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Staatspreis für Architektur 2010
ArchitekturpreisWien (A)
Staatspreis für Architektur 2010, Foto: Bruno Klomfar
Preisverleihung: 16. Dezember 2010

Esse mit Ausblick

Die Zeiten, als Industriebauten nur noch als konturlose Blechcontainer auftauchten, sind vorbei. Eine neue Sichtbarkeit ist angesagt. Auf welchem Niveau, zeigt der aktuelle Staatspreis für Industrie und Gewerbearchitektur.

24. Dezember 2010 - Christian Kühn
Als der große deutsche Architekt Karl Friedrich Schinkel 1826 England bereiste, zeigte er sich tief beeindruckt von den Veränderungen, denen Städte und Landschaften durch die Industrialisierung ausgesetzt waren: „Um 9 Uhr kommen wir mit der Extrapost in Dudley an und fahren nach dem Frühstück und Tee gleich zu den Eisenwerken. Grandioser Anblick von Tausenden von Obelisken, welche rauchen. Größtenteils Förderungsmaschinen, um Steinkohlen, Eisen und Kalk aus den Gruben zu bringen.“ Gebäude, „so lang als das Berliner Schloss und ebenso tief, ungeheure Baumasse von nur Werkmeistern ohne Architektur und fürs nackteste Bedürfnis aus rotem Backstein ausgeführt“, Beispiele jener über 400 Fabriken, die damals in kurzer Zeit in der Region errichtet wurden, ließen Schinkel erahnen, welche Folgen die Industrialisierung für die Architektur mit sich bringen würde. Die Ingenieurkunst des 19. Jahrhunderts setzte erste Impulse für eine neue Ästhetik der Zweckmäßigkeit, und die Klassische Moderne des frühen 20. fand schließlich in den industriellen Bauaufgaben ein reiches Experimentierfeld.

Aus den Baumassen für das „nackteste Bedürfnis“, die Schinkel so unheimlich erschienen waren, entwickelte sich die Vision einer neuen Architektur, in der die Sphären von Produktion, Konsum, Wohnen und Erholung zwar räumlich getrennt, aber ästhetisch verbunden sein sollten. Eine moderne Architektursprache für alle Lebensbereiche sollte helfen, eine für alle gemeinsame Welt herzustellen.

In der heutigen postindustriellen Gesellschaft sind die rauchenden Schlote – zumindest in Europa – weitgehend verschwunden. Aber auch die Vision der Moderne von einer verbindenden und verbindlichen Ästhetik hat sich spätestens in den 1970er-Jahren aufgelöst, als die negativen sozialen und ökologischen Folgen der Industrialisierung und der streng nach Funktionen getrennten Stadt nicht mehr länger zu leugnen waren.

Architektur gilt seit damals wieder als Disziplin für besondere Anlässe, für Museen und den gehobenen Wohnbau, und sie hat in diesem Marktsegment eine bisher unerreichte Vielfalt an gleichzeitig auftretenden Stilrichtungen hervorgebracht. In der Architekturdiskussion spielte der Industriebau bis zur Jahrtausendwende – mit Ausnahme einiger weniger britischer Beispiele aus dem „High-Tech“-Bereich – nur eine untergeordnete Rolle. Das lag nicht allein an den Architekten.

Fast hat es den Anschein, als ob die Industrie selbst unter dem Druck des Umweltschutzes nicht nur die rauchenden Schlote zum Verschwinden bringen wollte, sondern insgesamt unter die Tarnkappe einer neutralen, aus konturlosen Blechcontainern gebildeten Ästhetik außerhalb jedes architektonischen Anspruchs zu schlüpfen versuchte. – Diese Situation änderte sich Ende der 1990er-Jahre, als Unternehmen begannen, ihre Produktionsstätten aus der Perspektive des Marketings zu betrachten. Wenn sich die Produkte selbst immer ähnlicher werden, dann wird die „Story“, die den subjektiven Wert einer Marke für den Konsumenten steigern soll, immer wichtiger. Warum soll nicht auch eine Fabrik oder ein Forschungszentrum zu dieser Fantasie beitragen? Die „Gläserne Fabrik“ in Dresden von VW oder die BMW-Welt in München sind spektakuläre Ergebnisse dieses Kalküls, das dem Industriebau in der postindustriellen Gesellschaft zu einer neuen Sichtbarkeit verholfen hat.

