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Wie ein Gebäude auf die Welt kommt
Wie ein Gebäude auf die Welt kommt, Foto: Christian Kühn
Wie ein Gebäude auf die Welt kommt, Foto: Architektur Consult ZT GmbH
Wie ein Gebäude auf die Welt kommt, Foto: Szyszkowitz · Kowalski
Wie ein Gebäude auf die Welt kommt, Foto: Herbert Schwingenschlögl
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Direktauftrag oder Ideenkonkurrenz? Es gibt kein Rezept für die glückliche Begegnung zwischen Architekt und Bauherr. Wie das Beispiel der Mittelschule Wolkersdorf zeigt, hat der Wettbewerb aber einen unbestreitbaren Vorzug: Er eröffnet einen Spielraum für die Architekturentwicklung.

12. August 2000 - Christian Kühn
Wann kommt ein Gebäude auf die Welt? Bei der Eröffnung? Bei Baubeginn? Wenn die erste Skizze entsteht? Oder noch früher, wenn der Bauherr den Wunsch äußert, etwas zu bauen? Die Architekturkritik legt den Geburtstermin in der Regel auf den Tag der Eröffnung: Da steht das Gebäude ohne Gebrauchsspuren da, schön wie ein fabriksneues Auto, und läßt sich publikationsgerecht photographieren. In die Zeitung kommt es erst wieder, wenn es undicht wird oder einstürzt - und vielleicht eines Tages, bevor es abgerissen werden soll.

Seine spannendsten Zeiten erlebt ein Haus aber viel früher, wenn noch fast alles möglich ist. Es ist die Stunde des Bauherrn: Weiß er überhaupt, was er wirklich braucht? Diese Frage ist schon für einen privaten Bauherrn schwer genug zu beantworten; beim öffentlichen Bau multiplizieren sich die Probleme mit der Anzahl der Betroffenen. Bei jedem Schulbau wollen sich Schüler und Lehrer, Schulwarte und mitnutzende Sportvereine berücksichtigt wissen, und wenn es um die äußere Erscheinung geht, kommen noch Anrainer hinzu, denen jede Veränderung zum Problem wird.

Könnte man eine Schule kaufen und wie ein Auto probefahren, wären diese Probleme leichter zu lösen. Aber Häuser haben ihre individuelle Geschichte, ihren besonderen Ort und ihre kulturellen Bedingungen. Sie sind weder Ware noch Designobjekt, sondern entstehen aus der spezifischen Begegnung eines guten Bauherrn mit einem guten Architekten im Rahmen einer gut definierten Bauaufgabe. Gut definiert heißt dabei nicht, daß jede Anforderung im Detail beschrieben ist, sondern daß das Wesentliche zu einer Hierarchie von Wünschen geordnet ist, die auch für unkonventionelle Antworten offen bleibt. Für die glückliche Begegnung zwischen Architekt und Bauherr gibt es kein Rezept: Unter den herausragenden Bauten finden sich Direktaufträge ebenso wie Ergebnisse offener Wettbewerbe. Die Ideenkonkurrenz hat aber unbestreitbare Vorteile. Abgesehen davon, daß sie dem Bauherrn ein breiteres Spektrum an Lösungen anbietet, ist die Möglichkeitswelt, die sie dabei eröffnet, einer der wesentlichen Orte der Architekturentwicklung.

Die Konkurrenz für den Neubau einer Mittelschule im niederösterreichischen Wolkersdorf ist ein Paradebeispiel dafür. An Bauherren fehlt es hier nicht: Da ist einmal die Bundesimmobiliengesellschaft als Auftraggeber, dann das Bildungsministerium als oberste Vertretung der Nutzer; der Bürgermeister der Gemeinde hat ein verständliches Interesse an einem Neubau, der auch seinen Wählern gefällt; und dann gibt es noch die letztlich Betroffenen, Schüler und Lehrer, und zumindest letztere wollen bei „ihrer“ Schule mitreden.

Gleich zu Beginn stellte sich heraus, daß eine Grundfrage noch nicht geklärt war: Die Gemeinde verfügte über mehrere Grundstücke, aber über kein Entwicklungskonzept, aus dem sich zwingend ein Standort hätte ableiten lassen. Gerade in einer kleinen Gemeinde im Gravitationsbereich einer Großstadt, die von massiver Zersiedlung betroffen ist, stellt eine Schule eine Chance zur städtebaulichen Neuordnung dar. Der Bürgermeister von Wolkersdorf beauftragte den Architekten Erich Raith mit einer Studie, die empfahl, ein Grundstück auf der Entwicklungsachse zur Katastralgemeinde Obersdorf zu wählen. An Stelle des üblichen, mehr oder weniger zufälligen Zusammentreffens kleingliedriger Siedlungsformen könnte so eine zentrale Einrichtung in einem langsam anwachsenden Siedlungsband entstehen. - Auf dieser Grundlage schrieb die Bundesimmobiliengesellschaft ein Verhandlungsverfahren aus, also eine Konkurrenz mit beschränkter Teilnehmeranzahl. Nach einer EU-weit offenen Bewerbungsphase wird dabei eine beschränkte Anzahl von Büros ausgewählt, die gegen eine finanzielle Entschädigung Konkurrenzprojekte ausarbeiten. Nach welchen Kriterien die Auswahl der Büros stattfindet, ist freilich problematisch. Üblicherweise zählen Referenzprojekte, Anzahl der Mitarbeiter und wirtschaftliche Potenz. In Kennziffern gefaßt, bleibt bei immateriellen Leistungen das Kriterium der Qualität leicht auf der Strecke. Als rechnerisch bester Bewerber ergab sich etwa in diesem Fall das Büro Peter Czernin, das unter anderem architektonische Tiefpunkte wie das Bundesamtsgebäude in der Wiener Radetzkystraße zu verantworten hat.

