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Die Frauen von Westafrika

In Togo, Ghana, Benin, Nigeria und im Senegal sind viele Baudenkmäler der Moderne dem Verfall preisgegeben. Eine Gruppe von Architektinnen hat sich nun zum Ziel gesetzt, die Bauten zu dokumentieren und den Verlust zu stoppen.
26. April 2025 - Wojciech Czaja
Die Farbe abgeblättert, die Fenster rausgerissen, die Zimmereinrichtung ausgehöhlt und längst verscherbelt. Wo sich einst, in den Siebzigern und Achtzigern und damit in der Hochblüte des Phosphathandels, unter der fast im Zenit stehenden Tropensonne Promis, Politiker und Flugbegleiterinnen von Sabena, Air France und Air Afrique am Pool tummelten, mit guter Laune und Schirmchen-Cocktails in der Hand, klafft heute ein ausgetrocknetes Betonloch im Boden.
Aus einem der halbovalen Fenster in der Fassade, umgeben von bunten Mosaiken mit Wölkchen und Pfeilen, ein Summen und Surren: Plötzlich schießt eine Drohne aus dem menschenleeren Haus. Der Pilot, hoch konzentriert, steht vor dem Hotel, das Steuerungsmodul fest im Griff, die Schweißperlen auf der Stirn, bitte nicht stören, nicht jetzt, hinter ihm die Auftraggeberin, eine junge Architektin und Dokumentaristin aus New York, die sich mit ihrem Büro Limbo Accra einer ganz besonderen Form von Architekturarbeit verschrieben hat.
„Das Hôtel de la Paix in der togolesischen Hauptstadt Lomé“, sagt Dominique Petit-Frère, „ist eines der tollsten Baudenkmäler der westafrikanischen Moderne. Schau dir nur mal diese Kontur, diese Details, diesen Fantasiereichtum an!“ Seitdem der Hotelbetrieb 2005 eingestellt wurde, verfällt das Gebäude zusehends. Bis heute gibt es keine umfassende Dokumentation, die das Haus korrekt, repräsentativ und aussagekräftig einfängt. „Und wer weiß, ob das Friedenshotel nicht eines Tages abgerissen wird. Also habe ich mich entschieden, zu dokumentieren, was noch da ist.“
Symbol für Unabhängigkeit
Errichtet wurde das Hôtel de la Paix in den Jahren 1972 bis 1974 nach Plänen des französischen Architekten Daniel Chenut, einem Wegbegleiter Le Corbusiers. Neben Projekten in seiner Heimat Bourgogne widmete er sich vor allem der tropischen Architektur Westafrikas, und hier vor allem dem Aufbau der neuen unabhängigen Republiken Niger, Benin, Togo und Burkina Faso. Das von ihm geplante Hôtel de la Paix mit 216 Zimmern, 16 Bungalows, Restaurant, Nachtclub, Festsaal, Sonnendeck und unverwechselbarer expressionistischer Mosaikfassade gilt bis heute als Chenuts Schlüsselbauwerk – und ist nicht zuletzt ein Symbol für die aufstrebende politische Unabhängigkeit Togos nach 1960.
„Doch ich mache das nicht aus Nostalgiegründen“, sagt Petit-Frère, „sondern eher, weil ich eine Art Hoffnung verspüre, dass ich als Vertreterin einer jungen Generation mit neuen Technologien einen sachlichen Blick auf die gebaute Materie werfen und auf diese Weise einen Beitrag zur Pflege und Dokumentation leisten kann.“ Die Daten des Drohnenflugs werden, sobald sie bereinigt und in verwertbaren 3D-Modellen aufbereitet sind, online als Open-Access-Daten zur Verfügung gestellt.
Limbo-Land
Und Petit-Frère ist bei weitem nicht die einzige Architektin, Stadtplanerin, Historikerin, Forscherin, Kuratorin, die sich am 3500 Kilometer langen Küstenstreifen zwischen dem Senegal und Nigeria, in diesem zwölf Staaten umfassenden Limbo-Land fehlender Gelder und fehlender politischer Entscheidungen, der Care-Arbeit verschrieben hat. Ein ganzes Dutzend an Initiatorinnen, allesamt Frauen wohlgemerkt, ist hier bereits zugange und nimmt den baulichen Bestand mit Drohnen, Kameras und Laserscannern, mittels Kunst, Fotografie, Interventionen, Rauminstallationen und interdisziplinären Konferenzen unter die Lupe.
Mit dabei Fabiola Büchele und Jeanne Autran-Edorh, die eine Kuratorin aus Vorarlberg, die andere Architektin mit französisch-togolesischen Wurzeln. Früher waren die beiden im Büro des Pritzker-Preisträgers Diébédo Francis Kéré tätig. Mit ihrem 2023 gegründeten Studio Neida mit Sitz in Berlin und Lomé bemühen sie sich nun darum, die westafrikanische Architektur per se und die zunehmende Care- und Dokumentationsarbeit der hier involvierten Frauen zu dokumentieren – ob das nun Sonia Lawson, Nana Biamah-Ofosu, Olufemi Hinson Yovo, Nzinga Biegueng Mboup oder die New Yorker Kuratorin Mallory Cohen ist, die gerade an einer umfassenden Ausstellung über Westafrika arbeitet, die 2026 im MoMA zu sehen sein wird.
