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Der silberne Mittelweg
Der silberne Mittelweg, Foto: Bruno Klomfar
Der silberne Mittelweg, Foto: Reinold Lins
Der silberne Mittelweg
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Ob Gestaltungsbeiräte nur als Hürde im Bauverfahren wahrgenommen werden oder als von allen Seiten akzeptierte Schiedsrichter, hängt von der Rückendeckung der Politik ab. Die Arbeit des Feldkircher Fachbeirats für städtebauliche und architektonische Fragen liefert Lehrstücke geglückter Moderation.

3. Februar 2001 - Christian Kühn
Architektur ist so gut wie immer mit Konflikten verbunden. Das liegt in der Natur der Sache: Grund und Kapital sind knappe Güter, und gerade öffentliche Bauvorhaben müssen sich ihre demokratische Legitimation oft hart erkämpfen. Das Niveau der damit verbundenen Auseinandersetzung ist stets auch ein Gradmesser der Konfliktkultur: Das unwürdige Gezerre um das Wiener Museumsquartier ist noch in schlechtester Erinnerung, ebenso die Art, wie jüngst das Linzer Musiktheater verhindert wurde.

Monika Forstinger, neue Infrastrukturministerin, scheint nun diese Strategie von Oberösterreich auf die Bundespolitik übertragen zu wollen, wenn sie der Bahnhofsoffensive der ÖBB ein ähnliches Schicksal voraussagt: Man solle sich, ließ sie kürzlich verlauten, besser um die Sanitäranlagen der Bahnhöfe kümmern, statt architektonische Selbstdarstellung zu betreiben.

Vor der Anregung der Grünen, Forstinger möge sich bei ihrem Vorgänger, dem Architekten Schmid, Anregungen zum Umgang mit dem Thema Architektur holen, ist zu warnen. Dessen Beitrag als zuständiger Landesrat in der Steiermark bestand im Versuch, die steirische Baukultur auf Provinzniveau abzusenken. Empfehlenswert wäre jedoch eine Nachfrage in Vorarlberg, wo die systematische Qualifikation des Baugeschehens von allen Parteien getragen wird. Eine jüngst von der Stadt Feldkirch herausgegebene Publikation über die Arbeit des dortigen Fachbeirats für städtebauliche und architektonische Fragen könnte als einführende Lektüre dienen. Walter M. Chramosta, selbst seit 1995 Mitglied dieses Beirats, hat darin das Wechselspiel zwischen Bauherren, Architekten, demokratisch gewählten Entscheidungsträgern und externen Experten anhand ausgewählter Projekte dargestellt.

Der Gestaltungsbeirat, schreibt Bürgermeister Wilfried Berchtold im Vorwort, sei in den acht Jahren seines Bestehens von der „anfänglich als weitere ,Hürde' im Bauverfahren wahrgenommenen Rolle in die Position eines von allen Seiten akzeptierten ,Schiedsrichters' hineingewachsen“. Er habe „nicht nur einige drohende ,Bausünden' zu verhindern gewußt, sondern Vorhaben ermöglicht, die sonst möglicherweise auf der Strecke geblieben wären“. Das gilt besonders für die heikle Frage des Bauens im historischen Zentrum, wo mit den Projekten der Braugaststätte Rösslepark, die schließlich vom Atelier Rainer + Amann realisiert wurde, und dem Wohn- und Geschäftshaus Furtenbach-Areal von Bruno Spagolla und Wolfgang Ritsch Maßstäbe gesetzt wurden.

Im Fall der Braugaststätte konnte dem Bauwerber deutlich gemacht werden, daß die von einem Spezialisten für Erlebnisgastronomie projektierte Fassadenkulisse als Ersatz für ein 1994 niedergebranntes altes Gebäude eine Beleidigung der historischen Substanz darstellte. Der daraufhin abgehaltene Wettbewerb brachte 1996 ein respektables Ergebnis, das im Gestaltungsbeirat noch zwei Begutachtungsrunden zu absolvieren hatte. Für den Beirat war dieses Projekt ein Meilenstein: Daß sich die Frastanzer Brauerei als „alteingesessener“ Bauherr zu einer derart anspruchsvollen Lösung durchringen konnte, erregte Aufsehen und wurde durch die in allen Altersschichten hohe Akzeptanz der neuen Braugaststätte belohnt.

Beim Furtenbach-Areal war die Aufgabe des Beirats noch wesentlich heikler. Einerseits galt es, den für die Belebung der Altstadt dringend benötigten Investor in seinen ökonomischen Ansprüchen zu befriedigen, andererseits dieselbe Altstadt vor den zerstörerischen Nebeneffekten einer rein ökonomischen Logik zu bewahren - ein drei Jahre dauernder Balanceakt mit einer Vielzahl von Abstimmungen im großen und in den ebenso bedeutsamen Details, etwa der Ausbildung der Geschäftsportale.

Der Beirat sieht in seinen oft pointiert formulierten Einwendungen den Versuch, die Kompetenz der Architekten herauszufordern. Nur in wenigen Fällen fühlen sich die Planer dabei bevormundet, viel öfter sehen sie sich in ihren Anliegen gegen den Druck des Auftraggebers bestärkt, der gerade bei Geschäftsbauten meist nur in quantitativen Kriterien zu denken gewohnt ist. Aber auch er kann in der Regel davon überzeugt werden, daß die totale Ausschlachtung eines Grundstücks seinen eigenen Interessen zuwiderläuft: Zumindest im Vorarlberger Umfeld, das Qualität zu schätzen weiß, lassen sich mit Brachiallösungen keine Renditen mehr erzielen.

