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Es geht auch ohne Kichern
Es geht auch ohne Kichern, Foto: Margherita Spiluttini
Es geht auch ohne Kichern, Foto: Margherita Spiluttini
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Kostenoptimierung mehrgeschoßiger Wohnbauten: Unter diesem Motto stand die Errichtung einer Siedlung im Süden Wiens. Und Puchhammer, Krischanitz, Prohazka & Co. stellten eindrücklich unter Beweis, daß sie auch die Kunst des Sparens beherrschen.

9. Dezember 2000 - Christian Kühn
Wien ist, zumindest was die Bausubstanz aus dem 20. Jahrhundert betrifft, im wesentlichen vom Wohnbau geprägt. Bedeutende öffentliche Bauten, die nach dem Ersten Weltkrieg errichtet wurden, sind rar, während sich die Gemeinde Wien nicht nur zum größten „Hausherrn“ Österreichs entwickelt hat, sondern mit den Gemeindebauten des „Roten Wien“ auch einen respektablen Beitrag zur Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts geleistet hat.

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war die Wohnbautätigkeit vor allem von quantitativen Kriterien bestimmt: „Das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl“ lautete die utilitaristische Devise. Wenn diese Entwicklung irgendwo ihren Höhepunkt gefunden hat, dann in Harry Glücks Wohnhausscheiben in Alt-Erlaa am Südrand des Wiener Stadtgebiets. Soziologische Studien attestieren diesen Bauten seit Jahren, Orte des größtmöglichen Glücks im Sinne der „Wohnzufriedenheit“ zu sein, und über die größtmögliche Zahl kann es angesichts von über 3000 Wohneinheiten in einer Anlage keine Diskussionen geben.

Seit die U-Bahn-Linie U6 bis Siebenhirten ausgebaut ist, ist das Gebiet südlich von Alt-Erlaa attraktiv für neue Wohnbebauung geworden. Unmittelbar anschließend an die terrassierten Hochhäuser liegt das Areal „In der Wiesen“, das als städtebauliche Antithese zu Glücks utilitaristischer Vorstellung konzipiert wurde. Der Bebauungsplan von Franziska Ullmann mit seinen Höfen und Straßenräumen ist zwar gut gemeint, das gebaute Ergebnis jedoch alles andere als glücklich: Jenseits einer bestimmten Gebäudehöhe funktioniert der Städtebau nach den mühsam adaptierten Vorbildern des 19. Jahrhunderts einfach nicht mehr. Was im Lageplan vertraut aussieht, wirkt in der Realität so zwanghaft, daß
die Hochhausscheiben daneben eine vergleichsweise poetische Ausstrahlung bekommen.

Im städtebaulichen Wettbewerb für „In der Wiesen“ gab es im übrigen durchaus Projekte, die sich der Herausforderung des Orts stellten, insbesondere einen Vorschlag von Rudolf Prohazka, der sich den Dimensionen der Glückschen Hochhausscheiben zwar annäherte, jedoch eine typologisch vielfältigere Bebauung und einen urbanen Park zwischen parallelen Zeilen vorschlug. Dieser öffentliche Raum hätte sich von Glücks Abstandsgrün unterschieden, ohne auf traditionelle, bei der geforderten Dichte aber unbrauchbare Muster zurückgreifen zu müssen.

Zwei U-Bahn-Stationen weiter stadtauswärts findet sich ein Beispiel für eine Urbanisierung, die im Gegensatz zu „In der Wiesen“ ihren Namen verdient. Am Anfang stand hier zu Beginn der neunziger Jahre die Idee eines „Multifunktionalen Zentrums Perfektastraße“, das im Rahmen der U-Bahn-Verlängerung entstehen sollte. Raimund Abraham hatte ein monumentales Leitkonzept entwickelt, das sich als nicht realisierbar erwies, Hans Puchhammer und Rudolf Prohazka konzipierten schließlich für einen Teil des Areals eine neue städtebauliche Figur.

Puchhammer schlug entlang der U-Bahn-Trasse zwischen zwei Stationen eine gestaffelte Abfolge von fünf Türmen vor, denen niedrige, nach Süden orientierte Zeilen vorgelagert sind. Rudolf Prohazka entwickelte für den Abschluß des Areals im Süden eine Randbebauung, die zur U-Bahn-Station überleitet.

Das alles ist nicht spektakulär, aber im Detail raffiniert: Puchhammer hat die 26-Meter-Türme nicht einfach neben die Zeilen gesetzt, sondern jedem Turm einen niedrigeren Baukörper angefügt, der die Höfe zwischen den Zeilen abschließt und typologische Variationen der Türme herausfordert. Die interessanteste Variation ist Puchhammer selbst gelungen, ein Bau mit starker Physiognomie und vertrackten Symmetrien, die aber insgesamt ein spannungsvolles Gleichgewicht halten. Im Erdgeschoß führt eine Passage durch das Gebäude zu einer gut belichteten inneren Halle mit zwei einander gegenüberliegenden offenen Treppenhäusern.

