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Trumps Liebe zum Klassizismus: Ohne Säulen geht es in den USA nicht mehr

In den USA sollen Bundesgebäude in Zukunft nur noch im klassizistischen Stil errichtet werden. Eine Vorgabe mit Nebeneffekten.
7. April 2025 - Christian Kühn
Diesmal waren Donald Trump und seine Truppe besser vorbereitet. Schon am ersten Tag seiner zweiten Amtszeit unterzeichnete der Präsident Dutzende Erlässe, unter anderem zum Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen, zur Einwanderungspolitik und zur Begnadigung aller wegen ihrer Beteiligung am Sturm auf das Kapitol Beteiligten. Neben diesen Erlässen, die geradezu eine Zeitenwende signalisierten, fiel ein Erlass dadurch auf, dass er sich auf eine ästhetische Frage bezog: „Erlass zur Förderung schöner Architektur für Bundesbauten“.
Konkret wird darin die Verwaltung der Bundesimmobilien aufgefordert, innerhalb von 60 Tagen Vorschläge für eine Politik zu liefern, öffentliche Bauten des Bundes visuell als solche erkennbar zu machen und dabei das regionale, traditionelle und klassische Architekturerbe zu respektieren, um „öffentliche Räume aufzuwerten und zu verschönern und die USA und ihr System der Selbstverwaltung zu nobilitieren“. Zugleich sei zu überlegen, die bestehenden, erstmals 1962 definierten Leitlinien für den Bundeshochbau zu reformieren und Strategien für mehr Partizipation bei der Auswahl von Entwürfen zu entwickeln.
Respekt vor dem Bestand problematisch?
Das klingt fürs Erste nicht weiter dramatisch. Was soll an Respekt vor dem historischen Erbe, an der Verbesserung des öffentlichen Raums und mehr Partizipation problematisch sein? Hat die Architektur nicht gerade in jüngster Zeit Respekt vor dem Bestand gelernt, nicht zuletzt aus ökologischen Gründen? Um die Sprengkraft dieses Erlasses zu verstehen, muss man fünf Jahre in die Vergangenheit zurückgehen. Der aktuelle Erlass ist nämlich nicht der erste, den Donald Trump zu diesem Thema unterschrieben hat. Bereits im Dezember 2020 veröffentlichte das Weiße Haus einen Erlass, der sich wie die Langfassung des aktuellen liest und die Ziele offen ausspricht: Öffentliche Bauten des Bundes sollen sich an klassizistischen Vorbildern orientieren, nicht nur im Neubau, sondern auch bei Sanierungen, bei denen zumindest untersucht werden soll, ob sich eine klassizistische Anmutung herstellen lässt.
Initiator des Erlasses war die Civic Arts Society, eine private Organisation, deren Mission Statement die Förderung klassizistischer Tendenzen in der Architektur ist. Ihr Vorsitzender, Justin Shabow, war im Jänner 2021 von Donald Trump zum Vorsitzenden eines seit 1910 bestehenden Gestaltungsbeirats für das Zentrum Washingtons bestellt, allerdings schon nach vier Monaten von Joe Biden abgesetzt worden, der auch den Erlass Trumps kassierte. Zu den Aktivitäten der Civic Arts Society gehörte eine Online-Befragung von 2000 Personen, die anhand von Fotos von Gerichtsgebäuden deklarieren konnten, ob sie eher klassizistische oder moderne Gebäudeformen präferieren würden. Das Ergebnis war eindeutig: 70 Prozent stimmten für den Klassizismus, 30 Prozent für das, was die Autoren der Studie als Brutalismus oder Dekonstruktivismus bezeichneten. Die Verteilung war bei Republikanern nicht anders als bei demokratischen Teilnehmern an der Umfrage.
So fragwürdig die Methodik dieser Studie sein mag – überraschend war das Ergebnis nicht. Die drei zentralen Institutionen der amerikanischen Demokratie sind im klassizistischen Stil errichtet: das Weiße Haus als Exekutive, das Kapitol als Legislative und der Oberste Gerichtshof als Judikatur. Das Weiße Haus und das Kapitol datieren aus einer Zeit, als der Klassizismus tatsächlich die modernste Formensprache war, nämlich aus den 1790er-Jahren, und sie behielten diesen Stil auch bei ihren zahlreichen Umbauten und Erweiterungen bei. Der Oberste Gerichtshof ist ein Nachzügler, von Cass Gilbert 1932 entworfen und 1935 eröffnet, Ausdruck des amerikanischen Selbstverständnisses, der legitime Erbe der griechischen Demokratie, des römischen Rechts und der humanistischen Kultur der Renaissance zu sein. In diesem geistigen Umfeld galt der Klassizismus als die Sprache der Vernunft, die jeder versteht, eine Rolle, die er nach dem Zweiten Weltkrieg an den Funktionalismus abtreten musste.
