Zeitschrift
db 2025|01-02
Anders Bauen

U-Halle in Mannheim
Fit für den Wandel
Wenn einfache Lagerhallen wie diese in Mannheim aus der Nutzung fallen, werden sie meist abgebrochen. Die mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur 2024 ausgezeichnete U-Halle zeigt, welches Potenzial selbst in solchen Gebäuden schlummert – nicht nur mit Blick auf das zirkuläre Bauen, sondern auch ästhetisch.
3. Januar 2025 - Roland Pawlitschko
Seit gut 90 Jahren ist auf dem 79 ha großen Gelände 4 km östlich der Mannheimer Innenstadt nichts so stetig wie der Wandel. Ende der 1930er-Jahre errichtete die Wehrmacht eine Kaserne mit Lagergebäuden. In der Nachkriegszeit übernahmen US-Streitkräfte das Areal, um hier ein Distributionszentrum für Kleidung, Waffen und Fahrzeuge einzurichten. Dabei wurde ein bestehendes Lagergebäude aus vier direkt angrenzenden Hallen so erweitert, dass ein 350 m langes Gebäude in U-Form entstand, das einen zentralen Verladehof mit Gleisanschluss umschließt. Nachdem die Spinelli Barracks 2014 an den Bund zurückgingen, dienten die Kasernenbauten einige Jahre als Notunterkunft für Geflüchtete. 2023 war das Gelände schließlich Austragungsort der Bundesgartenschau (BUGA), in deren Fokus die vier Leitthemen Klima, Energie, Umwelt und Nahrungssicherung standen.
Um Neubauten für die BUGA-Ausstellung zu vermeiden, aber auch, um Impulse für ein zeitgemäßes Nutzungskonzept der nun mitten im Park liegenden U-Halle zu erhalten, lobte die Stadt als Eigentümerin einen Realisierungswettbewerb aus. Im ehemaligen Lagergebäude waren zunächst temporäre Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Gastronomieflächen sowie Blumenhallen und ein Rundfunkstudio unterzubringen. Nach der BUGA sollte es in der Lage sein, noch nicht näher definierte Kultur- und Freizeitnutzungen zu beherbergen.
Subtraktives Entwurfskonzept
Das mit dem 1. Platz ausgezeichnete Siegerprojekt des Berliner Architekturbüros Hütten & Paläste knüpft an den Wandel und die Transformationen an, die für dieses Gelände, aber auch für die U-Halle charakteristisch sind. Vor allem jedoch ist es ein bemerkenswertes Beispiel für die vielfältigen Möglichkeiten, die das zirkuläre Bauen selbst unspektakulären und im Lauf der Jahre »verbastelten« Bestandsgebäuden eröffnet.
Im Mittelpunkt des Entwurfs steht die Wieder- und Weiterverwendung der baulichen Strukturen. Die Berliner Architekt:innen planten kein fertiges Gebäude, sondern entwickelten einen auf zukünftige Szenarien ausgerichteten Umbauprozess. Bauliche Maßnahmen und Nutzungen wurden dabei nicht additiv zu einem großen Ganzen zusammengefügt. Hütten & Paläste kuratierte vielmehr den teilweisen Rückbau der aus insgesamt 16 Einzelhallen bestehenden U-Halle. Mit anderen Worten: Sie extrahierten das »neue« Gebäude subtraktiv aus dem bestehenden Baukörper. Da in den rückgebauten Bereichen lediglich die Tragstruktur erhalten blieb, entstanden spannungsreiche Abfolgen von Innen- und Außenräumen, die von den BUGA-Besucher:innen als Parcours durchschritten und erlebt werden konnten. Durch die freigelegten Tragwerke und das Bepflanzen der punktuell geöffneten Bodenplatten schufen die Architekt:innen eine kreative Markthallenatmosphäre, die den einst drögen Lagerhallen eine neue Identität und einen menschlichen Maßstab verleiht. Diese Reduzierung der Baumasse war nicht nur dramaturgisches Mittel. Sie entsprach auch der Forderung der Ausloberin nach einer verbesserten Winddurchlässigkeit des Geländes, die im Sommer einer Überhitzung der Innenstadt entgegenwirken soll.
Zirkuläre Strategien
Wesentlich für das Entwurfskonzept war die Wiederverwendung vorhandener Bauteile. Diese stammten z. T. aus der näheren Umgebung – für die Fassaden kamen etwa Polycarbonatplatten aus dem kürzlich renovierten Pflanzenschauhaus im Mannheimer Luisenpark zum Einsatz – oder aus der U-Halle selbst. Ein konkretes Beispiel für Letzteres ist die alte, aber noch intakte Blech-Dachdeckung. Während sie in den erhaltenen Einzelhallen unangetastet blieb, wurde sie in den rückgebauten Bereichen sorgfältig demontiert, neu zugeschnitten und als vertikale Fassade der nun freigelegten Brandwände eingesetzt. Ansonsten wurde wo immer möglich repariert, anstatt Bauteile auszutauschen.
