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Die Abrechnung
Der Standard

Günther Domenig rechnet mit seiner Universität ab. Und ist stolz auf sein Statement zur NS-Architektur.

12. Mai 2001 - Thomas Trenkler
Eigentlich hätte es eine Geschichte über die „liegende Skulptur“ werden sollen, die Günther Domenig derzeit für max.mobil errichtet. Ein zwei-Milliarden-Schilling-Projekt immerhin. Aber wenn der Herr Professor, der mit fast 67 Jahren immer noch - pardon - so goschert redet, wie ihm der Kärntner Schnabel gewachsen ist, das Gespräch mit dem Satz beginnt: „Na, is eh besser, wenn S' drüber net schrei'm.“ Und wenn er plötzlich innehält, dann wird man einfach neugierig. Der alte Fuchs weiß das auch ganz genau: Er blinzelt listig, um schließlich wie beiläufig zu erwähnen, dass er er an der Grazer Architekturfakultät eine Abschiedsvorlesung halten wird.

„Mein Nachfolger hat sich das gewünscht. Na guat, jetzt sprech ich halt. Aber das wird kein Vortrag sein des Inhalts, wie guat ich doch bin. Ich erzähl überhaupt nix über mi, außer a paar Sachen natürlich. Sondern äußere mich kritisch über die Situation unserer Fakultät.“

„Wann?“ - „Waas i net.“ - „Und wo?“ - „Sie san schon a lästigs Mandl!“ Dann ruft er nach seiner Assistentin: „Sabine! Sie müssen mir a bissl zur Verfügung stehen. Der Trenkler ist mit mir allan net zufrieden. Zu ungenau, sagt er.“ - „Das stimmt nicht!“ - „Entweder Sie machn a Interview mit mir, oder Sie protestieren!“

Also: Am 16. Mai. Um 19 Uhr. Im Hösaal 1 des Instituts für Gebäudelehre und Wohnbau an der TU Graz, Lessingstrasse 25, 4. Stock. Titel: „Meine Abrechnung.“ Danach spricht Hrvoje Njiric: „Meine Anzahlung“.

Warum eigentlich eine Abrechnung? „Ich war 20 Jahre auf der Fakultät. Und ich habe feststellen müssen, dass sie durch die Verantwortlichen, sprich: hauptsächlich durch die Dekane, in den Keller geschossen wurde. Man hat nur die ganzen Verwaltungsbedingungen erfüllt. Die Dekane waren letztlich alle Paragrafen-Clochards. 1980, als ich an die Hochschule gekommen bin, gab es 1200 Studenten und 48 Lehrer inklusive der Assistenten. Jetzt gibt es über 2500 Studenten - und 50 Lehrer. Das heißt, wir haben zwei zusätzliche Assistenten geschenkt bekommen. Dieses Verhältnis von 1:50 kann nicht funktionieren, zumindest in der Architektur nicht. Ich wollte ja schon früher gehen, aber ich habe aus Intrigen-Gründen noch zwei Jahre anhängen müssen: Ich wollte meine Nachfolge regeln, obwohl man das offiziell ja nicht darf. Es ist mir aber gelungen. Und nun bin ich ausgestiegen.“

Er hat schließlich noch so manches zu realisieren „in meinem Leben knapp vor meinem Tod“. Oder fertig zu stellen. Das Steinhaus am Wörthersee zum Beispiel, an dem er seit den 80ern arbeitet. Domenig bezeichnet diese komplexe Plastik als das zentrale Projekt seines Lebens - zusammen mit dem Dokumentationszentrum für das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. 1988 hatte man ihn nachträglich (als neunten) eingeladen, am Wettbewerb teilzunehmen, weil man von seiner geglückten Revitalisierung der aufgelassenen Erzproduktion in Hüttenberg (Kärntner Landesausstellung 1995) gelesen hatte. Und siehe da: Er sollte gewinnen.

„Dieses Projekt war für mich eine Gelegenheit, meine Geschichte aufzuarbeiten. Ich konnte mich von meiner Vergangenheit befreien, schöpferisch auf diesen Wahnsinn reagieren.“ Denn: "Ich bin radikal nationalsozialistisch erzogen worden. Mein Zwillingsbruder und ich haben nie etwas anderes gelernt als antisemitische Äußerungen. Mein Vater war in der Nazizeit Richter, er ist schließlich von Partisanen verschleppt und erschossen worden. Meine Mutter musste nach dem Krieg Schützengräben zuschaufeln - und wir haben immer noch antisemitisch reagiert. Dann hörten wir bei den Engländern In the Mood. Von der Mutter haben wir Watschen gefangen: „Negermusik!“ Aber uns hat sie gefallen. Auf der Hochschule bin ich drauf gekommen, dass ein Großteil der bedeutenden Architekten Juden sind. Ich fragte mich: Soll ich zu studieren aufhören? Oder was soll ich tun? Und dann habe ich begonnen, mich von meiner Erziehung zu lösen."

Das Dokumentationszentrum mit Wechselausstellungshalle, Studienforum und Kino - die Errichtungskosten liegen bei 100 Millionen Schilling - dürfte im Juni fertig gestellt sein, die Einweihung des Mahnmals ist rund um die Kristallnacht (9. November) geplant. Dem massiven Baukörper für 80.000 Zuschauer mit seinen rechten Winkeln und starren Achsen von Albert Speer, der sich am Colosseum orientiert hatte, hält Domenig ein filigranes, fast schwebendes Gebilde aus Stahl und Glas entgegen, das sich auf und im ehemaligen Standartenhof, einem der beiden Kopfbauten, ausbreitet. „Mein Ansatz war, mit meiner Architektur die Architektur Speers aufzuheben: Ich zerschieße diese Achsen.“ Mit einem „Pfahl“, wie es Domenig nennt. Oder eben mit einem Speer, der durch den Granit wie Butter gleitet: Von diesem Gang aus erhält man einen Überblick über das Manifest von Hitlers Größenwahn.

