Award

Österreichischer Betonpreis 2025
Architekturpreis - Beton Dialog Österreich - Wien (A)
Jury: Anja Fischer, Reinhard Egger, Herwig Kroat, Arian Lehner, Nadine Preßmair, Stefan Sattler, Markus Stumvoll, Cilli Wiltschko
Veranstalter: Beton Dialog Österreich
Preisverleihung: 24. Juni 2025

Abschied von der Zementmoderne

Diese Woche wurde der Österreichische Betonpreis 2025 verliehen. Die dahinterstehende Industrie versucht so, das Image des Baumaterials als CO₂-Schleuder zu korrigieren. Doch manche Architekten fordern einen deutlichen Schlussstrich.

28. Juni 2025 - Maik Novotny
Zwischen zwei Büchern ereilte den britischen Architekturhistoriker Barnabas Calder eine Art Epiphanie. Mit Raw Concrete: The Beauty of Brutalism hatte er 2016 als einer von vielen die Wiederentdeckung des gleichnamigen Baustils der 1960er- und 1970er-Jahre gefeiert, jener Ära der wie von Bildhauerhänden mit rauem Beton geformten Gebäudeskulpturen. Doch schon mit seinem nächsten Buch leistete Calder Abbitte für seine Betonverherrlichung. Es hieß Architecture: From Prehistory to Climate Emergency, und die Schönheit im Titel war einem Notstand gewichen. Was war passiert?

Passiert war die Erkenntnis, dass ein Großteil der modernen Architekturproduktion – der massige Brutalismus, Zaha Hadids tonnenschwer wirbelnde Glas-Beton-Wolken, die Wohnmaschinen von Le Corbusier, die mit Klimaanlagen vollgestopften verspiegelten Türme von Dubai und die ganze Alltagsarchitektur dazwischen – in ihrem enormen Ausmaß nur durch die Ausbeutung fossiler Brennstoffe möglich war. An die Stelle von „ Form follows function“, dem Mantra der Moderne, setzte Calder das Motto „Form follows fuel“ und zeigte, wie die Industrielle Revolution das Energiegleichgewicht der Architektur, die Balance des Hier-etwas-Wegnehmens und Dort-etwas-Aufbauens, komplett zerstörte. „Viktorianische Neogotik, brutalistische Wohntürme oder Norman Fosters Bürobauten, sie alle gehören zur selben Architekturgattung: dem „fossil fuelism““, konstatiert Calder. „Und davon müssen wir so schnell wie möglich weg.“

Sehnsuchtsort Schweiz

Der Beton gilt vielen heute als der Hauptsünder des „fossil fuelism“, und das nicht zu Unrecht. Sechs bis acht Prozent der menschengemachten CO₂-Emissionen weltweit gehen auf das Konto von Zement – etwa dreimal so viel, wie der gesamte Flugverkehr produziert. Verantwortlich dafür ist insbesondere die energieaufwendige Sinterung der Rohstoffe bei der Zementherstellung. Der Schweizer Architekturforscher Kim Förster, der sich seit langem mit der Geschichte des Zements beschäftigt, konstatiert eine rapide Beschleunigung des Materialverbrauchs in der Konsumgesellschaft der 1950er-Jahre.

„In der Nachkriegszeit vermischen sich zwei soziokulturelle Dominanten: die der Petromoderne beziehungsweise Petrokultur und die der Zementmoderne beziehungsweise Zementkultur“, schreibt er. Auch in der Schweiz, bislang der Sehnsuchtsort für die Architekturwelt, wenn es um fugenlos ästhetische Betonoberflächen ging, braucht man heute gute Argumente für die Verwendung dieses Materials.

Um gute Argumente bemüht sich auch die Beton- und Zementindustrie, die sich heute in einer Art Rückzugsgefechtssituation wiederfindet und mit Werbe- und Informationskampagnen gegenzusteuern versucht. „Eine Welt ohne Beton ist eine Welt ohne nachhaltigen Wohnbau“ lautet ein in Wien von Beton Dialog Österreich (BDÖ), der Interessengemeinschaft der Zement-, Betonfertigteil- und Transportbetonhersteller, plakatierter Slogan, dazu fliegen in einer Animation zementlose Gebäudeteile hilflos und haltlos herum. Es klingt ein bisschen drohend und ein bisschen flehend.