„Als ich zwölf Jahre alt war, sind meine Eltern berufsbedingt nach Uganda gezogen“, erzählt Büchele, die später auch in Äthiopien und Tunesien gelebt hat. „Die Ignoranz und strukturelle Diskriminierung Afrikas aus europäischer Perspektive heraus habe ich also schon als Kind beobachtet, und der Umgang mit den wirklich vielfältigen Kulturen am afrikanischen Kontinent hat sich im Wesentlichen bis heute nicht verändert. Der Postkolonialismus ist nach wie vor vorherrschend.“
Umso wichtiger sei es, so Büchele, die Kulturarbeit dieser Länder sichtbar zu machen, die stereotypen Narrative abzulegen und dabei zu helfen, dass die gebauten Schätze aus den 1970er- und 1980er-Jahren unter den Zahnrädern der kapitalistischen Immobilienwirtschaft und der chinesischen Baukonzerne nicht irgendwann abgerissen werden. Im Rahmen der dreitägigen Konferenz Rencontres Architecturales Africaines de Lomé, die kürzlich im Palais de Lomé stattfand, wurden die einzelnen SOS-Maßnahmen, die in der Regel aus eigenen Mitteln, selten nur mit Förderungen und Kunststipendien finanziert werden, erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt.
Zerstörung eindämmen
Olufemi Hinson Yovo beispielsweise, Architektin und Unidozentin mit Büros in Cotonou, Abidjan und Paris, dokumentiert auf ihrem Instagram-Account @Cotonou.Architecture verschwindende (und bereits verschwundene) Baudenkmäler und engagiert sich dafür, die Zerstörung einzudämmen. Ihre Arbeit bezeichnet sie als Archiving the Loss. Und die britisch-ghanaische Architekturwissenschafterin Nana Biamah-Ofosu beschäftigt sich in ihrem Londoner Büro YAA Projects mit der Unabhängigkeit der ehemaligen europäischen Kolonien in den Jahren zwischen 1957 und 1961. Ihre Arbeit war bereits im Victoria & Albert Museum in London zu sehen, ganz neu ist ihr Dokumentarfilm Tropical Modernism. Architecture and Power in West Africa.
Das Vergessen findet nun endlich Erinnerung: Auf der kommenden Architektur-Biennale in Venedig, die in Kürze eröffnet wird, präsentiert Togo erstmals einen eigenen Länderpavillon, kuratiert von Sonia Lawson, Fabiola Büchele und Jeanne Autran-Edorh. Denn: „Das bauliche Erbe – mal genial, mal exzentrisch – ist ein Leitfaden für künftige, kontext- und klimaverträgliche Ansätze. Das Kaputtmachen muss gestoppt werden.“
Compliance-Hinweis: Der Autor hat die Architekturkonferenz in Lomé im Rahmen einer Pressereise besucht.
Aus einem der halbovalen Fenster in der Fassade, umgeben von bunten Mosaiken mit Wölkchen und Pfeilen, ein Summen und Surren: Plötzlich schießt eine Drohne aus dem menschenleeren Haus. Der Pilot, hoch konzentriert, steht vor dem Hotel, das Steuerungsmodul fest im Griff, die Schweißperlen auf der Stirn, bitte nicht stören, nicht jetzt, hinter ihm die Auftraggeberin, eine junge Architektin und Dokumentaristin aus New York, die sich mit ihrem Büro Limbo Accra einer ganz besonderen Form von Architekturarbeit verschrieben hat.
„Das Hôtel de la Paix in der togolesischen Hauptstadt Lomé“, sagt Dominique Petit-Frère, „ist eines der tollsten Baudenkmäler der westafrikanischen Moderne. Schau dir nur mal diese Kontur, diese Details, diesen Fantasiereichtum an!“ Seitdem der Hotelbetrieb 2005 eingestellt wurde, verfällt das Gebäude zusehends. Bis heute gibt es keine umfassende Dokumentation, die das Haus korrekt, repräsentativ und aussagekräftig einfängt. „Und wer weiß, ob das Friedenshotel nicht eines Tages abgerissen wird. Also habe ich mich entschieden, zu dokumentieren, was noch da ist.“
Symbol für Unabhängigkeit
Errichtet wurde das Hôtel de la Paix in den Jahren 1972 bis 1974 nach Plänen des französischen Architekten Daniel Chenut, einem Wegbegleiter Le Corbusiers. Neben Projekten in seiner Heimat Bourgogne widmete er sich vor allem der tropischen Architektur Westafrikas, und hier vor allem dem Aufbau der neuen unabhängigen Republiken Niger, Benin, Togo und Burkina Faso. Das von ihm geplante Hôtel de la Paix mit 216 Zimmern, 16 Bungalows, Restaurant, Nachtclub, Festsaal, Sonnendeck und unverwechselbarer expressionistischer Mosaikfassade gilt bis heute als Chenuts Schlüsselbauwerk – und ist nicht zuletzt ein Symbol für die aufstrebende politische Unabhängigkeit Togos nach 1960.
