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Ziegel, sorgfältig verpackt
Ziegel, sorgfältig verpackt, Foto: Christian Kühn
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Architektur: eine kostspielige Sache für besondere Anlässe? Oder doch vielleicht eher etwas, was jeden Häuslbauer interessieren sollte? Ein Plädoyer aus gegebenem Anlass.

28. Februar 2004 - Christian Kühn
Bauen - daran ließ kürzlich die Wiener Messe für Bauen und Energie keinen Zweifel aufkommen - ist eine komplexe Angelegenheit. Auf zwei große Hallen verteilt fand man hier die Einzelteile, aus denen sich das durchschnittliche österreichische Wohnhaus zusammensetzt: Wälder von Fertigkaminen, dicht arrangierte hölzerne Einbautreppen, die in ein nicht vorhandenes Obergeschoß führen, kleine Labyrinthe aus Hauseingangstüren und Sprossenfenstern, daneben Herden von Öltanks und Heizkesseln. In einer eigenen Halle plätscherten Wasserlandschaften aus Whirlpools und Schwimmbecken.

Das alles sah ein wenig danach aus, als hätte jemand nach fachkundiger Sprengung der Fertighausausstellung „Blaue Lagune“ in Vösendorf deren Bruchstücke nach Gruppen sortiert und wieder aufgebaut. Naturgemäß wurden auch Fertighäuser in allen Varianten angeboten, schlüsselfertig zum Fixpreis „mit Bestpreisgarantie in wenigen Wochen aufgestellt“. Inzwischen ist das Angebot auf diesem Sektor technisch und ästhetisch kaum mehr zu überblicken, bis hin zu Holzkonstruktionen mit einer dünnen innenliegenden Schicht aus Ziegel „zur Optimierung des Raumklimas“. Wer sich mit solchen einzigartigen, von Marketingexperten erdachten Synthesen von Leicht- und Massivbau noch nicht zufrieden geben will, kann sein Haus mit einem Dach aus Recycling-Kunststoff eindecken, das in Farbton und Form einem Ziegeldach täuschend ähnlich sieht und auf Wunsch mit eingelegten Solarzellen geliefert wird.

Energetisch optimiertes Bauen ist ein zentrales Verkaufsargument, auch wenn der Grenznutzen zusätzlicher Wärmedämmungen inzwischen vernachlässigbar ist, zumindest in Relation zum Energieverbrauch des von peripheren Siedlungen erzeugten Pendlerverkehrs. Angesichts von Außenwänden, bei denen auf 25 Zentimeter Ziegelmauerwerk eine ebenso starke Wärmedämmung aufgebracht ist, möchte man jedenfalls Mies van der Rohes berühmten Ausspruch vom Anfang der Architektur als dem „sorgfältigen Zusammensetzen zweier Backsteine“ modifizieren: Architektur beginnt heute mit dem sorgfältigen Verpacken eines Ziegelsteins in einer Schicht Dämmstoff.

Eingestreut zwischen die Produktanbieter dieser Messe waren Beratungsinseln, auf denen verschiedene Interessenverbände und „Cluster“ ihre Dienstleistungen anboten. Das Institut für Baubiologie- und Ökologie versprach Antwort auf die Frage, was „wirklich ökologisch, natürlich, wohngesund und baubiologisch“ ist, und zeigte neben Prototypen von Niedrigenergie- und Passivhäusern als Attraktion das 1:1-Modell einer innen mit Lehm verputzen Holzriegelwand. Niederösterreich war mit zwei „Clustern“ vertreten - Töchtern der Regionalentwicklungsagentur Eco Plus -, dem Holzcluster und dem Ökobau-Cluster, die mit Landes- und EU-Förderung versuchen, Klein- und Mittelbetriebe zu vernetzen und zu „innovativen Projekten“ zu ermutigen. Zum Programm gehören Qualifizierungsmaßnahmen für Handwerker, mit denen die hohen Anforderungen an die Ausführungsqualität, wie sie bei energetisch optimierten Gebäuden gestellt werden, erreicht werden sollen. Ein ähnliches Netzwerk ist die IG Passivhaus Ost, in der Planer und Ausführende ihr spezielles Know-how auf diesem Sektor gemeinsam bewerben.

