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Wenig bekannter Meisterarchitekt
Neue Zürcher Zeitung

Eine erhellende Studie zu Max Taut

4. Dezember 2003 - Jürgen Tietz
Die Stadt Berlin verdankt dem Architekten Max Taut (1884-1967) eine Reihe herausragender Bauwerke. Sie alle halfen mit, den Ruf der Stadt als Metropole des Neuen Bauens in den zwanziger Jahren mit zu begründen. Doch im Gegensatz zu seinem Bruder Bruno, dem Architekten zahlreicher Wohnsiedlungen und Visionär des «Frühlichts» (für das Max die Titelzeichnung lieferte), ist Max Taut heute bestenfalls noch Architekturliebhabern ein Begriff. Zu Unrecht, denn er hat ein ebenso umfangreiches wie qualitätvolles Werk hinterlassen, das die Architektin Annette Menting nun in einer erhellenden Monographie ausführlich dokumentiert. Bereits 1998 hatte sich Menting, die als Professorin für Baugeschichte und Baukultur in Leipzig tätig ist, mit ihrer Arbeit über Paul Baumgarten eines wichtigen Vertreters der Moderne angenommen. Was Baumgarten und Taut neben der Architektursprache miteinander verband, war ihre Lehrtätigkeit nach 1945 an der Berliner Hochschule der Künste. Dort baute Max Taut nach dem Zweiten Weltkrieg die Architektenausbildung in Anlehnung an die Programmatik des Bauhauses neu auf und übte so nachhaltigen Einfluss auf die jüngere Architektengeneration aus. Ob biografischer Zufall oder doch mehr: Bei Baumgarten wie Taut handelt es sich um Ostpreussen, die ihren Weg in Berlin machten. Der gebürtige Königsberger Max Taut folgte dabei 1909 seinem vier Jahre älteren Bruder Bruno in die Metropole. Dort betrieb er zusammen mit ihm und Franz Hoffmann ein gemeinsames Architekturbüro.


Schulen und Gewerkschaftsbauten

Obwohl Taut ein sachlicher Architekt war, durchlief auch er - wie die meisten deutschen Architekten seiner Generation - eine expressionistische Phase, die mit dem in Beton ausgeführten Grabmal Wissinger auf dem Friedhof Stahnsdorf nahe Berlin ihren zackigen Höhepunkt erfuhr. In dem heute restaurierten Werk wird Tauts Faszination für die kühnen Konstruktionen der märkischen Backsteingotik deutlich. Nicht umsonst diente ihm die Ruine des nördlich von Berlin gelegenen Zisterzienserklosters Chorin immer wieder als Zuflucht und Inspirationsquelle.

Wie ein Leitmotiv zieht sich der Schulbau durch Tauts Leben. Den Auftakt bildete die frühe Knabenschule in Finsterwalde (1911-1913), die noch ganz in der malerischen Architekturauffassung der Zeit verhaftet war. Ihr folgte mit dem Realgymnasium in Nauen (1913-1916) ein Bau, der «die konsequente Weiterführung der baulichen Gestaltung hin zur Sachlichkeit erkennen lässt» (Menting). Diese kubische Klarheit brach sich in den zwanziger Jahren endgültig Bahn: Beispielhaft sind dafür die Dorotheen-Schule in Köpenick (1927-1929) sowie die Schule in Lichtenberg (1927-1931), die heute Tauts Namen trägt. Die äusserste Klarheit des Baukörpers, der mit grosser Geste, aber ohne jede falsche Repräsentation den Stadtraum einfasst, und die bewusste Reduzierung der Formen verdeutlichen nicht nur den Bruch mit der Architektur des 19. Jahrhunderts, sondern wirken in ihrer Vorbildlichkeit bis heute fort. Auch nach 1945 blieb die Schule eine Bauaufgabe für Taut, so beim Ludwig-Georgs-Gymnasium in Darmstadt mit seiner streng gerasterten Fassade. Doch gerade an diesem Bau wird auch deutlich, dass Tauts Arbeiten nach 1945 nicht mehr über dieselbe architektonische Prägnanz verfügten wie seine vor 1933 verwirklichten Bauten.

So bemerkenswert Tauts Schulbauten sind, so machen sie doch nur einen Teil seines Schaffens aus. Zu seinen wichtigen Auftraggebern zählten auch die Gewerkschaften. Für den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund verwirklichte er 1921-1923 ein Bürohaus, das einerseits durch das Raster der tragenden Betonstruktur gekennzeichnet wird, andererseits in der kantigen Ausformung der Stützen noch einen expressionistischen Nachhall verspüren lässt. 1930 folgte das Warenhaus der Konsumgenossenschaften, ein fein modellierter Baukörper mit grossen Fensterflächen, der sich trotz seiner konsequent sachlichen Formensprache vorzüglich in die ihn umgebende Bebauung am Berliner Oranienplatz einfügt. Die grösste Resonanz erlebte Taut in den zwanziger Jahren mit seinem Verbandshaus der deutschen Buchdrucker. Dieser zurückhaltende gelbe Ziegelbau zeigt im Treppenhaus ein geradezu atemberaubendes Farbspiel: Der gläserne Liftschacht mit seinen Messingleisten wird an den Wänden von grossformatigen schwarzen Fliesen mit schmalen roten und gelben Bordüren kontrastiert, die sich zu einem abstrakten Muster von hoher Wirkung zusammenfügen.

Tauts gelungenster Bau befindet sich ebenfalls in Berlin: Es handelt sich dabei um das ehemalige Reichsknappschaftsgebäude (1928/30), das seit etlichen Jahren von der Freien Universität als Institut genutzt wird. Die mit braun-roten Keramikfliesen verblendete Stahlkonstruktion des Hauses tritt leicht hervor und verleiht der Klinkerfassade ihren ruhigen, harmonischen Rhythmus. Ein stilles Meisterwerk der Moderne.


Meister des Rahmenbaus

Ausführlich würdigt Menting in einem 178 Nummern umfassenden Werkkatalog die Bauten Max Tauts, dessen Nachlass in der Akademie der Künste aufbewahrt wird, und geht auf ihren jetzigen Zustand ein. Doch leider gilt es auch Abstriche an dieser umfangreichen Monographie zu machen: So wäre es wünschenswert gewesen, hätte die Autorin bei ihrer Annäherung an Taut öfter die rein beschreibende Ebene verlassen. Julius Posener folgend, hebt sie zwar Max Taut als wichtigsten Vertreter des Rahmenbaus in Deutschland hervor und dokumentiert dies in anschaulicher Gegenüberstellung der Konstruktion seiner Bauten. Gleichwohl hätte man sich auch an anderer Stelle eine weit tiefer greifende Analyse und Bewertung gewünscht, gerade vor dem Hintergrund der damaligen Architekturdiskussion, die über das blosse Zitieren der Zeitgenossen Tauts von Adolf Behne bis Julius Posener hinausgeht. Dies gilt für den Kontext des Reformschulbaus der Weimarer Republik ebenso wie für die 1913 gemeinsam von Max Taut und Friedrich Seesselberg entworfene Werdandihalle, ein temporärer Ausstellungsbau in Leipzig für den national-konservativen Werdandibund. Trotz diesen Einschränkungen bleibt Mentings Verdienst, mit ihrem Buch einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet zu haben, das Interesse an Max Tauts Arbeiten neu zu beleben.


[Annette Menting: Max Taut. Das Gesamtwerk. DVA, München 2003. 376 S., Fr. 288.-.]

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