Ein weiterer Bestandteil dieser Imageverbesserung ist der Österreichische Betonpreis, der diese Woche zum zweiten Mal vom BDÖ verliehen wurde. „Die Fülle und die Vielfalt der teilnehmenden Projekte zeigt, welche Innovationskraft in dem Baustoff steckt. Die ausgezeichneten Bauwerke sind Leuchtturmprojekte, die uns den Weg zum nachhaltigen Bauen der Zukunft aufzeigen“, so BDÖ-Vorstand Christoph Ressler. „Im Mittelpunkt standen für uns die Kriterien, die auch bei der Ausschreibung des Österreichischen Betonpreises gefordert waren: Nachhaltigkeit, Funktionalität, Ausführungsleistung, Kreislauffähigkeit, Ressourcenschonung, Innovation und Design“, sagt Architektin und Juryvorsitzende Anja Fischer.

Unerträgliche Verantwortung

In drei Kategorien wurden Siegerprojekte gekürt. In der Kategorie Wohnbau das Campo Breitenlee in Wien-Donaustadt von Treberspurg & Partner und Synn Architekten, wo die Speichermasse des Betons zum energieeffizienten Heizen und Kühlen verwendet wird. In der Kategorie Bildungs- und Verwaltungsbauten gewann das Future Art Lab der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (Pichler & Traupmann Architekten), wo das Material für Schallisolierung und als Gestaltungselement punktet, und in der zunehmend wichtigen Kategorie Revitalisierung das Kulturzentrum Mattersburg (Holodeck Architects), eine Ikone des Burgenland-Brutalismus, deren nach dem Teilabriss verbliebene Reste sorgfältig saniert wurden und heute wieder in frischer Rohheit glänzen.

Die Argumente für das massive Material sind nicht aus der Luft gegriffen. Wie die derzeit im Wien-Museum gezeigte Ausstellung über Eisenbetonbauten um 1900 zeigt, kann diese Konstruktionsweise in der Tat sehr langlebig sein, und U-Bahn-Tunnel wird man in der Tat auch in Zukunft eher nicht aus Holz bauen. Dennoch gibt es auch in Österreich Architekten, die den Abschied von der Zementmoderne vollziehen. Einer davon ist Markus Zilker von einszueins Architekten aus Wien, die sich vor allem mit Baugruppenprojekten wie Gleis 21 einen Namen gemacht haben. Die Verantwortung für viele Tonnen CO₂-Emissionen habe ihm die Besuche auf der letzten Stahlbetonbaustelle, dem vielgelobten Wohn-Gewerbe-Baugruppenprojekt Hauswirtschaft im Nordbahnhofviertel, fast unerträglich gemacht, sagt er.

„Natürlich wird es nie eine Welt ohne Beton geben, und der Baustoff hat auch für mich ästhetische Qualitäten. Aber wenn man sich mit der Klimakrise und der Rolle der Bauwirtschaft auseinandersetzt, realisiert man: So geht es nicht weiter“, sagt Zilker. „Energieeffizienz und Langlebigkeit sind schön und gut, aber wir müssen die Emissionen jetzt sofort reduzieren, nicht in Jahrzehnten. Solange wir unsere Häuser in Stahlbeton bauen, haben wir keine Chance, klimaneutral zu werden, und der Kühleffekt der Speichermasse ist in den heutigen Hitzesommern nicht mehr wirksam.“ Die zahlreichen Forschungsprojekte zu Ökobeton seien zwar zu begrüßen, aber stellten das Business as usual der Zementproduktion nicht infrage. „Außerdem ist Stahlbeton immer noch zu billig, weil die Gesellschaft die Umweltfolgekosten von Herstellung, Transport, Bau und Entsorgung trägt.“ Die Bauwirtschaft ist ein langsamer Supertanker. Diesen zur Vollbremsung zu zwingen wird kaum möglich sein, aber für eine Bauwende hin zur Klimaneutralität braucht es mehr als sanfte Kurskorrekturen.

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