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Es entsteht halt überall was
Spectrum

Es sind scheinbar kleine Projekte: U-Bahn-Abgänge, Straßenbahn-Stationen, Kioske. Aber sie haben große Auswirkungen auf die Stadt. Über Höhe- und Tiefpunkte der Wiener Stadtmöblierung. Eine Polemik.

11. November 2000 - Christian Kühn
Als der parlamentarische Ausschuß für Öffentlichkeitsarbeit endlich seine Entscheidung für das neue Wahrzeichen des österreichischen Parlaments getroffen hatte, herrschte Erleichterung. „Hohes Haus“ - wie ließe sich dieser Begriff besser vermitteln als durch die direkte Übersetzung ins Räumliche? Kein Hochhaus, sondern ein Haus hoch oben, schlicht gestaltet, eine Urhütte über den Dächern. Für die nächsten Jahre wird es uns mit seiner schnörkellosen und doch bodenständigen Sachlichkeit als Wahrzeichen des allgemeinen Sparwillens und symbolische Bauhütte für den Umbau unseres Landes begleiten.

Diese Geschichte ist frei erfunden. Was staunende Passanten seit einigen Wochen vom Ring aus bewundern können, ist ein Schutzhaus für die Renovierung der acht bronzenen Pferdegespanne auf dem Dach des Parlaments, die in einem so schlechten Zustand sind, daß sie nicht mehr transportiert, sondern nur noch an Ort und Stelle renoviert werden können. Weil diese Arbeit pro Gespann etwa ein halbes Jahr in Anspruch nimmt und das Schutzhaus dann zum nächsten Gespann übersiedelt, ist in den nächsten vier Jahren für immer neue surrealistische Effekte im Stadtbild gesorgt. Selbst wer es grundsätzlich richtig findet, daß eine Hütte nicht mehr sein will als eben eine Hütte, wird sich in diesem Fall fragen, ob es nicht andere, technologisch avanciertere und vielleicht sogar preiswertere Wege gegeben hätte, einen Klimaschutz für die Renovierungen zu errichten.

Die Gleichgültigkeit gegenüber den größeren städtebaulichen Auswirkungen eines scheinbar kleinen Projekts, mit der hier vorgegangen wurde, ist in Wien leider kein trauriger Spezialfall, sondern verbreitet. Die „Stadttore 2000“, die seit dem Nationalfeiertag die Wiener Innenstadt umgeben und bis Mitte Jänner stehen bleiben sollen, sind ein weiteres Beispiel. Auf Initiative von Vizebürgermeisterin Laska und bezeichnenderweise im Auftrag einer „stadt wien marketing service gmbh“ durften junge Künstler und Künstlerinnen die wichtigsten Zufahrtsstraßen zur City dekorieren - als gelte es, eine Shopping-Mall fürs Weihnachtsgeschäft aufzurüsten. Der- artige Dauerspektakel führen zu keiner neuen Erfahrung von Stadt, wie es etwa die kurzfristig rot gefärbelte Secession getan hat; sie haben jedoch eine fatale Konsequenz: Wo dauernd dekoriert wird, braucht sich niemand mehr über Gestaltung ernsthafte Gedanken zu machen.

Am deutlichsten wird das im Moment im Umfeld der Wiener Oper. Nicht, daß man hier keine ambitionierten Architekten beschäftigt hätte: Henke und Schreieck haben den Abgang zur Opernpassage umgestaltet und um einen verglasten Lift ergänzt. Luigi Blau hat den neuen Kiosk für die Vereinigten Bühnen Wien mit integriertem Abgang und Lift zur behinderten-freundlichen Erschließung der Tiefgarage entworfen. Ein Ersatz für den von Maria Auböck für eine Mozart-Ausstellung entworfenen Pavillon der Vereinigten Bühnen, der seit Jahren wie ein verirrtes Kulissenteil vor der Oper stand, war tatsächlich längst überfällig.

Luigi Blaus erster Entwurf sah einen kleinen Pavillon auf dreieckigem Grundriß mit einem kreisrunden Dachschirm vor, einen noblen, dem besonderen Ort angemessenen Verwandten der Straßenbahnstationen, mit denen Blau seinen bisher gelungensten Beitrag zur Wiener Stadtmöblierung geleistet hat. Vor Baubeginn stellte sich jedoch heraus, daß der Betreiber der Operngarage ein paar Meter weiter einen Lift an die Oberfläche führen wollte. Die MA 19, in Wien zuständig für Stadtgestaltung, schaltete sich ein: Blau solle eine kombinierte Lösung finden. Das Ergebnis ist ein Edelstahlflugdach, unter dem sich - wie Blau sagt - die diversen Nutzungen „parasitär ansiedeln“. Ob dieses Thema vor der Oper klug gewählt ist, sei dahingestellt: Für den unvorbereiteten Betrachter sieht die Lösung einerseits aufwendig, andererseits reichlich verquetscht aus, und die nachts bestrahlten Edelstahloberflächen, die den Dialog mit Henke und Schreiecks Lösung ein paar Meter weiter aufnehmen sollen, erzeugen alles andere als angenehme Reflexionen. Immerhin ist es Blau gelungen, die Abtragung der bollwerkartigen Einfassung der Tiefgaragenabfahrt zu bewirken. Wenn nichts dazwischenkommt, wird nächstes Jahr statt dessen ein Geländer aus Edelstahl angebracht.

