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Innovative Theaterarchitektur
Neue Zürcher Zeitung

Der Architekt Oskar Kaufmann zwischen Berlin und Tel Aviv

9. August 2001 - Jürgen Tietz
Über mangelndes öffentliches Interesse an seinen Bauten konnte sich Oskar Kaufmann (1873-1956) bis zu seiner Emigration aus Deutschland nicht beklagen. Bis dahin schuf der aus Ungarn stammende Architekt jüdischer Abstammung ein vielschichtiges Œuvre, vorwiegend in Berlin. Gleich zwei Publikationen widmeten sich 1928 Kaufmanns Arbeiten: Die eine stammte aus der Feder des heute nahezu vergessenen Musik- und Kunstkritikers Oscar Bie, die andere, vor einiger Zeit neu aufgelegt, von Max Osborn. Osborn war es auch, der für den eigenwilligen Stil des Architekten den treffenden Begriff des «expressionistischen Rokoko» prägte.

Kaufmanns Laufbahn begann 1907 mit einem Paukenschlag: dem Hebbeltheater in Berlin, das noch heute als sein besterhaltener Theaterbau gelten darf. Es war ein Gebäude von grandioser Neuerungskraft. Das raue Bossenmauerwerk des Theaters, das einst in einer geschlossenen Strassenfront stand, und der Verzicht auf jegliches eklektizistische Dekor wiesen das Haus als Beispiel eines zeittypischen innovativen Monumentalstils aus. Ganz anders wirkt dagegen das Innere mit seiner kostbaren Holztäfelung. Es entfaltet eine intime Wirkung, die von Kaufmanns einzigartiger raumbildender Fähigkeit spricht. Das Hebbeltheater, dem das Bremerhavener Stadttheater (1909/11) und die Volksbühne (1910/14) in Berlin folgten, machte Kaufmann zum gefragten Theaterarchitekten des späten Kaiserreichs und der Weimarer Republik.

«Theaterarchitektur» im übertragenen Sinne zeigten aber auch Kaufmanns Villen. Es waren Architekturinszenierungen, oft genug in exponierter Lage, die an Bühnenbilder und Märchenschlösser erinnerten. Die meist konvex-konkav geschwungenen Fassaden verliehen ihnen das Gepräge spätbarocker Palastanlagen. Gegen den puristischen Trend der Bauhaus-Moderne bediente sich Kaufmann souverän aus der Architekturgeschichte und überformte seine Vorbilder, um den Ansprüchen seiner wohlhabenden Auftraggeber zu entsprechen. Dabei waren seine Villen immer ein wenig extravaganter als die seiner - letztlich konservativeren - Berliner Konkurrenten, wie Cremer und Wolffenstein oder Breslauer und Salinger. Kaufmanns einzigartige Villen entsprachen einem betont luxuriösen Lebensstil. Mit dessen Untergang im «Dritten Reich» und im Zweiten Weltkrieg gingen auch seine Villen verloren oder wurden stark überformt.

Eine umfangreiche Monographie mit einem 60 Nummern umfassenden Werkverzeichnis Oskar Kaufmanns hat jetzt die Kunsthistorikerin Antje Hansen vorgelegt. Mit ihrer Arbeit entreisst sie einen der eigenwilligsten Architekten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dem Vergessen. Zugleich passt das Buch gut in die Neubewertung der deutschen Moderne der zwanziger Jahre. Einer Zeit, die durch das Nebeneinander konservativer und progressiver Architekturströmungen auf engstem städtischem Raum geprägt war.

Wie intensiv auch vermeintlich konservative Architekten wie Kaufmann die Arbeiten der moderneren Kollegen beobachtet haben, zeigt Kaufmanns Werk, das ab 1933 im Exil in Palästina entstand. Dort hat er sein monumentales Formenrepertoire der klassischen Moderne angeglichen. Etwa beim Habimah-Theater (1935/45) oder beim Haus Dunkelblum (1934/36) in Tel Aviv. Dabei blieb er seinen aufwendigen, auf abgerundeten Formen beruhenden Grundrissen durchaus treu (Haus Haym, 1935/37). Gerade dieser höchst spannende Abschnitt im Werk Oskar Kaufmanns, der um 1939 nach Ungarn zurückkehrte, wo er unter grösster Gefährdung den Zweiten Weltkrieg überlebte, bedarf einer vertiefenden kulturhistorischen Untersuchung. Dafür hat Antje Hansen mit ihrer umfangreichen Studie die Grundlage geschaffen.


[Antje Hansen: Oskar Kaufmann. Ein Theaterarchitekt zwischen Tradition und Moderne. Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin. Gebrüder-Mann-Verlag, Berlin 2001. 424 S., Fr. 131.-. - Oskar Kaufmann. Mit einer Einleitung von Max Osborn. (Reprint Neue Werkkunst.) Nachwort Myra Warhaftig. Gebrüder-Mann-Verlag, Berlin 1996. 64 S. Fr. 110.-. ]

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