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Begräbnis letzter Klasse
Begräbnis letzter Klasse © Lugner / MA 21
Spectrum

Daß Richard Lugner die Renditen seiner Projekte wichtiger sind als deren architektonische Qualität, ist ihm schwerlich vorzuwerfen. Das Versagen der Wiener Planungspolitik ist hingegen sehr wohl zu monieren. Ein Einwurf aus gegebenem Anlaß.

7. April 2001 - Christian Kühn
Bernhard Görg - zum damaligen Zeitpunkt wahlkämpfender Stadtrat für Planung und Zukunft - freute sich: Ganz ohne öffentliche Mittel werde es gelingen, eine Brücke über den Gürtel zu errichten, die den Fußgängern endlich den sicheren Übergang an der gefährlichen Kreuzung mit der Gablenzgasse ermögliche.

In der auflagenstärksten Tageszeitung Österreichs erschien dazu eine farbige Abbildung, die stutzig machte. Eher unbeholfen in ein Photo hineinmontiert war hier eine verglaste Bücke zu sehen, die zielstrebig auf die Flanke der neuen Stadt- und Landesbibliothek zuläuft, an deren Außenwand plötzlich abknickt und in einer beinahe endlos langen, nun aber nicht mehr glas-gedeckten Treppe parallel zum Gürtel endet. Das andere Ende der Brücke war auf der Abbildung nicht zu erkennen, was insofern mysteriös ist, als auf dem Gehsteig gegenüber weder für Auflager noch für Treppen Platz ist.

Das Rätsel klärt sich auf, wenn man erfährt, welchem Wohltäter die Fußgänger diese Brücke zu verdanken haben: Richard Lugner erweitert seine Lugner-City um ein Kinocenter und verbindet dieses durch die Brücke auf kürzestem Weg mit der U-Bahn-Station Burggasse.

Mittelfristig ist eine Verbindung bis zur Stadthalle vorgesehen, um Fußgängerverkehr und damit Kaufkraft dorthin zu bringen, wo Lugner sie am liebsten sieht. Für den Straßenraum der Umgebung bedeutet das zwar Konkurrenz, aber es wäre weltfremd, gerade hier den Verlust von Öffentlichkeit zu beklagen: Lugner hat mit seinen Investitionen sicher viel zur Sanierung des Gebiets beigetragen und zugleich verhindert, daß noch mehr Kaufkraft an die Peripherie abfließt.
Vorwerfen kann man Lugner allerdings, daß alles, was er bisher am Gürtel realisiert hat, vollständig architekturfreies Gebiet ist. Das gilt schon für die Lugner-City, und auch das neue „Lugnerplex“ wird keine ästhetische Bereicherung darstellen. Die Brücke ist schließlich auf beinahe groteske Art verunglückt: die drei Auflagersäulen neben der Bibliothek, die seltsamen Verknickungen des Glasdachs und schließlich die Treppe, die im Unterschied zur Photomontage natürlich nicht als normale Treppe (über die niemand freiwillig hinaufsteigen würde), sondern als Rolltreppe ausgeführt werden soll - mit allen Konsequenzen in bezug auf zusätzliche Konstruktionen und Maschinerie.
Mit der Transparenz der Brücke ist es ohnehin nicht weit her: Lugner wird kaum darauf verzichten, die Brücke als Werbeträger zu nutzen. Daß Lugner die Renditen seiner Projekte ein größeres Anliegen sind als deren architektonische Qualität, ist unerfreulich, aber nicht mehr. Besorgniserregend ist dagegen das bei diesem Beispiel symptomatische Versagen der öffentlichen Hand, von den politischen Entscheidungsträgern bis zu den für Stadtplanung und Stadtgestaltung zuständigen Behörden. Denn die Brücke ist nur das letzte Glied in einer Entwicklung, die sich bis ins Jahr 1995 zurückverfolgen läßt.

Richard Lugner war damals mit einem ersten Projekt zur Nutzung des Gürtelraums aufgetreten, nämlich einer Parkgarage, von der aus eine Brücke in die Lugner-City führen sollte. Der damalige Planungsstadtrat, Hannes Swoboda, lehnte diese Idee, die den Gürtelraum noch mehr als Verkehrsträger abgestempelt hätte, ab. Eine Überbauung der Stadtbahn wurde jedoch grundsätzlich positiv aufgenommen, allerdings nur für eine Nutzung, die mit der Idee einer „Jugend- und Kulturmeile“, die im Rahmen des von der EU geförderten URBAN-Projekts am Gürtel entstehen sollte, kompatibel wäre.

Swoboda empfahl Lugner auch einen Architekten für ein solches Projekt, nämlich Adolf Krischanitz, der sich bereits in den siebziger Jahren zusammen mit Otto Kapfinger in typologischen Studien mit der Stadtbahn beschäftigt hatte.
Krischanitz entwarf ein über der Stadtbahn schwebendes Gebäude, das - in Anlehnung an die Wolkenbügel-Projekte, die der russische Konstruktivist El Lissitzky und der Schweizer Ingenieur Emil Roth für das Moskau der 1920er Jahre entworfen hatten - „Wolkenspange“ getauft wurde: ein 200 Meter langes, eingeschoßiges Brückenbauwerk über der Stadtbahntrasse, getragen von vier Scheibenpaaren entlang der Futtermauern der U-Bahn. Die Außenwände waren aus Gläsern unterschiedlicher Transparenz gedacht, hinter denen sich die Silhouetten der Besucher abzeichnen sollten. Die Unterseite der Wolkenspange sollte im Bereich der Bahntrasse mit Lichtbändern versehen und zusätzlich in wechselnden Lichtinszenierungen bespielt werden.

