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Kühner Schwung
Neue Zürcher Zeitung

Die Schalenbauten von Ulrich Müther

1. Dezember 2000 - Jürgen Tietz
Elegant geschwungen, sanft gewellt oder auch zackig expressiv: Der Form des Baustoffs Beton scheinen kaum Grenzen gesetzt zu sein. Besonders deutlich führen das jene faszinierenden Solitäre vor Augen, die Ulrich Müther entworfen hat, der bedeutende Schalenbaumeister der DDR. Futuristisch anmutende Entwürfe befinden sich unter seinen Werken, wie etwa die pilzartig aus dem Boden wachsende Rettungsstation aus dem Jahr 1968, die am Strand von Binz auf Rügen steht. Mit ihren geschwungenen, hauchdünnen Dachkonstruktionen bilden Müthers Schalenbauten als Veranstaltungsorte und Gaststätten besondere Glanzpunkte, so etwa der «Tee-Pot» in Warnemünde oder die «Seerose» in Potsdam. Die Namen zeigen: Es sind sprechende Architekturen und zugleich beredte Zeugnisse der Ingenieur- und Baukunst. Doch zahlreiche der kunstvollen Konstruktionen Müthers sind heute stark abrissgefährdet. Bereits verloren ist das denkmalgeschützte Ahornblatt in Berlin. Ursache für die Gefährdung dieser filigranen Baukunstwerke ist nicht etwa deren Erhaltungszustand, sondern der lieblose Umgang mit diesen bedeutenden Zeugnissen der ostdeutschen Nachkriegsmoderne. Eine von Winfried Dechau herausgegebene Publikation widmet sich jetzt dem zu Unrecht lange vernachlässigten Werk Müthers. Dabei skizziert Berthold Burkhardt die Geschichte des Betonschalenbaus, während Simone Hain ihn in den Rahmen der industriellen Baukultur der DDR einordnet. Abgerundet wird der Band durch ein Porträt Müthers von Kerstin Weinstock sowie durch ein Werkverzeichnis. So schmal die Publikation ist, so spannend und wichtig ist sie. Sie kann helfen, dass nach dem Abriss des Ahornblattes nicht noch weitere Solitäre Müthers verloren gehen. Denn das heute leerstehende Restaurant «Inselparadies» in Baabe auf Rügen ist durch Vandalismus bereits stark in Mitleidenschaft gezogen worden, und auch für die ehemaligen Messehallen in Rostock muss Dechau resümieren, dass sie derzeit als Autohaus «kaputtgenutzt» werden.


[Kühne Solitäre. Ulrich Müther - Schalenbaumeister der DDR. Hrsg. Winfried Dechau. DVA, Stuttgart 2000. 87 S., Fr. 37.-. ]

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