Verzicht auf Überraschungen
Auf die einfachste Formel gebracht, lebt der Klassizismus von der Idee, dass alle Dinge einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben. Dieses Prinzip sorgt für Symmetrie und eine Stabilität, die freilich ihren Preis hat: die Beschränkung auf wenige Muster und den Verzicht auf jede Überraschung. Die Architektur des 20. Jahrhunderts hat Schatztruhen an formalen Inspirationen geöffnet, aus der Natur, aus der Technik, aus der bildenden Kunst, die dem Klassizismus unzugänglich bleiben müssen, und sie hat dafür bereitwillig den „Verlust der Mitte“ in Kauf genommen, den ihr der konservative Kunsthistoriker Hans Sedlmayr in seinem berühmten gleichnamigen Buch aus dem Jahr 1948 vorwarf.
Damals war die Frage, ob eher der Verlust oder die kritiklose Verehrung der Mitte zur Katastrophe des Zweiten Weltkriegs beigetragen hätte, noch virulent und die Erinnerung an den Wettbewerb für den Völkerbundpalast in Genf noch in Erinnerung, bei dem Le Corbusiers dynamischer Entwurf sich nicht gegen den klassizistischen einer Gruppe um Henri-Paul Nénot durchsetzen konnte. Als der Völkerbund 1933 in den düsteren Palast einzog, hatten die totalitären Kräfte schon halb Europa vereinnahmt.
Globales Freiheitsversprechen
Was bedeutet es, wenn der Erlass Donald Trumps tatsächlich umgesetzt wird? Es geht nicht nur um ein paar Gerichtsgebäude, die in den nächsten Jahren in den USA errichtet werden, sondern um ein populistisches Manöver, mit dem einer diversen und inklusiven Gesellschaft die Luft abgeschnürt werden soll. In den USA ist der Klassizismus die Sprache der weißen Eliten und der symbolische Garant für „White Supremacy“. Was 1790 ein globales Freiheitsversprechen und Ausdruck eines Systems von „Checks and Balances“ war, ist in Donald Trumps Welt nur noch Ausdruck des Rechts des Stärkeren.
Auf der Homepage der Civic Art Society wird der Winston Churchill zugeschriebene Gedanke zitiert, dass wir zuerst unsere Bauten formen und dann von ihnen geformt werden. Den Klassizismus zur Staatsarchitektur zu erklären passt gut zu totalitären Systemen, für die Stabilität das erste Staatsziel ist. Diese Architektur verspricht Machterhalt über viele Jahrzehnte.
Die Entwicklung in den USA sollte uns im Übrigen eine gewisse Dankbarkeit gegenüber den Institutionen nahelegen, die in Österreich die Kultur des öffentlichen Bauens verantworten. Die Bundesimmobiliengesellschaft BIG, die für jedes größere Projekt einen Architekturwettbewerb veranstaltet, ist ein Erfolgsmodell, das in Österreich seit Jahrzehnten geholfen hat, eine innovative und diverse Architekturszene aufzubauen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Angesichts der drohenden Budgetkrise wird es Überzeugungsarbeit brauchen, damit nicht kurzfristig am falschen Platz gespart wird. Was wir heute bauen, sollte in 100 Jahren und darüber hinaus zum wertgeschätzten architektonischen Erbe gehören.
Konkret wird darin die Verwaltung der Bundesimmobilien aufgefordert, innerhalb von 60 Tagen Vorschläge für eine Politik zu liefern, öffentliche Bauten des Bundes visuell als solche erkennbar zu machen und dabei das regionale, traditionelle und klassische Architekturerbe zu respektieren, um „öffentliche Räume aufzuwerten und zu verschönern und die USA und ihr System der Selbstverwaltung zu nobilitieren“. Zugleich sei zu überlegen, die bestehenden, erstmals 1962 definierten Leitlinien für den Bundeshochbau zu reformieren und Strategien für mehr Partizipation bei der Auswahl von Entwürfen zu entwickeln.
Respekt vor dem Bestand problematisch?
Das klingt fürs Erste nicht weiter dramatisch. Was soll an Respekt vor dem historischen Erbe, an der Verbesserung des öffentlichen Raums und mehr Partizipation problematisch sein? Hat die Architektur nicht gerade in jüngster Zeit Respekt vor dem Bestand gelernt, nicht zuletzt aus ökologischen Gründen? Um die Sprengkraft dieses Erlasses zu verstehen, muss man fünf Jahre in die Vergangenheit zurückgehen. Der aktuelle Erlass ist nämlich nicht der erste, den Donald Trump zu diesem Thema unterschrieben hat. Bereits im Dezember 2020 veröffentlichte das Weiße Haus einen Erlass, der sich wie die Langfassung des aktuellen liest und die Ziele offen ausspricht: Öffentliche Bauten des Bundes sollen sich an klassizistischen Vorbildern orientieren, nicht nur im Neubau, sondern auch bei Sanierungen, bei denen zumindest untersucht werden soll, ob sich eine klassizistische Anmutung herstellen lässt.
