Akteur

Helmut Swiczinsky
* 1944 Posen 2025

Coop-Himmelb(l)au-Mitgründer Helmut Swiczinsky 81-jährig gestorben

Der dekonstruktivistische Architekt hat die internationale Baukultur der letzten Jahrzehnte mitgeprägt und hinterlässt ein wichtiges Stück Architekturgeschichte

30. Juli 2025 - Wojciech Czaja
„Es gibt keine Wände mehr. Unsere Räume sind pulsierende Ballons. Unser Herzschlag wird zum Raum, unser Gesicht ist Hausfassade.“ Mit Provokationen wie diesen zählten Helmut Swiczinsky und sein Kompagnon Wolf D. Prix in den 1960er-Jahren zu den Jüngsten und Wildesten der Wiener Architekturszene. Mit ihren weißen Anzügen, aufblasbaren Herzräumen und riesigen pneumatischen Wohneinheiten haben die beiden Architekturstudenten in der Aula und in den Zeichensälen der Technischen Hochschule, der heutigen TU Wien, Geschichte geschrieben.

Geboren wird Helmut Swiczinsky 1944 im polnischen Poznań. Er wächst in Wien auf und studiert Architektur in Wien und an der Architectural Association in London. Auf einer Flugreise von Spanien nach Wien beschließt er, gemeinsam mit Wolf D. Prix eine Architekturgruppe zu bilden. „Ich habe damals gerade Hamlet gesehen“, wird sich Prix später erinnern und aus ebendiesem Stück zitieren: „Seht Ihr die Wolke dort, beinah in Gestalt eines Kamels? Mich dünkt, sie sieht aus wie ein Wiesel. Oder wie ein Walfisch?“ Mit dem Blick aus dem Flugzeug wird schließlich der Name des Büros geboren: Coop Himmelblau. „Himmelblau ist keine Farbe“, schreiben die beiden bald in manifestartigen Worten nieder, „sondern die Idee, Architektur mit Fantasie leicht und veränderbar wie Wolken zu machen.“

Zu den ersten Projekten zählen Villa Rosa, The Cloud, Herzraum Astroballon, Herzstadt Weißer Anzug, Gesichtsraum Soul Flipper, Haus mit fliegendem Dach und Flammenflügel im Innenhof der TU Graz („Architektur muß brennen“). Die Prototypen aus Gummi, Latex, Kunststoff, Metallgittern und aufblasbaren Membranen ernennen Luft und Feuer zum Baustoff und erklären der Schwerkraft die Absage. Die Wolken, Fernsehhelme und kugelförmigen Konstruktionen gelten als neue Medien, Körperverlängerungen und dematerialisierte Wohnorganismen.

Berühmt über Nacht
„Unsere Architektur hat keinen physischen Grundriß, sondern einen psychischen“, lautet einer der Texte zu den frühen Projekten, die im architekturtheoretischen Kontext dem Dekonstruktivismus zugeordnet werden und schon bald im Museum of Modern Art (MoMA) in New York zu sehen sind. Oder, noch präziser, in Anspielung an den westdeutschen Aktivisten Rudi Dutschke: „Nicht wir haben uns zu verändern, um in Architektur zu leben, sondern die Architektur hat so auf unsere Bewegung, unser Gefühl, unsere Stimmung, unsere Emotion reagieren, daß wir in ihr leben wollen.“

1983 entsteht das erste dauerhaft realisierte Hochbauprojekt, der Dachausbau Falkestraße in der Wiener Innenstadt. Das mittlerweile denkmalgeschützte Projekt für eine Wiener Rechtsanwaltskanzlei macht die beiden über Nacht international berühmt. Es folgen das Fundermax-Werk in St. Veit an der Glan (1989), der UFA-Kinopalast in Dresden (1998), das Wohnprojekt Gasometer Wien (2001), das Akron Art Museum in Ohio (2007), die BMW-Welt in München (2007), das Musée des Confluences in Lyon (2009) und die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main (2011).

Bruch der Buddys
In den Jahren der EZB-Planung zieht sich Helmut Swiczinsky, der stille und philosophische Innenminister von Coop Himmelb(l)au, das im Zuge der zunehmenden Bautätigkeit das „l“ in Klammern setzt, allmählich aus dem operativen Geschäft zurück. Mit dem Aufkommen der großen Projekte für Baku, Istanbul, Seoul, Dalian und die Halbinsel Krim kommt es zum Bruch der einstigen Buddys, die einst so stark zusammengeschweißt waren wie die Beatles oder die Rolling Stones, deren Song Gimme Shelter viele lange Jahre in der Warteschleife erklingt, wenn man bei Coop Himmelb(l)au anruft.

Helmut Swiczinsky löst die Büropartnerschaft auf und bricht den Kontakt zu Wolf Prix ab. In den letzten zehn Jahren lebt er ohne aktive Erwerbstätigkeit im Kreise seiner Familie und widmet sich der Malerei und der Philosophie. Am Dienstag ist er nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben. „Er war einmal mein größter Freund“, sagt Prix auf Anfrage des STANDARD. „Wenn Menschen aus dem Leben gehen, werden die Geschichten, die man mit ihnen erlebt hat, Vergangenheit. Das macht mich sprachlos.“

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: