Bauwerk

Informatik-Mittelschule Kinkplatz
Helmut Richter - Wien (A) - 1994

Wien-Penzing: Wer will in der Schule wohnen?

Die Doppelhauptschule von Helmut Richter in Wien-Penzing ist ein ikonischer Bau. Seit 2017 steht sie leer, seit Kurzem unter Denkmalschutz, der Schulbedarf des Bezirks ist gedeckt. Nun sucht die Stadt nach einer zukunftsfähigen Nutzung: als Wohnbau?

10. Mai 2024 - Isabella Marboe
Es dauerte lang: Mit Schreiben 30. April 2021 informierte das Bundesdenkmalamt die Stadt Wien von seiner Absicht, die Doppelhauptschule von Helmut Richter in Wien-Penzing unter Schutz zu stellen. Seit 25. Jänner 2024 ist sie rechtskräftig ein Denkmal. „Wir haben einen sehr aufwendigen Prozess aufgesetzt, um zu einer guten Lösung zu kommen“, so Wolfgang Salcher, der Leiter des Landeskonservats für Wien. Er hofft auf Planer, die „richtig tief einsteigen“. Wie Adolf Krischanitz, der Karl Schwanzers 20er Haus so glücklich sanierte.

Mehrfach ersuchte die Stadt um Fristverlängerung, am 3. März 2023 übermittelte sie ein Privatgutachten von Architekt Manfred Wehdorn, einer Koryphäe der Denkmalpflege. Es prüfte die wirtschaftliche Abbruchreife, ließ keine Zweifel an der „höchsten architektonischen Qualität“ der Schule, stellte aber „verheerende Bauschäden“ fest. Das Bundesdenkmalamt schloss eine „faktische Unmöglichkeit der Instandsetzung“ aus und stellte klar, dass der Verlust der Schule eine Beeinträchtigung des österreichischen Kulturbestands und ihre Erhaltung im öffentlichen Interesse sei.

Offene Räume erweitern den Horizont

Man betrat die Schule seitlich über einen Steg in einer großen, hellen Aula aus Stahl und Glas, 15 Meter hoch, darüber ein schräges, blau getöntes Glasdach, das auch Fassade war, auf einem Tragwerk aus Stahl. Dahinter ein zweites Schrägdach, 1500 m² Glas über einem tief ins Erdreich eingegrabenen Dreifach-Turnsaal. Dazwischen ein Pausenhof, oft wurden die Dächer als Libellenflügel rezipiert, Peter Cook sprach von „hand-tailored tech“.

Die Schule liegt auf einem wasserführenden Hang, der nach Süden steil abfällt, Dach und Gebäude folgten seiner Neigung. Die drei zweihüftigen Klassentrakte, die wie Finger ins Gelände ragen, sind zwischen zwei und vier Geschoße hoch. Offene Erschließungsstege und Treppenkaskaden durchmaßen die gesamte Länge, man überblickte Aula und Turnsaal. Lüftungsrohre, Installation, Stahlknoten, Zugseile, Sonnensegel: alles offen, alles ablesbar, fast jedes Detail ein Unikat. 600 Schüler besuchten die Schule. Richter hatte sie 1991 geplant, sie stand für Aufbruch, Transparenz und die Überzeugung, dass offene Räume mit viel Bewegungsfreiheit den Horizont erweitern.

Alfred Dorfer als Lehrer in „Freispiel“

Richter strebte nach konstruktiver Innovation, formvollendeten Details und orientierte sich an Renzo Piano, Richard Rogers, Norman Foster. Als Professor für Hochbau brachte er frischen Wind und internationale Vortragende an die TU Wien. 16 Jahre lehrte er dort und lebte vor, was es heißt, für Architektur zu brennen. Diese Schule war sein Hauptwerk, ein Direktauftrag und Leuchtturmprojekt des „Schulbauprogramms 2000“ von Stadtrat Hannes Swoboda. Architekten pilgerten in Scharen hin, als Musiklehrer im Film „Freispiel“ unterrichtete der junge Alfred Dorfer an dieser Schule. Es regnete Auszeichnungen, die avancierte Stahl-Glas-Architektur hatte ihren Preis.

Die Akustik der harten Oberflächen war brutal, unbarmherzig brannte die Sonne auf das Glas, Bauschäden kamen heraus und Mängel häuften sich. Keine andere Schule war im Betrieb so teuer. Richters Kompromisslosigkeit war mit den ökonomischen Sachzwängen und dem Pragmatismus der MA 56 nicht kompatibel. Statt der geplanten Drainage, zwischen deren Steinen das Hangwasser durch- und abrinnen sollte, setzte man den Bau in eine Dichtbetonwanne. Die Bauphysik war mit kühlender Nachtluft berechnet, die dafür vorgesehene Lüftungsklappe blieb zu. Die projektierten Fotovoltaikpaneele auf dem Dach gab es nie.