Initiator des Erlasses war die Civic Arts Society, eine private Organisation, deren Mission Statement die Förderung klassizistischer Tendenzen in der Architektur ist. Ihr Vorsitzender, Justin Shabow, war im Jänner 2021 von Donald Trump zum Vorsitzenden eines seit 1910 bestehenden Gestaltungsbeirats für das Zentrum Washingtons bestellt, allerdings schon nach vier Monaten von Joe Biden abgesetzt worden, der auch den Erlass Trumps kassierte. Zu den Aktivitäten der Civic Arts Society gehörte eine Online-Befragung von 2000 Personen, die anhand von Fotos von Gerichtsgebäuden deklarieren konnten, ob sie eher klassizistische oder moderne Gebäudeformen präferieren würden. Das Ergebnis war eindeutig: 70 Prozent stimmten für den Klassizismus, 30 Prozent für das, was die Autoren der Studie als Brutalismus oder Dekonstruktivismus bezeichneten. Die Verteilung war bei Republikanern nicht anders als bei demokratischen Teilnehmern an der Umfrage.
So fragwürdig die Methodik dieser Studie sein mag – überraschend war das Ergebnis nicht. Die drei zentralen Institutionen der amerikanischen Demokratie sind im klassizistischen Stil errichtet: das Weiße Haus als Exekutive, das Kapitol als Legislative und der Oberste Gerichtshof als Judikatur. Das Weiße Haus und das Kapitol datieren aus einer Zeit, als der Klassizismus tatsächlich die modernste Formensprache war, nämlich aus den 1790er-Jahren, und sie behielten diesen Stil auch bei ihren zahlreichen Umbauten und Erweiterungen bei. Der Oberste Gerichtshof ist ein Nachzügler, von Cass Gilbert 1932 entworfen und 1935 eröffnet, Ausdruck des amerikanischen Selbstverständnisses, der legitime Erbe der griechischen Demokratie, des römischen Rechts und der humanistischen Kultur der Renaissance zu sein. In diesem geistigen Umfeld galt der Klassizismus als die Sprache der Vernunft, die jeder versteht, eine Rolle, die er nach dem Zweiten Weltkrieg an den Funktionalismus abtreten musste.
Verzicht auf Überraschungen
Auf die einfachste Formel gebracht, lebt der Klassizismus von der Idee, dass alle Dinge einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben. Dieses Prinzip sorgt für Symmetrie und eine Stabilität, die freilich ihren Preis hat: die Beschränkung auf wenige Muster und den Verzicht auf jede Überraschung. Die Architektur des 20. Jahrhunderts hat Schatztruhen an formalen Inspirationen geöffnet, aus der Natur, aus der Technik, aus der bildenden Kunst, die dem Klassizismus unzugänglich bleiben müssen, und sie hat dafür bereitwillig den „Verlust der Mitte“ in Kauf genommen, den ihr der konservative Kunsthistoriker Hans Sedlmayr in seinem berühmten gleichnamigen Buch aus dem Jahr 1948 vorwarf.
Damals war die Frage, ob eher der Verlust oder die kritiklose Verehrung der Mitte zur Katastrophe des Zweiten Weltkriegs beigetragen hätte, noch virulent und die Erinnerung an den Wettbewerb für den Völkerbundpalast in Genf noch in Erinnerung, bei dem Le Corbusiers dynamischer Entwurf sich nicht gegen den klassizistischen einer Gruppe um Henri-Paul Nénot durchsetzen konnte. Als der Völkerbund 1933 in den düsteren Palast einzog, hatten die totalitären Kräfte schon halb Europa vereinnahmt.
Globales Freiheitsversprechen
Was bedeutet es, wenn der Erlass Donald Trumps tatsächlich umgesetzt wird? Es geht nicht nur um ein paar Gerichtsgebäude, die in den nächsten Jahren in den USA errichtet werden, sondern um ein populistisches Manöver, mit dem einer diversen und inklusiven Gesellschaft die Luft abgeschnürt werden soll. In den USA ist der Klassizismus die Sprache der weißen Eliten und der symbolische Garant für „White Supremacy“. Was 1790 ein globales Freiheitsversprechen und Ausdruck eines Systems von „Checks and Balances“ war, ist in Donald Trumps Welt nur noch Ausdruck des Rechts des Stärkeren.
Auf der Homepage der Civic Art Society wird der Winston Churchill zugeschriebene Gedanke zitiert, dass wir zuerst unsere Bauten formen und dann von ihnen geformt werden. Den Klassizismus zur Staatsarchitektur zu erklären passt gut zu totalitären Systemen, für die Stabilität das erste Staatsziel ist. Diese Architektur verspricht Machterhalt über viele Jahrzehnte.
Die Entwicklung in den USA sollte uns im Übrigen eine gewisse Dankbarkeit gegenüber den Institutionen nahelegen, die in Österreich die Kultur des öffentlichen Bauens verantworten. Die Bundesimmobiliengesellschaft BIG, die für jedes größere Projekt einen Architekturwettbewerb veranstaltet, ist ein Erfolgsmodell, das in Österreich seit Jahrzehnten geholfen hat, eine innovative und diverse Architekturszene aufzubauen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Angesichts der drohenden Budgetkrise wird es Überzeugungsarbeit brauchen, damit nicht kurzfristig am falschen Platz gespart wird. Was wir heute bauen, sollte in 100 Jahren und darüber hinaus zum wertgeschätzten architektonischen Erbe gehören.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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