Wo Erneuerungen unumgänglich waren, wie etwa bei der Ergänzung um Fluchttüren, wurden diese reversibel mit lösbaren Steckverbindungen montiert. Besonders eindrucksvoll zeigt sich dieses Vorgehen bei den temporären Fassaden, die während der BUGA als neuer Raumabschluss der durch den Rückbau einzelner Hallen offenen Stirnseiten dienten. Sie bestehen entweder aus modularen Holzrahmenbauwänden oder aus Mischkonstruktionen aus gemieteten Baugerüsten, die eine mit Klemmleisten befestigte Holzunterkonstruktion mit Polycarbonatplatten trugen. Durch die Seitenwände zu den neuen Höfen gelang es den Architekt:innen, großflächig Tageslicht in die bislang nur durch Oberlichtbänder belichteten Hallen zu bringen. Zudem entstanden vielfältige Sichtbeziehungen zum Freiraum. Teile dieser Konstruktion sind heute am KIT in Karlsruhe im Einsatz.
Experimentelle Erkundung des Bestands
Was die Umsetzung dieses Konzepts erschwerte, war der Umstand, dass die durchgängig 27 m breite U-Halle keineswegs über ein einheitliches Tragwerk verfügt, sondern seit den 1930er-Jahren verschiedene Bauweisen zur Ausführung kamen. Die vier ältesten Hallen wurden als Stahlbetonrahmen errichtet und von den amerikanischen Streitkräften seitlich um Stahlskelettbauten erweitert. Bei den jüngeren zwölf Hallen kamen robuste, aber uneinheitliche Stahlfachwerkbinder und Stützen zum Einsatz, deren bauzeitliche Verzinkung einen ausreichenden Korrosionsschutz bot. Ebenfalls unterschiedlich ist die Ausführung der Außenwände und der Brandwände zwischen den Einzelhallen teils als Betonskelettkonstruktionen mit Mauerwerksausfachungen, teils als massive Mauerwerkswände. Der heterogene Bestand eröffnete aber auch Gestaltungsspielräume: So ließen sich die Wände gemäß der jeweiligen Nutzungen ganz unterschiedlich gestalten, z. B. mit den zuvor demontierten Glasbausteinen, Profilgläsern oder Dachpaneelen.
Nicht zuletzt, weil keinerlei Planmaterial zum Baubestand vorlag, experimentierten die Architekt:innen zunächst in einen kleinen Hallenabschnitt. Hier erprobten und optimierten sie ihr Rückbaukonzept. Zudem gewannen sie wichtige Erkenntnisse zum Aufbau von Tragwerk, Wand und Dach sowie zu den Materialeigenschaften und eventuell enthaltenen Schadstoffen. Hierbei entwickelte Strategien wurden anschließend auf die Gesamtmaßnahme übertragen. Eine Herausforderung ergab sich etwa aus der Tatsache, dass die nach Entfernen der Dächer und Fassaden der Witterung ausgesetzten Böden kein Gefälle aufwiesen, sodass sich Regenwasser in großen Pfützen sammelte. Auf Grundlage eines »Pfützenmappings« öffneten die Architekt:innen dann jeweils genau dort die Bodenplatte, um große Pflanzflächen zu schaffen, in die das Regenwasser nun versickern kann. Der entfernte Beton wurde geschreddert oder zurechtgeschnitten und für Ausstellungsbeiträge während der BUGA verwendet.
Flexibilität für zukünftige Nutzungen
Durch die BUGA-Nutzung ausschließlich während der Sommermonate sind die Hallenbereiche mit Ausnahme der noch immer betriebenen Gastronomiebereiche bis heute unbeheizt. Mit Blick auf spätere Nutzungsphasen erhielt die U-Halle jedoch einen Fernwärmeanschluss sowie eine 6 400 m² große PV-Anlage auf dem Dach, deren Leistung rund 1 MW beträgt. Die Strom-, Wasser- und Medienversorgung erfolgt über eine zentrale, leicht von allen Hallenbereichen erreichbare Leitungsachse.