Die Stadt beauftragte Gutachten, die des Werkraum Wien (2015) und von KPPK (2016) hielten eine respektvolle Mängelbehebung zu vertretbaren Kosten für möglich. Bestandserhaltende Maßnahmen wurden auf 5,6 Mio. Euro geschätzt, nichts geschah. Ein Gutachten von Ingenieur Ribarich (2018) ging von etwa 60 Mio. Euro für eine Generalsanierung aus, viel zu viel. Die Stadt lud Experten zu zwei Sounding Boards, niemand war für einen Abriss.

Seit 2017 steht die Schule leer, ein Tod auf Raten. Sie blieb ungesichert, es kam zu Vandalismus, ohne Strom keine Sumpfpumpe, Wasser drang ein, zerbrochenes Glas wurde nicht ersetzt, jeder Schaden ist ein Schritt mehr zur wirtschaftlichen Abbruchreife. Die Stadt als Schulerhalterin schaute zu, die Fachwelt war alarmiert. Architektin Silja Tillner, Helmut Richters Witwe, mobilisierte. Prominenz von Wolf D. Prix abwärts, die ZV, die Ögfa, die IG Architektur, das AzW, die Initiative für Denkmalschutz, „Bauten in Not“: Alle standen in ungeahnter Einigkeit hinter der Schule. Am 18. September 2019 – dem Tag des schutzlosen Denkmals – gab es eine Demo-Lecture, am 23. Oktober einen Fachworkshop an der TU Wien, Architekt Johannes Zeininger brachte eine Petition zum Erhalt der Schule ein.

In der Dauerausstellung des AzW ist die Richter-Schule vertreten, eine Podiumsdiskussion dazu am 26. Jänner 2022 war ausgebucht, das Büro Tillner & Willinger präsentierte dort sein FFG- und „Stadt der Zukunft“-Forschungsprojekt, das die Idee der Solarpaneele auf dem Dach weiterentwickelt und den Bestand zum Fallbeispiel für eine zukunftsweisende energetische Sanierung macht. „Man kann an diesem Gebäude zeigen, wie sich viele Probleme von Glasarchitektur lösen lassen“, erklärt Tillner.

Unweit des Bahnhofs Hütteldorf eröffnete im Oktober 2022 ein neuer Bildungscampus mit 29-klassiger Ganztagsschule für rund 1100 Kinder, damit ist der Schulbedarf des Bezirks gedeckt. Die Richter-Schule muss nun nie mehr Schule sein, die Widmung des Grundstücks lässt Wohnbau zu. Wien kann Wohnen, Wohnen wird gebraucht und rechnet sich.

Erneut Leuchtturmprojekt?

Im Auftrag der Stadt startete die WSE Wiener Standortentwicklung GmbH nun ein Konzeptverfahren. Die Ausschreibung wurde EU-weit veröffentlicht, die Jury darf nicht genannt werden. Zuschlagskriterium ist vorrangig die Qualität der Projekte in Verbindung mit dem angebotenen Preis. Gesucht ist ein Investor mit einem „qualitativ hochwertigen“ Zukunftsszenario für den Bestand. Eine weitere Schul- sowie anderweitige Nutzung durch die Stadt wird dezidiert ausgeschlossen, der Bestand im Baurecht vergeben. „Dadurch behalten wir ein Mitsprachrecht. Wir haben uns über ein Jahr mit der Baudirektion ausgetauscht, nehmen den Denkmalschutz sehr ernst und werfen die Schule nicht einfach auf den Markt“, so Andreas Meinhold, Geschäftsführer der WSE. Wohnen ist möglich und das Verfahren bewusst weit gefasst. Es dient auch dazu, die Interessenslage auf dem Markt abzufragen. „Wir sind für alles offen. Jede Immobilie, die leer steht, tut mir weh“, so Meinhold. „Wenn Helmut Richter noch lebte, sähe diese Schule ganz anders aus. Er hätte sie laufend verändert und angepasst.“

Man weiß es nicht. Was man weiß: Diese Schule ist ein außergewöhnlicher Bau, sie verträgt keine Kompromisse. Das hat sie bewiesen. Wie lässt sie sich erhalten, ohne sie zu zerstören? Die Antwort auf diese existenzielle Frage muss außergewöhnlich sein. Nur dann könnte sie sich treu bleiben und wieder Leuchtturmprojekt werden.

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