Trotzdem: An einem Gestaltungskonzept für das gesamte Umfeld der Oper scheint niemand ernstlich interessiert zu sein. Auf Anfrage bei der MA 19 erhält man dazu eine reichlich resignative Antwort: „Überall entsteht halt irgendwas.“ Und da versuche man eben, das Beste daraus zu machen, wie etwa im Falle des Pavillons der Vereinigten Bühnen. Bei diesem Anspruch gelingt in der Summe nicht einmal das Mittelmäßige. Und von dort geht es dann rasch weiter ins Inferiore: Kürzlich wurde, direkt nach dem von Henke und Schreieck gestalteten Abgang, die „Vienna Opera Toilet“ eröffnet. Ein privater Betreiber, der im Hundertwasser-Haus die „Vienna Art Toilet“ führt, hat die Toilettenanlage mit rotem Plüsch und Theaterplakaten dekoriert, spielt Musik vom Band und verlangt dafür den stolzen Preis von sieben Schilling. Die Holzverschalung neben diesem Tiefpunkt der Wiener Gastlichkeit markiert übrigens den Ort, an dem eine Videoinstallation von „museum in progress“ geplant ist: Überall entsteht halt was.

Zyniker werden in diesem Aufeinandertreffen ein natürliches Phänomen sehen: Jede Stadt bekommt, was sie verdient, und morgen sieht alles wieder anders aus. In einer pluralistischen, vom Markt beherrschten Gesellschaft von gestalterischen Zusammenhängen zu träumen sei - selbst wenn man nur von den 100 Metern zwischen Kärntner Straße und Opernpassage spricht - schlicht naiv. Aber was ist daran naiv, von der öffentlichen Hand zu verlangen, daß sie eine Toilettenanlage ohne Plüsch betreibt? Oder daß sie das Café in der Opernpassage nicht an eine Fast-food-Kette vermietet, nur weil das ein paar tausend Schilling im Jahr mehr an Mieteinnahmen bringt? Welche Nutzung diesem zentralen Raum der Opernpassage gegeben wird, ist nämlich eine städtebauliche Frage, von der die Qualität des gesamten Umfelds wesentlich abhängt.
Auch der scheinbare Pluralismus bei der Gestaltung der diversen Abgänge und Kioske, mit dem sich die MA 19 vor einer Qualitätsdiskussion drückt, ist alles andere als selbstverständlich. Als nächster wird Kurt Schlauss zum Zug kommen. Sein Entwurf für die Überdachung der Badner-Bahn-Station auf der anderen Seite des Rings ist eine bizarre Kombination aus einem Flugdach - das von über dem Dach liegenden, nach hinten abgespannten Fachwerks-trägern in Position gehalten wird - und einer Glastonne, die an den bestehenden schlichten Aufgang anschließt: Überall entsteht halt was.

Nun gibt es in Wien seit kurzem einen „Strategieplan“ - vom Stadtrat für Planung und Zukunft initiiert und als wesentliches Instrument einer neuen Stadtplanung vorgestellt -, in dem diese Fragen durchaus angesprochen werden. Wien müsse einen „kultivierten Umgang mit dem Stadtraum“ pflegen, der auch die „Rücknahme funktioneller und gestalterischer Überfrachtung“ mit einschließe. Der Stadtraum sei nicht nur Erlebniswelt, sondern auch ein „Medium für Vertiefung und Reflexion“. Die „Qualitätssuche im Wettbewerb“ wird ausdrücklich befürwortet, ebenso die „Managementorientierung in der Planung“. Solange dieser Plan als Liste frommer Wünsche belächelt und nicht als Kampfschrift gegen die herrschenden Zustände gefürchtet wird, darf man sich freilich nicht allzu viele Hoffnungen machen.

Um eines klarzustellen: Es geht hier nicht um Stadtbildschutz und Ortsbildpflege. Was im Umfeld der Oper zu sehen ist, sind die Spuren von Geldgier, Dummheit, Frustration, Zynismus und vor allem Gleichgültigkeit. Gute öffentliche Räume entstehen dort, wo um Qualität gekämpft wird, in Wien etwa zuletzt auf dem Judenplatz, einem der wenigen wirklich urbanen Plätze Wiens. Er wäre ein Modell: nicht in der Art der Gestaltung, denn nicht jeder urbane Platz muß autobefreit und hochkonzentriert sein - sondern im kompromißlosen Qualitätsanspruch, mit dem hier der Stadtraum in Auseinandersetzung mit kontroversiellen Interessen als öffentliche Sache verhandelt wurde.

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