„Doch ich mache das nicht aus Nostalgiegründen“, sagt Petit-Frère, „sondern eher, weil ich eine Art Hoffnung verspüre, dass ich als Vertreterin einer jungen Generation mit neuen Technologien einen sachlichen Blick auf die gebaute Materie werfen und auf diese Weise einen Beitrag zur Pflege und Dokumentation leisten kann.“ Die Daten des Drohnenflugs werden, sobald sie bereinigt und in verwertbaren 3D-Modellen aufbereitet sind, online als Open-Access-Daten zur Verfügung gestellt.
Limbo-Land
Und Petit-Frère ist bei weitem nicht die einzige Architektin, Stadtplanerin, Historikerin, Forscherin, Kuratorin, die sich am 3500 Kilometer langen Küstenstreifen zwischen dem Senegal und Nigeria, in diesem zwölf Staaten umfassenden Limbo-Land fehlender Gelder und fehlender politischer Entscheidungen, der Care-Arbeit verschrieben hat. Ein ganzes Dutzend an Initiatorinnen, allesamt Frauen wohlgemerkt, ist hier bereits zugange und nimmt den baulichen Bestand mit Drohnen, Kameras und Laserscannern, mittels Kunst, Fotografie, Interventionen, Rauminstallationen und interdisziplinären Konferenzen unter die Lupe.
Mit dabei Fabiola Büchele und Jeanne Autran-Edorh, die eine Kuratorin aus Vorarlberg, die andere Architektin mit französisch-togolesischen Wurzeln. Früher waren die beiden im Büro des Pritzker-Preisträgers Diébédo Francis Kéré tätig. Mit ihrem 2023 gegründeten Studio Neida mit Sitz in Berlin und Lomé bemühen sie sich nun darum, die westafrikanische Architektur per se und die zunehmende Care- und Dokumentationsarbeit der hier involvierten Frauen zu dokumentieren – ob das nun Sonia Lawson, Nana Biamah-Ofosu, Olufemi Hinson Yovo, Nzinga Biegueng Mboup oder die New Yorker Kuratorin Mallory Cohen ist, die gerade an einer umfassenden Ausstellung über Westafrika arbeitet, die 2026 im MoMA zu sehen sein wird.
„Als ich zwölf Jahre alt war, sind meine Eltern berufsbedingt nach Uganda gezogen“, erzählt Büchele, die später auch in Äthiopien und Tunesien gelebt hat. „Die Ignoranz und strukturelle Diskriminierung Afrikas aus europäischer Perspektive heraus habe ich also schon als Kind beobachtet, und der Umgang mit den wirklich vielfältigen Kulturen am afrikanischen Kontinent hat sich im Wesentlichen bis heute nicht verändert. Der Postkolonialismus ist nach wie vor vorherrschend.“
Umso wichtiger sei es, so Büchele, die Kulturarbeit dieser Länder sichtbar zu machen, die stereotypen Narrative abzulegen und dabei zu helfen, dass die gebauten Schätze aus den 1970er- und 1980er-Jahren unter den Zahnrädern der kapitalistischen Immobilienwirtschaft und der chinesischen Baukonzerne nicht irgendwann abgerissen werden. Im Rahmen der dreitägigen Konferenz Rencontres Architecturales Africaines de Lomé, die kürzlich im Palais de Lomé stattfand, wurden die einzelnen SOS-Maßnahmen, die in der Regel aus eigenen Mitteln, selten nur mit Förderungen und Kunststipendien finanziert werden, erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt.
Zerstörung eindämmen
Olufemi Hinson Yovo beispielsweise, Architektin und Unidozentin mit Büros in Cotonou, Abidjan und Paris, dokumentiert auf ihrem Instagram-Account @Cotonou.Architecture verschwindende (und bereits verschwundene) Baudenkmäler und engagiert sich dafür, die Zerstörung einzudämmen. Ihre Arbeit bezeichnet sie als Archiving the Loss. Und die britisch-ghanaische Architekturwissenschafterin Nana Biamah-Ofosu beschäftigt sich in ihrem Londoner Büro YAA Projects mit der Unabhängigkeit der ehemaligen europäischen Kolonien in den Jahren zwischen 1957 und 1961. Ihre Arbeit war bereits im Victoria & Albert Museum in London zu sehen, ganz neu ist ihr Dokumentarfilm Tropical Modernism. Architecture and Power in West Africa.
Das Vergessen findet nun endlich Erinnerung: Auf der kommenden Architektur-Biennale in Venedig, die in Kürze eröffnet wird, präsentiert Togo erstmals einen eigenen Länderpavillon, kuratiert von Sonia Lawson, Fabiola Büchele und Jeanne Autran-Edorh. Denn: „Das bauliche Erbe – mal genial, mal exzentrisch – ist ein Leitfaden für künftige, kontext- und klimaverträgliche Ansätze. Das Kaputtmachen muss gestoppt werden.“
Compliance-Hinweis: Der Autor hat die Architekturkonferenz in Lomé im Rahmen einer Pressereise besucht.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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