Der von der städtischen MWS Projektentwicklungsgesellschaft (MWSP) aktuell durchgeführte weitere Rückbau des Gebäudes basiert auf den von Hütten & Paläste gesammelten Erkenntnissen. Da einige Mitarbeitende, die das Projekt auftraggeberseitig während der BUGA geleitet haben, zur MWSP gewechselt sind, ist zu erwarten, dass sich die U-Halle im Sinne des zirkulären Umbau- und Organisationsprinzips weiterentwickelt. Noch ohne konkrete neue Nutzungen sollen drei weitere Hallen rückgebaut werden, u. a., um das Windströmungsprofil auf dem Gelände zu optimieren und die bebaute Fläche zusätzlich zu entsiegeln. Dies wird nichts daran ändern, dass die U-Halle als multifunktionales, nachhaltiges und partizipativ veränderbares Gebäude weiterhin die Identität seines Umfelds prägt. Und theoretisch könnten die freigelegten Tragwerke auch wieder zu geschlossenen Bauvolumen ausgebaut werden.
Um Neubauten für die BUGA-Ausstellung zu vermeiden, aber auch, um Impulse für ein zeitgemäßes Nutzungskonzept der nun mitten im Park liegenden U-Halle zu erhalten, lobte die Stadt als Eigentümerin einen Realisierungswettbewerb aus. Im ehemaligen Lagergebäude waren zunächst temporäre Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Gastronomieflächen sowie Blumenhallen und ein Rundfunkstudio unterzubringen. Nach der BUGA sollte es in der Lage sein, noch nicht näher definierte Kultur- und Freizeitnutzungen zu beherbergen.
Subtraktives Entwurfskonzept
Das mit dem 1. Platz ausgezeichnete Siegerprojekt des Berliner Architekturbüros Hütten & Paläste knüpft an den Wandel und die Transformationen an, die für dieses Gelände, aber auch für die U-Halle charakteristisch sind. Vor allem jedoch ist es ein bemerkenswertes Beispiel für die vielfältigen Möglichkeiten, die das zirkuläre Bauen selbst unspektakulären und im Lauf der Jahre »verbastelten« Bestandsgebäuden eröffnet.
Im Mittelpunkt des Entwurfs steht die Wieder- und Weiterverwendung der baulichen Strukturen. Die Berliner Architekt:innen planten kein fertiges Gebäude, sondern entwickelten einen auf zukünftige Szenarien ausgerichteten Umbauprozess. Bauliche Maßnahmen und Nutzungen wurden dabei nicht additiv zu einem großen Ganzen zusammengefügt. Hütten & Paläste kuratierte vielmehr den teilweisen Rückbau der aus insgesamt 16 Einzelhallen bestehenden U-Halle. Mit anderen Worten: Sie extrahierten das »neue« Gebäude subtraktiv aus dem bestehenden Baukörper. Da in den rückgebauten Bereichen lediglich die Tragstruktur erhalten blieb, entstanden spannungsreiche Abfolgen von Innen- und Außenräumen, die von den BUGA-Besucher:innen als Parcours durchschritten und erlebt werden konnten. Durch die freigelegten Tragwerke und das Bepflanzen der punktuell geöffneten Bodenplatten schufen die Architekt:innen eine kreative Markthallenatmosphäre, die den einst drögen Lagerhallen eine neue Identität und einen menschlichen Maßstab verleiht. Diese Reduzierung der Baumasse war nicht nur dramaturgisches Mittel. Sie entsprach auch der Forderung der Ausloberin nach einer verbesserten Winddurchlässigkeit des Geländes, die im Sommer einer Überhitzung der Innenstadt entgegenwirken soll.
Zirkuläre Strategien
Wesentlich für das Entwurfskonzept war die Wiederverwendung vorhandener Bauteile. Diese stammten z. T. aus der näheren Umgebung – für die Fassaden kamen etwa Polycarbonatplatten aus dem kürzlich renovierten Pflanzenschauhaus im Mannheimer Luisenpark zum Einsatz – oder aus der U-Halle selbst. Ein konkretes Beispiel für Letzteres ist die alte, aber noch intakte Blech-Dachdeckung. Während sie in den erhaltenen Einzelhallen unangetastet blieb, wurde sie in den rückgebauten Bereichen sorgfältig demontiert, neu zugeschnitten und als vertikale Fassade der nun freigelegten Brandwände eingesetzt. Ansonsten wurde wo immer möglich repariert, anstatt Bauteile auszutauschen.
