilbereichen. Zur „Bahnhofsoffensive“ umgetauft, bekam diese Aktion eine neue Gewichtung, als die ÖBB - wie viele andere europäische Bahnlinien - den Wert ihrer Liegenschaften auf dem Immobilienmarkt erkannten: Auf den meisten Bahnhöfen entstanden beachtliche Baulandreserven, als der Güterverkehr in neue Verschubbahnhöfe an der Peripherie verlagert wurde. Ursprünglich verfolgten die ÖBB daher die Strategie, den Ausbau der Bahnhöfe großteils über Immobiliengeschäfte zu finanzieren.

Das Zauberwort für derartige Projekte hieß in den neunziger Jahren „Public Privat Partnership“, also die Verbindung öffentlicher und privatwirtschaftlicher Interessen zum beiderseitigen Vorteil. Das klingt zwar durchaus vernünftig, macht die Planung jedoch nicht einfacher: Für Investoren ist der ideale Bahnhof ein Büro- und Geschäftszentrum mit Gleisanschluß, bei dem das Umsteigen von einem Verkehrsmittel zum anderen durch die Geschäftspassage führt.

Für den Anbieter von Verkehrsdienstleistungen sind dagegen kurze Wege und die Signifikanz des Abfertigungsgebäudes entscheidend. Die Architekturwettbewerbe im Rahmen der Bahnhofsoffensive waren daher von einem Zielkonflikt geprägt: Wie läßt sich die Maximierung vermietbarer Flächen mit der Optimierung von Verkehrsströmen und dem Charakter des Bahnhofs als signifikanter Ort öffentlichen Lebens in Einklang bringen?

Als zusätzliches Problem erwies sich, daß eine Maximierung von Flächen allein nicht die erhoffte Finanzierung sichert. Was sich tatsächlich vermieten läßt, hängt vom Immobilienmarkt ab.

A ls sich die hohen Erwartungen der in dieser Branche unerfahrenen ÖBB als unrealistisch erwiesen, mußten für mehrere Standorte neue Planungen durchgeführt werden. In einigen Fällen - wie etwa beim Bahnhof Innsbruck - folgte auf einen bereits entschiedenen Wettbewerb ein Gutachterverfahren unter neuen Bedingungen. Insgesamt scheint der Versuch, den Bahnhofsausbau primär als großangelegtes Immobilienprojekt zu betreiben, die Bahnhofsoffensive um mehrere Jahre zurückgeworfen zu haben.

In qualitativer Hinsicht war das nicht unbedingt ein Nachteil: Die neue Doktrin der ÖBB, sich vornehmlich auf das Abfertigungsgebäude und auf die möglichst enge Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsmittel zu konzentrieren, hat jedenfalls mehr architektonisches Potential als das „Geschäftszentrum mit Gleisanschluß“.

Zur Umsetzung dieser Doktrin haben die ÖBB vor wenigen Monaten Norbert Steiner, zuvor für das Land Niederösterreich verantwortlicher Bauherrenvertreter beim Bau der neuen Landeshauptstadt in St. Pölten, zum Leiter der Bahnhofsoffensive bestellt. Steiner wird in dieser Funktion eine Reihe vielversprechender Projekte zu betreuen haben. Der Salzburger Hauptbahnhof, der gerade einen übersichtlich und ruhig gestalteten Vorplatz erhalten hat, wird bis 2004 nach einem Entwurf von Klaus Kada umgebaut. Er erhält neue Bahnsteige für den Nahverkehr und eine Passage mit Geschäften und Reise-Kundenzentrum auf dem Niveau des Südtiroler Platzes, die von der Bahnhofstraße bis zur Lastenstraße reichen wird. Unter einer geschwungenen Glaskonstruktion, die an den Altbau anschließt, entsteht so eine großzügige Bahnhofshalle.

Ob sich das Projekt in dieser Form umsetzen läßt, hängt von einer Entscheidung des Denkmalamts ab: Um Platz für die neuen Bahnsteige zu schaffen, muß das auf dem jetzigen breiten Mittelbahnsteig stehende Restaurant abgerissen werden. Der denkmalgeschützte Marmorsaal und das Kaiserzimmer sollen in einen anderen Teil des Altbaus übersiedelt werden.
In Innsbruck entsteht bis zum Jahr 2003 ein komplett neuer Bahnhof nach Plänen der Grazer Architekten Riegler und Riewe. Wie in Salzburg wird auch hier die Hauptebene der neuen Halle unter dem Gleisniveau liegen, um eine direkte Anbindung zu den angrenzenden Tiefgaragen zu ermöglichen. Riegler und Riewe haben einen ruhigen Baukörper mit einer 18 Meter breiten und 75 Meter langen Halle entworfen, ein städtebaulich klares und einprägsames Projekt, das stark von der Qualität des Lichts in der großen Halle leben wird.

