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Dialog mit der Moderne
Neue Zürcher Zeitung

Neue Bauten und Projekte des Dresdner Architekten Peter Kulka

Die Liste der Orte, an denen Peter Kulka derzeit in Deutschland baut oder gerade erst Arbeiten fertig gestellt hat, reicht von Hamburg über Stuttgart bis Berlin. Dabei gilt der erfolgreiche Dresdner, Jahrgang 1937, als Spätberufener, dem erst 1999 mit der Fertigstellung des sächsischen Landtages in seiner Heimatstadt der Durchbruch gelang.

5. Dezember 2003 - Jürgen Tietz
Kennzeichen der Arbeiten von Peter Kulka, der heute Büros in Köln und Dresden betreibt, sind kraftvolle Frische und formale Unabhängigkeit. Unverkennbar steht Kulkas Architektur in der Tradition der klassischen Moderne, deren Erbe er aufnimmt und weiterentwickelt. Eine Nähe, die sich auch in seiner Biografie widerspiegelt: Zwischen 1959 und 1964 studierte er bei Selman Selmanagic an der Kunsthochschule in Berlin Weissensee und arbeitete anschliessend bei Hermann Henselmann an der Bauakademie. 1965 verliess er die DDR und war bis 1968 in Westberlin im Büro von Hans Scharoun tätig.


Funktion und Ästhetik

Seither gehören die kleinen Bauprojekte zu Kulkas besonderen Stärken. Bei deren Konzeption verliert er nicht das städtebauliche Ensemble aus dem Blick. Vielmehr versucht er dieses durch seine Gebäude zu qualifizieren. Dies gilt auch, wenn er sich unmittelbar mit historischer Bausubstanz auseinandersetzt. Etwa bei der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig (1994/99), bei der er die Sandsteinfassade der spätklassizistischen Herfurthschen Villa mit den klaren grauen Kuben seiner Ergänzung kontrastiert und zu einer funktionalen und ästhetischen Einheit zusammenbindet.

Dieses Konzept einer dialogischen Moderne kennzeichnet auch Kulkas Multi Media Centre (2000/03) an der Hamburger Rothenbaumchaussee. Markant besetzt das Gebäude die Strassenecke und nimmt zugleich an beiden Seiten Beziehung zu seinen Nachbarn auf: dem Medienhaus von Norman Foster und den weissen Wohnbauten von Atelier 5 aus Bern. Beide werden durch den Neubau zu einem Ensemble zusammengebunden. Auch in der Materialität erweist sich das Multi Media Centre als gleichermassen selbstbewusst wie ortsverbunden, indem es jene beiden Baustoffe zur Schau stellt, die in der Hansestadt derzeit das architektonische Bild bestimmen: Glas und Ziegel. Also eine klassische Kompromissarchitektur? Keineswegs. Dafür sorgt allein schon der ungewöhnliche dunkle Ziegel, der den traditionell backsteinroten Kontorhäusern der Stadt farblich Paroli bietet. Und auch die doppelschalige Glasfassade erliegt nicht dem manchmal spannenden, allzu oft aber auch überspannten kristallinen Hamburger High-Tech- Glasexpressionismus. Stattdessen ist am Multi Media Centre eine Fassade mit Relief entstanden, die vorspringt und zurückweicht, die anbindet und zugleich einen eleganten Akzent setzt. Ein Baukörper, der Raum bildet und Plastizität besitzt und dadurch auch in den Stadtraum hinein wirken kann.


Form und Material

Dieses Modellieren kubischer Raumkörper gehört zu den Leitmotiven in Kulkas Architektur und geht zunehmend mit einer Reduzierung der Formen- und Materialsprache einher. Etwa bei dem puren Sichtbeton-Doppelkubus des Hauses der Stille an der Benediktinerabtei Meschede (1999/2001). Die skulpturalen Qualitäten seiner Bauten werden auch bei dem Entwurf für das Weiterbildungsgebäude der Robert Bosch GmbH deutlich, das im kommenden Jahr neben einer historischen Villa in Hanglage oberhalb Stuttgarts fertiggestellt werden soll. Der Neubau fügt sich aus drei gegeneinander versetzten Geschossebenen zusammen: Das Gartengeschoss, das sich um einen offenen Innenhof legt, besteht aus einem einfachen Kubus, der gleichsam nach vorne aus dem Hang herauszuwachsen scheint. Sein Dach bildet die Terrasse, die dem Haupteingang im eigentlichen «Erdgeschoss» vorgelagert ist, einem einfachen gläsernen Querriegel, über den das abschliessende Obergeschoss auskragt. «Alles ganz einfache Kisten», wie Kulka manchmal selbstironisch über seine Bauten sagt. Wenn das Einfache doch immer so raffiniert daherkommen würde! Mit dem Weiterbildungsgebäude in Stuttgart nimmt Kulka bewusst Bezug auf Ludwig Mies van der Rohes Glasbauten. Doch gleichzeitig verwandelt er das Motiv und entwickelt es weiter, indem er die gläsernen Kuben überlappt. Die Konsequenz ist eine transparente Gebäudeskulptur, deren Wirkung noch durch die Sichtachsen gesteigert wird, die das Gebäude mit der historischen Bosch-Villa verweben.


Konzentration und Reduktion

Das klare Gegeneinander von alt und neu, das dennoch eine künstlerische Einheit bildet, zeigt auch der jüngst eröffnete Werner-Otto-Saal für zeitgenössische Musik im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Einst als Schauspielhaus errichtet, zeigt das heutige Konzerthaus nach seinen schweren Kriegsbeschädigungen und dem späten Wiederaufbau in den achtziger Jahren nur noch an Teilen seiner Fassade die originale Handschrift Karl Friedrich Schinkels. Das plüschige Innere, das für Galas aller Art herhalten muss, atmet dagegen den Charme der späten DDR- Postmoderne. Dem antwortet Kulkas Konzertsaal im Seitenflügel mit einem architektonischen Gegenprogramm. Es ist ein Raum von strenger Konzentration und Reduktion, bar jeden Historismus, doch voll Raffinement. Er kann bei Veranstaltungen den Ausblick auf den Gendarmenmarkt bieten, aber auch innerhalb weniger Minuten in einen in sich selbst ruhenden Konzertsaal verwandelt werden. Dafür sorgen die schwarzen Wandpaneele, die vor die Fenster geklappt werden können. 132 Hubpodien von jeweils 1×2 Metern Fläche ermöglichen es, dass mit dem dunklen Holzfussboden des Saales nahezu jede beliebige Raumsituation modelliert werden kann. Ein technisch wirkendes Korrektiv entsteht durch die lichtdurchlässige Metallgitterdecke. Je nach Beleuchtungseinstellung können durch die Lichttechnik wechselnde Stimmungen im Raum erzeugt werden. Die knallig bunten Farben der Stuhlbezüge in verschiedenen Rosa-, Lila- und Orangetönen überführen die Strenge des kubischen Raumes in jene lebendige Eleganz, die für Kulkas Bauten charakteristisch ist.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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