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Wenn die Stadt sich totstellt
Wenn die Stadt sich totstellt, Foto: Jabornegg & Pálffy
Wenn die Stadt sich totstellt, Foto: Clemens Fabry
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Zum „Kunstplatz“ sollte der Karlsplatz im Windschatten des U-Bahn-Ausbaus werden. Von allen guten Geistern verlassene Peripherie im Zentrum wird er wohl auch in Zukunft bleiben. Über eine vergebene Chance, intelligente Stadtgestaltung zu betreiben.

30. März 2002 - Christian Kühn
Man muß es offen sagen: Der Wiener Karlsplatz entwickelt sich zusehends von der „Gegend“ - als die ihn Otto Wagner einmal charakterisierte - zur „G'stättn“, auf der liegenbleibt, was niemand mehr haben möchte. Die Drogenszene, deren angebliche Eskalation von der „Kronen Zeitung“ gerade wieder thematisiert wird, ist nicht die Ursache, sondern nur eines der Symptome für seine zunehmende Verwahrlosung. Ein intelligent konzipierter städtischer Raum von der Dimension mehrerer Fußballfelder sollte problemlos 200 Sandler und Süchtige aufnehmen können, ohne daß sich das sonstige Publikum bedroht fühlen müßte.

Die ästhetische Verwahrlosung des Karlsplatzes und des gesamten Stadtraums bis zur Opernpassage ist offensichtlich. Das Stadtmobiliar ist abgewirtschaftet, die Kinderspielplätze - eine der spannendsten Gestaltungsaufgaben überhaupt - sind lieblos mit Gerätschaften verstellt, das Grün wuchert und bemüht sich, Aulandschaft zu spielen. Neben der Karlskirche wurde jüngst ein Marmorblock aufgestellt, der Kaiserin Elisabeth auf das Wesentliche - ihren Fächer - reduziert zeigen soll. Daß dieses Gebilde von der Stadt Wien um knapp über 100.000 Euro als Skulptur angekauft wurde, ist Skandal genug. Es neben die barocken Statuen der Karlskirche zu plazieren läßt sich höchstens mit der Behauptung entschuldigen, man hätte den symmetrisch auf der anderen Seite aufgestellten Waschbetontrögen ein würdiges Gegenüber bieten wollen.

Auf ähnlichem Niveau bewegen sich die in den Boden ein-gelassenen bronzenen Musikerporträts in der Opernpassage. Tröstlich sind diese naturalistischen Darstellungen großer Männer nur für die Sandler:
Sogar Claude Debussy ist offenbar nicht davor gefeit, ein-mal ganz unten im Dreck zu landen.

Nun klingt das alles so, als wäre der Karlsplatz ein ästhetisches Problem auf der Ebene der Stadtmöblierung. Das ist er
natürlich nicht. Der Karlsplatz ist primär ein Verkehrsproblem, bei dem die Gewichtung zwischen öffentlichen Verkehrsmitteln, motorisiertem Individualverkehr und Fußgängerverkehr über die Jahre aus der Balance gekommen ist. Seit der Überbauung des Wienflusses und der Errichtung der Stadtbahn ist der Karlsplatz ein gigantisches und in seiner Komplexität faszinierendes Verkehrsbauwerk, der eigentliche „Hauptbahnhof“ des Wiener U-Bahn-Netzes, an dem drei U-Bahn-Linien (U1, U2 und U4) zusammentreffen. Durch die Verlängerung der Linie U2 nach Transdanubien wird sich diese Bedeutung noch vergrößern.

Schon heute kommen hier täglich 50.000 Passagiere an, die sich vor allem durch die unter-irdischen Passagen bewegen. An der Oberfläche kreuzen sich wichtige Verkehrsströme des Individualverkehrs mit Straßenbahnen und einer Buslinie, die einen eigenen „Stationshügel“ besetzt.

Es hat den Anschein, als wäre der Karlsplatz das Resultat von Verkehrsflüssen, die sich hier beinahe von selbst ihren Raum geschaffen hätten, ähnlich wie ein Fluß sich sein Flußbett schafft. In Wahrheit ist er das Resultat jener Ideologien, die in den siebziger Jahren bestimmend für die Verkehrsplanung waren: weitgehende Trennung von Verkehrsströmen und Funk- tionen möglichst auf mehreren Ebenen, Schaffung von großzügigen Reserven für den Individualverkehr. Jan Tabor, der gerade im Künstlerhaus eine Ausstellung zum Thema „mega: manifeste der anmaßung“ vorbereitet, hat kürzlich bei einer Podiumsdiskussion im „Architektur Zentrum Wien“ einen passenden Vergleich gefunden: So wie das Militär den Truppenübungsplatz in Allentsteig brauche, so würden die Verkehrs-planer den Wiener Karlsplatz als Übungsplatz nutzen, um ihre jeweils aktuellen Ideologien zu erproben.

Die sechsspurige Stadtautobahn, die direkt vor dem Künstlerhaus den Karlsplatz quert, um dann unvermittelt in ein- bis zweispurige Straßen zu münden, ist keine funktionelle Notwendigkeit, sondern ein Manifest der siebziger Jahre, die sich anmaßten, jedes Strömungsproblem durch Vergrößerung des Kanals lösen zu können.

Bei der Podiumsdiskussion ging es freilich vor allem um das Schicksal des Projekts „Kunstplatz Karlsplatz“, das alle am Karlsplatz angesiedelten öffentlichen Einrichtungen (die Secession, die Technische Universität, den Musikverein, das Künstlerhaus und das Historische Museum) zu einer Interessengemeinschaft zur Aufwertung des Karlsplatzes zusammenführen sollte.