Wo Erneuerungen unumgänglich waren, wie etwa bei der Ergänzung um Fluchttüren, wurden diese reversibel mit lösbaren Steckverbindungen montiert. Besonders eindrucksvoll zeigt sich dieses Vorgehen bei den temporären Fassaden, die während der BUGA als neuer Raumabschluss der durch den Rückbau einzelner Hallen offenen Stirnseiten dienten. Sie bestehen entweder aus modularen Holzrahmenbauwänden oder aus Mischkonstruktionen aus gemieteten Baugerüsten, die eine mit Klemmleisten befestigte Holzunterkonstruktion mit Polycarbonatplatten trugen. Durch die Seitenwände zu den neuen Höfen gelang es den Architekt:innen, großflächig Tageslicht in die bislang nur durch Oberlichtbänder belichteten Hallen zu bringen. Zudem entstanden vielfältige Sichtbeziehungen zum Freiraum. Teile dieser Konstruktion sind heute am KIT in Karlsruhe im Einsatz.
Experimentelle Erkundung des Bestands
Was die Umsetzung dieses Konzepts erschwerte, war der Umstand, dass die durchgängig 27 m breite U-Halle keineswegs über ein einheitliches Tragwerk verfügt, sondern seit den 1930er-Jahren verschiedene Bauweisen zur Ausführung kamen. Die vier ältesten Hallen wurden als Stahlbetonrahmen errichtet und von den amerikanischen Streitkräften seitlich um Stahlskelettbauten erweitert. Bei den jüngeren zwölf Hallen kamen robuste, aber uneinheitliche Stahlfachwerkbinder und Stützen zum Einsatz, deren bauzeitliche Verzinkung einen ausreichenden Korrosionsschutz bot. Ebenfalls unterschiedlich ist die Ausführung der Außenwände und der Brandwände zwischen den Einzelhallen teils als Betonskelettkonstruktionen mit Mauerwerksausfachungen, teils als massive Mauerwerkswände. Der heterogene Bestand eröffnete aber auch Gestaltungsspielräume: So ließen sich die Wände gemäß der jeweiligen Nutzungen ganz unterschiedlich gestalten, z. B. mit den zuvor demontierten Glasbausteinen, Profilgläsern oder Dachpaneelen.
Nicht zuletzt, weil keinerlei Planmaterial zum Baubestand vorlag, experimentierten die Architekt:innen zunächst in einen kleinen Hallenabschnitt. Hier erprobten und optimierten sie ihr Rückbaukonzept. Zudem gewannen sie wichtige Erkenntnisse zum Aufbau von Tragwerk, Wand und Dach sowie zu den Materialeigenschaften und eventuell enthaltenen Schadstoffen. Hierbei entwickelte Strategien wurden anschließend auf die Gesamtmaßnahme übertragen. Eine Herausforderung ergab sich etwa aus der Tatsache, dass die nach Entfernen der Dächer und Fassaden der Witterung ausgesetzten Böden kein Gefälle aufwiesen, sodass sich Regenwasser in großen Pfützen sammelte. Auf Grundlage eines »Pfützenmappings« öffneten die Architekt:innen dann jeweils genau dort die Bodenplatte, um große Pflanzflächen zu schaffen, in die das Regenwasser nun versickern kann. Der entfernte Beton wurde geschreddert oder zurechtgeschnitten und für Ausstellungsbeiträge während der BUGA verwendet.
Flexibilität für zukünftige Nutzungen
Durch die BUGA-Nutzung ausschließlich während der Sommermonate sind die Hallenbereiche mit Ausnahme der noch immer betriebenen Gastronomiebereiche bis heute unbeheizt. Mit Blick auf spätere Nutzungsphasen erhielt die U-Halle jedoch einen Fernwärmeanschluss sowie eine 6 400 m² große PV-Anlage auf dem Dach, deren Leistung rund 1 MW beträgt. Die Strom-, Wasser- und Medienversorgung erfolgt über eine zentrale, leicht von allen Hallenbereichen erreichbare Leitungsachse.
Der von der städtischen MWS Projektentwicklungsgesellschaft (MWSP) aktuell durchgeführte weitere Rückbau des Gebäudes basiert auf den von Hütten & Paläste gesammelten Erkenntnissen. Da einige Mitarbeitende, die das Projekt auftraggeberseitig während der BUGA geleitet haben, zur MWSP gewechselt sind, ist zu erwarten, dass sich die U-Halle im Sinne des zirkulären Umbau- und Organisationsprinzips weiterentwickelt. Noch ohne konkrete neue Nutzungen sollen drei weitere Hallen rückgebaut werden, u. a., um das Windströmungsprofil auf dem Gelände zu optimieren und die bebaute Fläche zusätzlich zu entsiegeln. Dies wird nichts daran ändern, dass die U-Halle als multifunktionales, nachhaltiges und partizipativ veränderbares Gebäude weiterhin die Identität seines Umfelds prägt. Und theoretisch könnten die freigelegten Tragwerke auch wieder zu geschlossenen Bauvolumen ausgebaut werden.
Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: Emre Onur