Diese neue Sichtbarkeit hat aber nicht nur mit Marketingüberlegungen zu tun. Unternehmen sind sich heute stärker der Verantwortung bewusst, die sie für die Gestaltung von Stadt und Landschaft und für die Lebensqualität ihrer Mitarbeiter tragen. Gute Planung im Industriebau bezieht Mitarbeiter und Nachbarn ein, sie berücksichtigt die Integration in den Stadt- oder Landschaftsraum und denkt an Betreuungseinrichtungen für die Kinder von Mitarbeitern.

Der alle drei Jahre vergebene Staatspreis für Industrie- und Gewerbearchitektur, der vom Ministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend zusammen mit der Architekturstiftung Österreich, der Architekten- und Ingenieurkammer, der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung ausgelobt wird, ist ein Gradmesser für den Entwicklungsstand dieses Sektors in Österreich. Zu den sieben nominierten Projekten gehören durchaus spektakuläre Beispiele, wobei Größe dafür keine Rolle spielt. Spektakulär ist auch das kleinste Projekt, die Schmiede Steindl in Osttirol von den Architekten Peter Jungmann und Markus Tschapeller in Innervillgraten. Sie ist ein Marketinginstrument im fast wörtlichen Sinn, ein überdimensionales schwarzes Alphorn inmitten traditioneller Bauernhöfe, gut belichtet von oben und überseitliche Bandfenster, durch die der Blick auf die Hänge gegenüber fällt: Eine Esse mit Ausblick hat nicht jeder Schmied.

Spektakulär in einem gänzlich anderen Maßstab ist das Verkaufs- und Finanzzentrum der Voestalpine Stahl GmbH in Linz, errichtet nach einem Entwurf von Dietmar Feichtinger, dem hier nach der Donauuniversität in Krems und dem Landeskrankenhaus Klagenfurt sein bisher eindrucksvollster Bau gelungen ist, Signalarchitektur mit Witz und sehr gelungenen Büroräumen im Inneren, diean großzügigen, begrünten Atrien liegen.

Die beiden Preisträgerprojekte des Staatspreises, Swarovski Optik in Absam und Sohm Holzbautechnik in Alberschwende im Bregenzer Wald, sind dagegen beinahe kontemplativ. Wolfgang Pöschl hat mit seinem Team für Swarovski ein bestehendes Werksareal schrittweise erneuert. Aus der Einfahrt wurde ein von Zubauten mit üppigen Gründächern gerahmter Hof, den zu überqueren jeden Tag Freude macht. Alle Büros wurden unter Einbeziehung der Mitarbeiter gestaltet, ein Kindergarten wurde eingerichtet und ein neuer Parcours für Werksführungen inszeniert, der dem Image des Unternehmens gerecht wird.

Den architektonisch komplexesten Beitrag hat Architekt Hermann Kaufmann mit der banalsten Bauaufgabe, einer Lagerhalle mit Bürotrakt für Sohm Holzbautechnik, geliefert. Statt der skulpturalen Geste setzt Kaufmann auf die Auflösung des Baukörpers in seine konstruktiven Bestandteile. Die Fassade zur Straße hin ist aus schmalen, beinahe lamellenartigen Tragelementen gebildet. Im Inneren tragen drei mächtige, diagonal in den Raum gestellte Holzsäulen einen Hauptträger, auf dem die Deckenelemente balancieren. In seiner starken Präsenz ohne starke Form ist dieses Projekt richtungsweisend. Man würde sich von manchem sogenannten „Kulturbau“ in Österreichs Gemeinden ein annähernd so hohes Niveau wünschen.

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