Der „Pfahl“ taucht immer wieder auf in Domenigs Werk. Auch der Zubau für das renovierte Stadttheater in Klagenfurt ist ein Pfahl. Und für die Kunsthochschule in Münster hatte er ebenfalls so einen Stachel vorgesehen. Er gewann zwar den Wettbewerb, musste sich dann aber selbst kastrieren: "Ein paar vertrottelte Professoren haben gesagt, „Domenig, wir unterrichten die Kunst, deshalb spiel Dich nicht als Künstler auf, sondern sei Architekt!“ Und sie haben verlangt, dass ich dieses skulpturalen Teil töte. Weil er ja sonst eine Konkurrenz ist."

Die kompaktere Zweitfassung mit einem Hörsaal statt der Bibliothek in der Mitte wurde schließlich auch gebaut: „Und ich muss zugeben: Es ist weit besser geworden. Weil das Gebäude mehr kann. Es ist eigentlich viel kommunikativer als das erste.“ Im Februar wurde die Kunsthochschule feierlich eingeweiht.

Ein Erfolgserlebnis jagt also das andere. In der Fertigstellung befindet sich zudem das Wasserkraftwerk Xerta (mit spacig-glänzenden Turbinenhäuschen) am Rio Ebro in Spanien. Und vor wenigen Tagen gewann Domenig - zusammen mit Hermann Eisenköck - die Ideenfindung für das „Kugelkreuz“ in Schwechat. Zuständig für die Tunnel-Ein- und Ausfahrten und die Brücken (die mit digitalen, die Verkehrsdichte visualisierenden Informationsfeldern versehen werden sollen) der Verbindungsautobahn B 301 zwischen Vösendorf und der A4, hatte Domenig auch die heikle Situation in Schwechat zu lösen. Und so schlug er ein Büro- und Geschäftsgebäude in Form eines Blitzes („zack-zack-zack“) vor. Die Gemeinde ist an der Umsetzung interessiert, zunächst steht aber das Finden von Investoren an: Die Realisierung kostet gut 300 Millionen.

Domenig blättert flink die Einreichbroschüre durch, erklärt die computergenerierten Images. „Dieses hätte ich gerne als JPG!“ - „Was is n des, a Tschepek? Sabine, kommen S, i bin ja arm! I verlang, dass Sie jetzt da bleiben!“ Assistentin Sabine hilft, klärt auf, verschwindet wieder.

„Ich gehöre zu den vermeintlichen Archaikern der Architektur. Jeder zweite Moslem hat a Händy, jeder dritte Zen-Buddhist fahrt an Toyota, und ich zeichne noch immer mit der Hand. Natürlich ist auch mein Büro hochtechnisiert, und wir haben alle digitalen Einrichtungen, wir kommunizieren mit der ganzen Welt über das Netz. Aber die Idee kannst du durch den PC nicht ersetzen! Dieses Entwerfen am PC ist eine Tendenz, die nicht aufzuhalten ist. Es wird aber eine Zeit der Besinnung kommen, in der man feststellen wird, dass wir praktisch uns selbst verloren haben.“

Eigentlich wollten wir uns ja über das max.mobil-Hauptquartier unterhalten. Immerhin ein zwei-Milliarden-Projekt, das in Wien zwischen Rennweg und Viehmarkt errichtet werden soll und neben Büros für über 2000 Mitarbeiter auch ein Geschäftszentrum und ein Hotel beinhaltet. Domenig überzeugte seine Bauherrn mit einer bestechenden „liegenden Skulptur“: Von der Süd-Ost-Tangente aus blickt man auf sie hinunter, am Rennweg blickt man auf sie hinauf. Zudem ist der zerklüftete Monolith ein schöner Gegensatz zu der Parade der Eitelkeiten auf der Donauplatte.

Baubeginn für den „Tomahawk“, wie Günther Domenig die Skulptur („aber das darf ich nicht so nennen, die anderen meinen, das passt nicht“) zu nennen pflegt, war im März. Ende 2003 soll „das Ganze“ übergeben werden. „Bitte vergessens ma nicht darauf: Es ist ein Projekt der Architektur Consult ZT, also Eisenköck-Peyker-Domenig.“ Nachsatz: „Aber unter meiner Stabsführung!“

Letzte Frage an den Professor: „Wann genau werden Sie eigentlich 70?“ - „Sabine, schmeiß ma ihn aussa?“ Das tut Domenig natürlich nicht. Er zündet sich noch eine Zigarette an. Und dann werden Architekten und Künstler ausgerichtet. Oder gelobt, wie Walter Pichler und Friedrich Achleitner. Irgendwann ist die Zeit zum Aufbruch gekommen. „Sagn S, wann erscheint denn Ihr Artikel?“ - „Am 12. Mai.“ - „Ah, das ist guat.“ - „Warum?“ - „Na, wegen dem 16. Mai. Dann ham sas scho glesen.“


[„Ich gehöre zu den vermeintlichen Archaikern der Architektur: Ich zeichne mit der Hand.“ ]

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