1998 hatte Manfred Nehrer, der Präsident des Künstlerhauses, die Idee, die anstehende Verlängerung der U-Bahn-Linien zum Anlaß zu nehmen, wieder einmal konkrete Konzepte zur Neugestaltung des Karlsplatzes ausarbeiten zu lassen. Für das Künstlerhaus bot die Verlängerung der U2 eine besondere Chance: Da die neue Wendeanlage großteils in offener Bauweise errichtet wurde, bleiben Hohlräume zurück, die sich ideal für Ausstellungszwecke nutzen lassen. Ein international bekanntes Beispiel ist die Erweiterung des Lenbachhauses in München, das in einem derartigen Raum eine attraktive neue Galerie eingerichtet hat. Nehrer schlug auch eine gemeinsame Nutzung mit dem Historischen Museum der Stadt Wien vor, das trotz kürzlich erfolgter Überdachung des Hofs an einem Mangel an hochwertiger Ausstellungsfläche leidet.

Unterstützt vom damaligen Planungsstadtrat Bernhard Görg, wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, der eine detaillierte Bearbeitung des unmittelbaren Umfelds des Künstlerhauses und ein allgemeines Konzept für die Neuordnung des Karlsplatzes zum Inhalt hatte. Als Sieger aus dem Wettbewerb gingen die Architekten Jabornegg und Pálffy hervor. Für das Künstlerhaus schlugen sie eine Schließung des unwirtlichen „Atriums“ und der nicht behindertengerechten Rampe vor, die in den siebziger Jahren als Aufgänge von der Passage errichtet worden waren. In diesem Bereich sieht das Projekt eine Oberlichthalle und eine großzügige Erschließung der neuen Ausstellungsräume über der U-Bahn vor. Der Aufgang von der Passage sollte so weit wie möglich nach oben geöffnet und durch einen zusammen mit dem Künstler Heimo Zobernig entworfenen 40 Meter langen Glaskörper betont werden.

Für den gesamten Karlsplatz entwickelten Jabornegg und Pálffy ein neues Konzept, das den Rückbau der sechsspurigen Stadtautobahn auf je zwei Fahrspuren und eine Verlegung der derzeit sinnloserweise diagonal über den Karlsplatz am Künstlerhaus vorbeiführenden Straßenbahntrasse vorsieht. Damit wäre auf dem Karlsplatz Spielraum für eine Neukonzeption des Stadtraums geschaffen, die nicht nur an der Oberfläche kratzt, sondern radikal neue Chancen eröffnet.

Die Kosten für diesen Umbau bewegen sich in der Größenordnung von 30 Millionen Euro. Ein beachtlicher Betrag, gewiß, der sich aber im Vergleich zu anderen Infrastrukturmaßnahmen und aufgeteilt auf mehrere Jahre relativiert. 1999 schien auch von seiten der Stadt durchaus Bereitschaft vorhanden, dieses Leit- bild langfristig zu übernehmen und kurzfristig die Maßnahmen beim U-Bahn-Bau vor dem Künstlerhaus darauf abzustimmen. Eine Zusage von Stadt-rätin Ederer über 4,3 Millionen Euro war vorhanden - freilich gekoppelt an die Voraussetzung, daß von seiten des Künstlerhauses genügend Sponsoringmittel eingeworben werden könnten.

Inzwischen ist viel Zeit vergangen: Das Künstlerhaus befindet sich nach der Einstellung der Bundesförderung in einer finanziellen Krise, das Nulldefizit macht den Kampf um private wie öffentliche Mittel noch härter als je zuvor, und scheinbar staatstragende Institutionen wie die Albertina und das Kunsthistorische Museum haben in diesem Wettrennen bessere Chancen als ein Künstlerhaus, das sich in den letzten Jahren mit einem innovativen Programm profilieren konnte. So bleibt es vorläufig bei großen Worten: Noch Ende Jänner dieses Jah-res hat Kulturstadtrat Mailath-Pokorny die „Aufrüstung des Kunstraums Karlsplatz“ zu einem wichtigen Ziel erklärt. Aber nach heutigem Stand werden die Wiener Linien ihre Baustelle abbauen, nicht mehr tun, als die Rampe notdürftig wiederherzustellen, das Stadtgartenamt wird neue Bodendecker pflanzen, und als einzige Neuerung wird ein weiterer Lüftungspilz vor dem Künstlerhaus zurückbleiben. Immerhin: Für die nächsten fünf Jahre haben sich die Wiener Linien verpflichtet, die neuen, jetzt leerstehenden Räume an niemand anderen zu vermieten.

Also doch ein Erfolg: Es bleiben alle Möglichkeiten offen. Und zugleich eine Bankrott-erklärung: Ohne private Investoren ist offensichtlich keine Verbesserung des Stadtraums mehr denkbar, ja nicht einmal ein neuer behindertengerechter Zugang zum Künstlerhaus. Im armen reichen Wien wird bis auf weiteres für die sozialen Probleme des öffentlichen Raums die Polizei und für die ästhetischen das Stadtgartenamt zuständig bleiben. Aber wäre der Karlsplatz mit seinen vielfältigen Herausforderungen in sozialer, technischer und kultureller Hinsicht nicht die ideale Probe für eine zeitgemäße Stadtpolitik, die durch eine integrale Heran-gehensweise den größten Effekt für die Bürger erreicht?

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