Ein Projekt von der Komplexität des Furtenbach-Areals zeigt freilich auch die Grenzen des Fachbeirats auf, der sich für eine solche Materie zu selten und zu kurz trifft. „Für derartige Großvorhaben“, schreibt Chramosta, „wäre ein mit dem Fachbeirat koordinierter Projektbeirat mit eigener Geschäftsordnung und interdisziplinärer Besetzung empfehlenswert.“

Daß der Bürgermeister von einem spezifischen „Feldkircher Beiratsmodell“ sprechen kann, liegt vor allem am engen Kontakt zwischen Beirat und politischen Entscheidungsträgern. Anders als bei vielen Beiräten, deren Mitglieder zwar eng mit Beamten kooperieren, aber kaum mit gewählten Mandataren zusammenkommen, gibt es in Feldkirch ein interessiertes politisches Gegenüber in Form des Planungsausschusses. Unmittelbar nach jeder der alle zwei Monate stattfindenden Sitzungen des Beirats werden diesem Ausschuß die behandelten Projekte, die Befunde und die Stellungnahmen des Beirats erläutert: bisher 81 positive, 72 bedingte - also mit Auflagen verbundene - und 150 negative Stellungnahmen, wobei rund 10 Prozent aller Bauvorhaben dem Beirat vorgelegt werden. Weil die meisten dieser Projekte noch vor der formalen Einreichung behandelt werden können, ist der Beirat auch ein nützliches Instrument, um Verfahrensabläufe für den Bauherren zu erleichtern und mitunter auch zu beschleunigen.

Die Publikation gibt einen guten Einblick in die Arbeit des Beirats: Das Auf und Ab der einzelnen Projekte wird nachvollziehbar, die Abfolge von positiven und negativen Zwischenbefunden, die Bedeutung der präzisen, auch allgemein verständlichen Begründung. Die beginnt schon bei der Formulierung der jeweils den spezifischen urbanistischen Bedingungen angepaßten Ziele: „das historische Zentrum ertüchtigen, die öffentliche Dienstleistung verorten, die urban-alpine Landschaft weiterbauen, die Siedlungsränder verdichten“. Gerade im letztgenannten Bereich, der für die besondere Situation im Rheintal strategisch bedeutsam ist, finden sich interessante Beispiele, etwa ein Verbrauchermarkt in der Nähe einer alten Kapelle, der dem Beirat fünf Mal vorgelegt wurde. Schrittweise gelang dabei die „Bewältigung der schwierigen, weil die Umformung einer dörflichen in eine vorstädtische Struktur radikalisierenden Bauaufgabe“.

Das Ergebnis beweist, daß derartige Entwicklungen nicht sich selbst überlassen bleiben müssen, sondern durchaus Gelegenheit für gestaltende Eingriffe bieten. Gerade an solchen Beispielen wird deutlich, daß die Arbeit des Beirats als Lehrstück geglückter Moderation nur möglich war, weil er die volle Rückendeckung einer wohlinformierten Politik hinter sich wußte.

Als Mitglieder des Beirats, die laut Statuten nicht in Vorarlberg niedergelassen sein dürfen, hat die Stadt immer Personen gewählt, die Statur genug haben, sich weder von Politikern noch von „Star-Architekten“ beeindrucken zu lassen: Marcel Meili, Hanno Schögl, Ernst Beneder, Rudolf Prohazka, Andreas Egger, Margarete Heubacher-Sentobe, Max Rieder sowie die drei aktuellen Mitglieder: Carl Fingerhuth, Marta Schreieck und Walter M. Chramosta.

Direkte Beeinflussung ist freilich weniger das Problem. Fingerhuth gehört beispielsweise auch dem Salzburger Gestaltungsbeirat an, der nicht an Beeinflussung leidet, sondern daran, daß er in wichtigen Fragen, etwa der Situierung des neuen Stadions schlicht übergangen wurde. Schon Ende 1998 hat er sich gegen den Standort beim Schloß Kleßheim ausgesprochen, ein Jahr später auf die „verkrampfte Tarnkappen-Ästhetik“ des siegreichen Wettbewerbs- projekts aufmerksam gemacht und den Vorschlag erneuert, das Stadion in Liefering zu situieren. Und für die Altstadt, die in Feldkirch zum Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Architektur wurde, ist der Salzburger Beirat überhaupt nicht zuständig. In Wien gibt es zwar nominell einen Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung, der jedoch durch seine beinahe sozialpartnerschaftliche Besetzung mit ortsansässigen Mitgliedern kaum als Instrument der Stadtgestaltung in Erscheinung tritt.

Auch wenn man Kleinstädte wie Feldkirch nicht mit Salzburg oder Wien in einen Topf werfen darf: Fachbeiräte sind, wie Chramosta schreibt, unverzichtbar als „silberner Mittelweg zwischen vollständiger Verregelung und vollständiger Liberalisierung“. Je größer der ökonomische Druck auf die Bauproduktion wird, desto mehr wird es in Zukunft eine unabhängige, fachlich kompetente Moderation brauchen, um die öffentlichen Ansprüche an den Stadtraum durchzusetzen.
Die Politik kann die notwendigen Rahmenbedingungen dafür schaffen - oder zerstören, wenn sie Qualitätsansprüche mit architektonischer Selbstdarstellung verwechselt.

Der von Walter M. Chramosta konzipierte und redigierte Band „Sichtung 1 - Bilanz zur Qualifikation von Planen und Bauen in Feldkirch 1997-99“ ist im Buchhandel und via E-Mail erhältlich (bauamt@rathaus.feldkirch.com).

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