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Das Strafjustizzentrum in München ist ein brutalistisches Gebäude-Ensemble aus den 1970er-Jahren. Seit bekannt wurde, dass die Strafjustiz 2026 von ihrem jetzigen Standort an der Nymphenburger Straße in einen Neubau umziehen wird, herrscht Unklarheit über die Zukunft des bestehenden Gebäudes – auch ein Abriss steht im Raum. Als Reaktion auf diese Pläne formierte sich im Oktober 2022 die Initiative JustizzentrumErhalten/AbbrechenAbbrechen. Ihr zentrales Anliegen ist der Erhalt des Bestandsbaus. In einem offenen Diskussionsprozess will sie alternative Nutzungsmöglichkeiten aufzeigen und eine breitere Debatte anstoßen. Jan Fries und Laura Höpfner, Aktivist:innen der Initiative, erklären im Gespräch, warum man anhand des Strafjustizzentrums viele Themen rund um die Bauwende aushandeln kann, warum für den Erhalt solcher Gebäude breite Allianzen gefunden werden müssen und welchen Zweck Kartierungsspaziergänge in diesem Kontext haben. Das Gespräch ist in voller Länge im Podcast Morgenbau anzuhören.
Weil niemand anders sich für diesen Aushandlungsprozess zuständig fühlte, haben wir damit begonnen. Im Endeffekt aber ist es eine Angelegenheit der Stadtgesellschaft von München. Jede Person, die betroffen ist und sich angesprochen fühlt, sollte dabei mitsprechen dürfen. Das beginnt beim unmittelbar umgebenden Viertel, dem St.-Benno-Viertel, und geht dann in konzentrischen Kreisen weiter über die angrenzende Innenstadt, die ganze Stadt und darüber hinaus.
Konkret geht es uns um die Ideenfindung und die Bedarfsermittlung für das Objekt. Wir haben versucht, die Bedürfnisse und Wünsche mit Workshops, Infoveranstaltungen mit Bürger*innen und einem Open Call, also einem offenen Ideenwettbewerb für die Nachnutzung des Gebäudes, zu ermitteln. Auf den Open Call bekamen wir über 100 sehr vielseitige Einreichungen. Dadurch sind ganz verschiedene Bilder und Visionen für dieses Gebäude entstanden. Diese Vielfalt müsste auch im weiteren Prozess aufgegriffen werden.
Wir haben von verschiedenen Stellen gespiegelt bekommen, dass es zwischen dem zuständigen Ministerium und weiteren Stellen Gespräche gab und dass der Beschluss vom bayerischen Ministerrat, eine Machbarkeitsstudie zu machen, schon mal ein Erfolg für unsere Initiative ist. Uns geht es im Allgemeinen um eine Diskursverschiebung. Grundsätzlich muss man raus aus der Fachbubble und mit den Menschen reden, die betroffen sind oder betroffen sein könnten. Man muss breite Allianzen schließen. Die Dondorf-Druckerei in Frankfurt am Main ist ein Erfolgsbeispiel. Sie haben es wirklich geschafft, dass das Gebäude nun erhalten und umgenutzt wird. Menschen aus dem linken Spektrum haben mit Bürger*innen aus einem eher konservativen Bereich zusammengefunden und waren mithilfe ganz unterschiedlicher Taktiken, die den jeweiligen Milieus eigen sind, erfolgreich. Bei uns hingegen ist die Zukunft des Münchner Justizzentrums noch ungewiss.
Darüber hinaus versuchen wir, eine bestandsorientierte Bauwende mit verschiedenen Formaten allgemein zu platzieren. Ein gutes Werkzeug, um Raumpotenziale in der Stadt sichtbar zu machen, ist zum Beispiel das gemeinschaftliche Kartieren. Wir haben in Zusammenarbeit mit der Hans Sauer Stiftung in zwei Stadtteilen von München Kartierungsspaziergänge veranstaltet. Dabei werden gemeinschaftlich mit der Stadtbevölkerung Leerstand und Brachen erfasst. Diese Orte oder Räume werden dann gemeinschaftlich neu gedacht: Was kann dort in Zukunft passieren? Wie könnte man mit dem Bestand umgehen? Welche Bedarfe gibt es aus der lokalen Bevölkerung? Da sind spannende Ideen zustande gekommen.
Die dominante Erzählung bei uns in der Bundesrepublik ist noch immer: „Bauen hilft“. Vor diesem Hintergrund sind Kartierungsspaziergänge ein Weg, um Druck von unten aufzubauen, die Potenziale im Bestand zu nutzen. Abriss und Leerstand sind oft ein Symptom von Immobilienspekulation, also dem Priorisieren des Profits Einzelner vor den Interessen der Stadtgesellschaft
Wir sehen einen Mehrwert darin, wenn Bürger:innen verstehen, dass es auch jetzt schon im Viertel Platz für ihre Bedürfnisse gibt. Nur wird der Raum noch nicht richtig und gemeinwohlorientiert genutzt.“
Das Justizzentrum München wird in absehbarer Zeit von seinem jetzigen Standort an der Nymphenburger Straße in einen Neubau am nördlich gelegenen Leonrodplatz umziehen. Über die Zukunft des bestehenden Ensembles aus dem Jahr 1977 herrscht Unklarheit – ein Abriss steht im Raum. Als Reaktion auf diese Pläne formierte sich im Oktober 2022 die Initiative AbbrechenAbbrechen. Ihr zentrales Anliegen ist der Erhalt des Bestandsbaus. In einem offenen Diskussionsprozess will sie alternative Nutzungsmöglichkeiten aufzeigen und eine breitere Debatte anstoßen. Der Eigentümer, der Freistaat Bayern, prüft derzeit, ob „maximal viel bezahlbarer Wohnraum“ entweder durch einen Umbau oder im Rahmen eines Neubaus realisiert werden kann.
Jan Fries ist Urbanist, Regionalplaner, GIS-Spezialist und Mitinitiator von AbbrechenAbbrechen. Er ist zurzeit bei der Regierung von Oberbayern als Landes- und Regionalplaner tätig.
Laura Maria Höpfner ist Architektin und Stadtgestalterin und neben ihrer selbstständigen Tätigkeit bei der Landeshauptstadt München als Projektkoordinatorin für die IBA „Räume der Mobilität“ zuständig. Sie ist zudem aktiv bei AbbrechenAbbrechen.