Von Puchhammer stammt auch noch der Kopfbau der anschließenden Zeile, die das nach Norden hin schmäler werdende Grundstück abschließt. Die Zeile selbst ist von Ganahl / Ifsits / Larch entworfen, ein typologisch interessanter, fünfgeschoßiger Bau: Im ersten und zweiten Stock liegen Geschoßwohnungen, im dritten Stock eine gut 80 Meter lange Straße mit Zugängen zu 21 sehr großzügigen Maisonetten. In diesem Gang macht sich das Motto der Siedlung - „Kostenoptimierung mehrgeschoßiger, ökologisch sinnvoller Wohnbauten“ - freilich unangenehm bemerkbar: Die vorgesehenen Fenster, die diesen halböffentlichen Raum mit den Küchen visuell verbunden hätten, konnten aus Kostengründen nicht realisiert werden. Sie sind tatsächlich „unnötig“ und von den Bewohnern angeblich gar nicht gewünscht, aber selbst rüschenverhangen hätten sie diesem Gang ein soziales Potential gegeben, das man nun schmerzlich vermißt.

Daß man bei dieser Siedlung versucht hat, die Kosten zu reduzieren, ist an sich begrüßenswert. Es handelte sich um einen der ersten „Bauträgerwettbewerbe“, bei denen bereits in der Wettbewerbsphase Architekt und Bauträger gemeinsam antreten müssen. Die Kosten konnten durch diese Konkurrenzform um bis zu zehn Prozent gesenkt werden. (Beim Wohnbau von Ganahl / Ifsitz / Larch betragen die monatlichen Mieten 60 Schilling (4,36 Euro) inklusive Betriebskosten pro Quadratmeter, bei einem Bau- und Grundkostenanteil von 5700 Schilling. Nach zehn Jahren besteht die Möglichkeit, die Wohnung ins Eigentum zu übernehmen.)

Die Drohung, bei Überschreiten der Baukosten die gesamte Förderung zu streichen, hat jedoch den unangenehmen Nebeneffekt, daß oft für wenige Prozent Ersparnis entscheidende Qualitäten jenseits der funktionellen Grundanforderungen gestrichen werden. Die Kunst des Sparens will unter diesen Bedingungen gelernt sein. Adolf Krischanitz hat in seinem Bauteil eine Lösung gefunden: Das Projekt muß von Anfang an Elemente enthalten, auf die man ohne gravierende Verluste verzichten kann. Krischanitz hatte in seinem Wettbewerbsprojekt eine aufwendige, schräg vor die Fassade gestellte Solarzellenwand vorgesehen. Im Lauf der Planung ist sie aufs Dach gewandert und spielt dort kaum mehr eine visuelle Rolle. Geschadet hat das dem Bau nicht: Er ist der zurückhaltendste in der ganzen Anlage, eine urbane Zeile ohne Effekte, aber mit hohem Nutzwert, etwa den großzügig bemessenen Terrassen. Die formalen Effekte, mit denen Krischanitz arbeitet, sind gerade deshalb wirkungsvoll, weil sie nicht sofort ins Auge springen - im Gegensatz etwa zu den Nachbarbauten von Hermann und Valentiny, die sich an der russischen Revolutionsarchitektur zu orientieren scheinen und mit einem entsprechenden Arsenal an Farben, Materialien und Formen auffahren.

Bei Krischanitz finden sich Stahlbeton und warm-grauer Putz und als Hauptthema die Spannung zwischen der langgestreckten Zeile und den tragenden Querwänden. Eine Verschränkung von Baukörpern in den obersten beiden Stockwerken gibt dieser Zone eine besondere plastische Qualität. Die Innenräume sind gut proportioniert und zeigen im übrigen, daß man auch ohne vollflächige Verglasungen zeitgemäße Raumqualitäten herstellen kann.

Krischanitz verwendet dieselben Bandfenster auch auf der Nordseite, wo sie ohne Variation durchlaufen. Tristesse? „Gemütlich bin ich selbst“, sagt Karl Kraus. Der strenge formale Kanon der frühen Moderne, den Krischanitz hier transformiert, steht dem Leben jedenfalls nirgends im Weg. Wenn ein Haus schon „auf ewig“ gebaut sein muß, dann ist diese Reduktion noch allemal erträglicher als das Kichern der Postmoderne.

Ein völlig anderer Ansatz findet sich im Bauteil von Rudolf Prohazka, der die Anlage nach Süden, zur Perfektastraße hin, abschließt. Prohazkas Thema ist die Verschränkung von Räumen mit dem Ziel, auf der symbolischen wie auf der konkreten Ebene Begegnungen zu ermöglichen. Die Idee, die Perfektastraße als Straßenraum mit einer breiten Arkade abzuschließen, verdient Respekt, ist diese Straße doch der Prototyp der „bösen“, weil vielbefahrenen Verkehrsstraße - und doch kein bißchen lauter als die Wiener Ringstraße im Frühverkehr. Diese Arkade ist ein urbanistisches Signal gegen neue Funktionstrennung in der „Zwischenstadt“, die zu autonomen Inseln inmitten eines breiten Verkehrsstroms führt. Die hängenden Lärmschutzwände aus Glas, mit denen Prohazka südorientierte Höfe zu diesem Straßenraum schafft, sind ein weiteres Signal in diese Richtung. In den Ecken der Höfe hat er Stiegenhäuser und Lifte teilweise offen plaziert, um den Kontakt zwischen den Bewohnern zu fördern.

Auch die übrigen Bauteile - von NFOG und Georg Feferle - erreichen ein erfreulich hohes Niveau. Die sehr unterschiedlichen formalen Ansätze lassen den Besucher zwar mit dem Gefühl zurück, eine Oper in fünf Akten gesehen zu haben, die zuerst nach Verdi, dann nach Prokofjew und schließlich nach Krenek klingt. Im Vergleich zu „In der Wiesen“, wo ganz andere Melodien viel zu laut und meist schlecht intoniert auftreten, scheint an der Perfektastraße die Urbanisierung der „Zwischenstadt“ gelungen zu sein.

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