In diesem Wald von Spezialisierungen fand sich eine Beratungsinsel unter dem schlichten Titel „Architektur“. Eingerichtet wurde sie von der IG-Architektur, einer Plattform mit heute rund 150 Mitgliedern, die zur Neudefinition des Berufsbildes des Architekten beitragen und die Rahmen- und Arbeitsbedingungen für die Architekturschaffenden verbessern möchte. Mit ihrer Präsenz auf der Messe wollte die IG-Architektur die oft gezogene Grenze zwischen Bauen als Handwerk und Architektur als Kunst gezielt ignorieren. Auf dieser Beratungsinsel wurden weder Einzelteile noch Fertighäuser angeboten, sondern Informationen darüber, was Architekten überhaupt leisten und was diese Leistung kostet. Und davon hatten die meisten Besucher der Messe nur wenig Ahnung. Oft genug wird in den Beratungsgesprächen nach dem Produkt „Kreativität“ gefragt, als ob sich diese irgendwo zwischen Wärmepumpe und Wintergarten einbauen ließe. Angesichts der vielen Spezialisierungen rundum war das verständlich: Warum sollte man sich mit dem Architekten nicht einen Spezialisten für Lifestyle und Schönheit leisten?

Architektur beginnt aber ganz woanders: nämlich bei der Entwicklung der Aufgabenstellung zusammen mit dem Bauherrn, der Analyse der Bedingungen und Bedürfnisse in einem konkreten Anlassfall. Und sie reicht weit ins Technische und in Fragen der Bauabwicklung und Kostenkontrolle hinein. Dass Architekten sich mit ihren Häusern Denkmäler setzen wollen, ist ein längst überholtes Klischee. Gerade jüngere Architekten haben sich in den vergangenen Jahren vermehrt an der Gestaltung von vorfabrizierten Bauteilen und Bausystemen beteiligt, die den Spielraum für individuelle Gestaltung nicht einengen, und damit die Grenze zwischen dem Fertighaus und dem individuellen Maßhaus zum Verschwimmen gebracht. Dass die Dienstleistung Architektur etwas kostet, ist klar, aber die Beträge sind, in Bezug zu den Gesamtkosten gesetzt, nicht hoch: beim Einfamilienhaus rund 15 Prozent der Bausumme oder 7 Prozent der Kosten inklusive Grundstück, Steuern und Abgaben. Nimmt man die Lebenszykluskosten des Hauses, also die Kosten inklusive Energie und Instandhaltung, zum Maßstab, ist der Prozentsatz noch geringer.

Mit solchen Vergleichszahlen argumentiert die Architektenkammer freilich schon seit Jahrzehnten, ohne dass es sich besonders positiv auf die Situation der Architekten ausgewirkt hätte. Kreative Dienstleistungen gehören zu den weichen Faktoren, an denen man gerne zu sparen beginnt, vor allem, wenn die Konsequenzen guter Planung schwer quantitativ darstellbar sind und oft nur langfristig über den Lebenszyklus eines Objekts zum Tragen kommen. Was die Aktion der IG-Architektur aber auszeichnete, war der Mut, sich auf das Terrain der „Häuslbauer“ zu wagen, zu dem sicher ein Großteil der Bauwilligen unter den rund 40.000 Besuchern der Messe zählte. Dass sich viele davon kurzfristig animieren ließen, ihr Haus mit einem Architekten zu planen, ist wohl kaum anzunehmen. Aber die bloße Präsenz in diesem Umfeld kann dem Trend entgegenwirken, Architektur nur mehr als eine kostspielige Sache für besondere Anlässe wahrzunehmen.

Ein breites Architekturverständnis braucht nämlich beides: die Stars, die - hoffentlich zu Recht - im öffentlichen Rampenlicht stehen und an Aufgaben tätig sind, bei denen eine gewisse Aufregung nicht nur toleriert, sondern gefordert wird; und es braucht eine selbstverständliche Akzeptanz im Alltag, damit auch dort nicht allein das Zweckdienliche und Nützliche, sondern auch jene Überschüsse an Raum und Form, ohne die es im Alltagsleben eng wird, Platz finden dürfen. Das Beispiel der positiven Architekturentwicklung in Vorarlberg zeigt, wie wichtig es ist, ein breites Interesse für Architektur auf dieser Ebene zu wecken. Warum sollte das in Ostösterreich unmöglich sein?

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