I nsgesamt zeigen die bisherigen Projekte der Bahnhofsoffensive ein erfreulich hohes Niveau, wobei Architek-
ten verschiedener Generationen und Architektursprachen zum Zug kommen: neben Klaus Kada und Riegler/Riewe - die jeweils mit einem weiteren Projekt, nämlich den Bahnhöfen in Klagenfurt beziehungsweise Bruck an der Mur beauftragt sind - planen unter anderem Henke und Schreieck in Baden bei Wien, Zechner und Zechner in Graz und Feldkirch, Hermann Czech in Wien-Hütteldorf, Luger und Maul in Wels und NFOG in Leoben.

Als jüngstes Projekt wurde im Jänner die Entscheidung über den Bahnhof Linz vorgestellt: Wilhelm Holzbauer soll das neue Abfertigungsgebäude planen. Etwas in den Hintergrund trat dabei, daß Holzbauer beim Wettbewerb 1997 nur den vierten Platz gemacht hatte. Das siegreiche Büro Neumann und Steiner hatte das Projekt seither weiterentwickelt, einen Vorentwurf ausgearbeitet und im Juli des Vorjahres den Auftrag für die weiteren Architektenleistungen erhalten. Bereits im März war der Entwurf vom Linzer Gestaltungsbeirat bewilligt worden.

Die Umsetzung drohte jedoch an den hohen Baukosten zu scheitern, die sich vor allem aus der in der Wettbewerbsausschreibung geforderten Erhaltung der bestehenden Bahnhofshalle ergaben. Da erwies es sich als günstig, daß der Denkmalschutz für das alte Gebäude im November 1999 aufgehoben wurde. Für die ÖBB kam das nicht überraschend, hatte sie doch nach ihrer Privatisierung den ex lege für Bundesbauten bestehenden Denkmalschutz in jedem Einzelfall durch das Denkmalamt überprüfen lassen.

Neumann und Steiner wurden über dieses Faktum, das wesentliche Einsparungen und organisatorische Verbesserungen für den Neubau ermöglicht, von den ÖBB erst informiert, als der Bescheid schon auf dem Tisch lag - gleichzeitig mit der Nachricht, daß Wilhelm Holzbauer mit einem neuen Vorentwurf beauftragt würde. Immerhin dürften sie noch innerhalb von vier Wochen eine Überarbeitung ihres Projekts vorlegen. Die Entscheidung würde vom Generaldirektor getroffen werden, beraten von einem Gestaltungsbeirat der ÖBB, dem Johannes Spalt, Klaus Kada und Hermann Czech angehören.
Die Wahl fiel auf Holzbauers Projekt, eine Abfolge von Tonnendächern, die zum Bahnhofsplatz hin schräg angeschnitten sind. Der Entwurf macht kaum den Eindruck, als hätte sich der Architekt einem Qualitätswettbewerb stellen wollen. Formal erinnert er in der Hauptansicht an Norman Fosters neuen Flughafen in Hongkong, ohne dessen Qualität auch nur annähernd zu erreichen. Sind dort alle Tonnenschalen über die gesamte Länge des Bauwerks leicht variiert, bleibt es hier bei einer plumpen Aneinanderreihung von Elementen. Auch städtebaulich kann man der beabsichtigten Herauslösung des Bahnhofsgebäudes aus der Gesamtfigur - sie stammt noch aus dem ursprünglichen Bebauungsplan von Neumann und Steiner - nicht viel abgewinnen.

Was immer die Entscheidung der ÖBB bestimmt hat - von diesem Verfahren und seinem Ergebnis geht ein falsches Signal aus. Bei den noch heuer anstehenden Wettbewerben für den Wiener Westbahnhof und den Praterstern wird sich zeigen, ob die ÖBB auch bei den großen Projekten in Wien die Weichen für gut vorbereitete und transparente Verfahren zu stellen imstande sind. Ob sie dafür in der Gemeinde Wien den geeigneten Partner finden, sei dahingestellt. Für den Bereich des Westbahnhofs gibt es bereits eine vielpublizierte städtebauliche Vorstudie im Auftrag der Gemeinde. Einer der Autoren: Wilhelm Holzbauer.

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