Keine Jury kann sich über diese Spielregeln hinwegsetzen. Sie kann allerdings den Kreis der Bewerber ausweiten, und in diesem Fall gelang es Marta Schreieck als Vorsitzender, die Bauherren davon zu überzeugen, zu den geplanten acht sechs weitere Bewerber zuzulassen. Das kostet zwar Geld, im Vergleich zu den Baukosten ist dieser Betrag aber verschwindend klein, und die Ergebnisse zeigen, daß er durch die Lösungen leicht aufgewogen wird. Einige Projekte nutzten die Tiefe des Grundstücks und schlugen langgestreckte Baukörper vor: Bei Boris Podrecca entsteht dabei eine urbane Skulptur mit großer Rhetorik, bei Martin Kohlbauer eine feingliedrigere, manieristisch durchgeformte Komposition. Hans Mesnaritsch trennt Schule und Turnsaal in zwei scheinbar hermetische Blöcke mit einer überraschenden Offenheit im Erdgeschoß. Franziska Ullmann und Peter Ebner schlagen eine mäanderartige Struktur mit ungewöhnlichen Innenräumen vor. Die Entscheidung fiel letztlich zwischen zwei kompakten Projekten, die sich auf einen Teil des Grundstücks beschränkten: Den Zuschlag erhielt die Architektur Consult Ziviltechniker GmbH, hinter der Namen wie Günther Domenig, Hermann Eisenköck und Herfried Peyker stehen. Sie öffnen in drei parallel geführten Klassentrakten zwei verschränkte Hallenräume, die sich in einer überzeugenden Abfolge zum seitlich angesetzten, teilweise in die Erde eingegrabenen Turnsaal staffeln - ein im besten Sinn gefälliges Musterschülerprojekt, bei dem keine Fragen offen bleiben. Szyszkowitz/Kowalski schlugen dagegen eine nur zweigeschoßige Anlage mit wellenförmigen Dächern und fünf Höfen vor, ein Schüleruniversum abseits des Konventionellen, mit Widersprüchen und Irritationen, dessen großes Potential in der Jury aber keine Mehrheit finden konnte.

Angesichts solcher Konkurrenzen auf hohem Niveau beweist sich die Republik, vertreten durch die Bundesimmobiliengesellschaft, als kompetenter Bauherr. Die BIG, die in den acht Jahren seit ihrem Bestehen immerhin vier Bauherrenpreise erhalten hat, wird in Zukunft eine noch größere Verantwortung bekommen: Bis Anfang 2001 soll ihr auch die Bundesbaudirektion unterstellt werden. Im derzeit in Begutachtung befindlichen Gesetzesentwurf zur Ausgliederung der Bundesimmobilien finden sich freilich bedenkliche Anzeichen jener österreichischen Tendenz, Richtlinien festlegen zu wollen, wo Entscheidungen gefordert wären.

In Zukunft sollen der BIG vom Wirtschaftsministerium zu erarbeitende „bundeseinheitliche Standards für architektonische Gestaltung“ vorgeschrieben werden - im schon jetzt überreich verregelten Milieu des Bauwesens eine absurde Idee.
Daß in Zukunft bei allen größeren Projekten anonyme baukünstlerische Wettbewerbe vorgeschrieben sind, ist dagegen zu begrüßen. Dafür spricht beispielsweise, daß beim jüngst durchgeführten zweistufigen Wettbewerb für die Erweiterung der Wiener U2 nicht die Platzhirsche, sondern mehrere junge Büros in die Letztauswahl kamen. Maßnahmen zur Förderung jüngerer Architekten gibt es aber auch im Bewerbungsverfahren, indem etwa eine Quote für Bewerber ohne einschlägige Referenzprojekte eingeführt wird. Ob die amtliche Festlegung einer numerischen Grenze von 70 Millionen Schilling (5,09 Millionen Euro) Bausumme, ab der in Zukunft anonyme Wettbewerbe vorgeschrieben sein sollen, eine Architekturpolitik ersetzt, die auf klare Zielvorgaben flexibel mit der jeweils besten Strategie reagiert, ist jedoch mehr als fraglich.

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