Nach dem Wechsel von Hannes Swoboda nach Brüssel hatte das Projekt seinen politischen Fürsprecher verloren. Bald wurden Bedenken laut, daß Lugner unter der von ihm angekündigten Nutzung der Wolkenspange als „Jugend- und Kulturzentrum“ in Wahrheit eher eine Art von besserer Spielhalle verstehen würde und zumindest mittelfristig eine rein kommerzielle Nutzung über öffentlichem Grund entstehen würde.

Ob diese Spekulationen zutreffen, ist schwer zu sagen: Im Projekt von Krischanitz war ein Nutzungsmix vorgesehen: Geschäfte, Bars, Discotheken und Internetcafés ebenso wie explizit „konsumfreie“ Zonen, die tatsächlich als Jugendzentrum zu bespielen gewesen wären.

Bevor es notwendig wurde, sich über die Frage zu einigen, was denn heute unter Jugendkultur zu verstehen wäre, lieferte eine andere Institution einen willkommenen Anlaß, das Projekt zu begraben:

Der Wiener Fachbeirat für Stadtplanung und Stadterweiterung sprach sich aus Gründen des Stadtbildes gegen eine Überbauung des Neubaugürtels aus. Zwar gab es unter der Wiener Architektenschaft einigen Protest gegen diese Entscheidung, aber ohne Erfolg. Die Idee, den Gürtel durch neue bauliche Einrichtungen an dieser Stelle zu beleben, schien ad acta gelegt.

Allerdings nur für kurze Zeit: Anfang 1998 kam die Idee auf, statt der Wolkenspange eine neue Hauptbibliothek für die Wiener städtischen Büchereien zu errichten. Daß ein solches Bauwerk ein Mehrfaches des Volumens der Wolkenspange einnehmen würde, schien plötzlich nicht mehr zu stören. Von einem Aufschrei des Fachbeirats war zumindest öffentlich nichts wahrzunehmen.

Ein Wettbewerb wurde ausgeschrieben, den der Wiener Architekt Ernst Mayr für sich entscheiden konnte. Das Projekt besetzt den Gürtelraum massiv und reagiert auf den Urban-Loritz-Platz mit einer gigantischen Treppe, die zu einem kleinen Tempel auf dem Dach der Bibliothek führt - offensichtlich eine Metapher für Bildung, mit der sich die verantwortlichen Stadtpolitiker identifizieren konnten, vielleicht in Erinnerung an jene Zeiten, als man in den Wiener städtischen Büchereien nur dann ein belletristisches Buch entlehnen konnte, wenn man zusätzlich ein Sachbuch mit nach Hause nahm.

Daß keines der zahlreich vorhandenen besseren Projekte gewählt wurde, lag an den Kosten: Wer Bücher (Deckenbelastung pro Quadratmeter: rund 2,3 Tonnen) unbedingt an der lautesten Stelle Wiens freischwebend über die Stadtbahn hängen möchte, dem bleibt kein Geld mehr für Architektur.

Wenn Richard Lugner nun doch seine Brücke erhält, ist das nur die traurige Pointe dieser Geschichte. Die Brücke selbst läßt sich mit etwas gutem Willen vielleicht noch so gestalten, daß sie die Passanten nicht beleidigt. Skandalös wird aber bleiben, was der Stadt entgangen ist: die private Investition Lugners von über 200 Millionen Schilling (14,53 Millionen Euro), die ausnahmsweise in hochwertige Architektur geflossen wären, und eine Belebung des Stadtraums in einer Form, die der aktuellen kulturellen Entwicklung entsprochen hätte und nicht der in Wien nach wie vor herrschenden Fürsorge-Mentalität des größtmöglichen Glücks für die größtmögliche Zahl, die statt Glück nichts anderes erzeugt als dumpfe Unzufriedenheit. Wenn die neue Landesregierung das jüngste Wahlergebnis als Bestätigung dieser Mentalität interpretiert, kann man der Architekturentwicklung in Wien harte Zeiten vorhersagen.
In den letzten Jahren wurden stadtplanerische Entscheidungen nicht vom zuständigen Ressort, sondern dort getroffen, wo Macht und Budget zu finden waren. Bernhard Görgs Nachfolger wird Stadtplanung in Wien erst wieder zu einer ernstzunehmenden und ernstgenommenen Größe machen müssen. Es bleibt zu hoffen, daß er sich auch als Kulturstadtrat verstehen und die richtigen Verbündeten für diese Aufgabe suchen wird.

Neben der Reform und internationalen Öffnung des Fachbeirats ist eine Auffrischung auf Beamtenebene längst überfällig. Eine erste Gelegenheit dazu ergibt sich bei der Magistratsabteilung 19, der Abteilung für Stadtgestaltung. Wer dort nach der Pensionierung Dieter Pals mit welchen - in der Ausschreibung geforderten - „konzeptiven Vorstellungen über die zukünftigen Schwerpunkte“ der Abteilung als neuer Leiter zum Zug kommt, wird ein erstes wichtiges Signal sein.

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