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Lernen von der Platte

In Berlin hat FAR Frohn & Rojas kürzlich ein Wohnhaus fertiggestellt – mit serieller Bauweise, unverputztem Sichtbeton und ziemlich rougher Ausstattung. Der Bau könnte ein Exempel für billiges Bauen und Wohnen sein.
16. August 2025 - Wojciech Czaja
Nackte Betonwände in den Zimmern, unverspachtelte Betonunterzüge an der Decke, spartanisch gestaltete Betonlaubengänge mit einer flankierenden Bauteildämmung aus Hornbach-Heraklith, als hätte die Baufirma das Gerüst abgebaut, bevor sie die Außenseite des Hauses überhaupt noch streichen und verputzen konnte. „Nein, das ist Absicht“, sagt Marc Frohn, „und nicht nur, weil wir als Architekten darin eine gewisse Ästhetik erkennen, sondern vor allem auch, weil wir mit diesem Wohnhaus ein Exempel für intelligenten seriellen Wohnbau statuieren wollten.“
Kaulsdorf im tiefsten Osten von Berlin ist so etwas wie das Harter Plateau in Linz oder die Rennbahnsiedlung in Wien. Kaulsdorf Nord 1 im Speziellen, eine wenig charmante Namensgebung der damaligen DDR-Stadtplanung, zählt mit seinen Hochhäusern aus den 1970er- und 1980er-Jahren zu den größten Plattenbausiedlungen Europas – mit viel Grün zwischen den Häusern, aber auch mit Hartz IV, Netto-Diskontern und verrosteten Teppichklopfstangen im Innenhof.
„Im Sinne der städtischen Nachverdichtung eignen sich diese luftig bebauten Quartiere bestens für Neubauten und Lückenschließungen“, so Frohn. „Und nachdem wir hier von jahrzehntelanger Expertise in serieller Vorfertigung umgeben sind, mit Waschbetonfassaden und Plattenbauten aus der Serie WBS70, wollten wir uns auf genau diesem Grundstück mit der Zukunft des seriellen Bauens beschäftigen – und uns die Frage stellen, wie wir Vorfabrikation im besten Einvernehmen mit architektonischer Kreativität technisch effizient und wirtschaftlich attraktiv weiterdenken können.“
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Marc Frohn – der gemeinsam mit Mario Rojas und Wendy Gilmartin das trinationale Architekturbüro FAR Frohn & Rojas leitet, mit Niederlassungen in Berlin, Los Angeles und Santiago de Chile – mit seriellem Wohnbau beschäftigt. Bereits 2019 entwickelte er das vielfach preisgekrönte Wohnregal im Berliner Bezirk Moabit, damals noch mit bloß zehn Wohnungen und einem Büro im Erdgeschoß, in das er selbst eingezogen ist.
Spiegelgleiche Wohnriegel
„Doch nun wollten wir noch einen Schritt weiter gehen und die Idee des Seriellen mit all seinen räumlichen und materiellen Reizen auf einen größeren Maßstab ausweiten.“ Das Resultat ist eine Wohnhausanlage mit zwei spiegelgleichen Wohnriegeln mit insgesamt 124 Wohnungen. Der Bausatz umfasst an die 8300 Fertigteile – darunter nicht nur Säulen, Platten und Unterzüge, sondern auch 124 vorfabrizierte und in einem Stück auf die Baustelle gelieferte Badezimmerboxen.
„Wir stellen das serielle Bauen bewusst und ungeschminkt zur Schau“, sagt Frohn, „ohne Farbe und ohne Verkleidung – und gerne mit all den fleckigen Marmorierungen in der Betonoberfläche.“ Sowohl drinnen in den Wohnungen als auch draußen auf den netzbespannten Laubengängen mit ihren hyperbelförmigen Balkonausweitungen sind die Unterzüge als konstruktive Maßnahme deutlich ablesbar. Bei einer Raumhöhe von 2,85 Metern, die im Neubau mittlerweile als Rarität erachtet werden kann, erscheint dies nicht wirklich störend. Mehr noch ergeben sich in den Schnittpunkten von Säule, Konsole und Querträger spannende Details. Schalter, Steckdosen und Verkabelungen sind auf Putz geführt. Why not?
Doch die Einsparungen liegen nicht nur in der radikalen Reduktion der Materialien, sondern auch in der cleveren Anordnung und Funktionsüberlagerung der Flächen: Der halböffentliche Laubengang dient zugleich als Balkon, auf Vorzimmer wurde komplett verzichtet, die unorthodox geschnittenen Räume mit ihren deckenhohen, teils doppelflügeligen Türen lassen unterschiedliche Nutzungen zu. Hinzu kommt der vom Berliner Landschaftsarchitekturbüro Topotek 1 gestaltete Innenhof – mit knallrotem Sportbelag und ebenso rot lackierten Sitzmöbeln und Spielgeräten.
„Ja, dieses Wohnhaus ist wohl Geschmackssache“, sagt ein junger Herr im Erdgeschoß, der erste, bereits eingezogene Mieter, nachdem die Vermarktung des Projekts im Mai startete und das Haus vor wenigen Wochen erst fertiggestellt wurde. „Ich habe mit meiner Familie davor in einem klassischen Gründerzeithaus gewohnt, und das hier ist jetzt so ziemlich das Gegenteil davon. Aber die Architektur ist in ihrer Fremdheit irgendwie ansprechend. Ich bin schon gespannt, wie sich dieser Wohnriegel mit der Zeit mit Leben füllen wird.“
Mit rund 15 bis 20 Prozent Ersparnis in den Baukosten ergeben sich hier gute Möglichkeiten, die mittlerweile exorbitant hohen Wohnkosten in deutschen Städten ein wenig zu senken. Beim ersten Projekt in Moabit ist dies gelungen, rechnet der Architekt vor, und auch das nun geplante Folgeprojekt in Köln, ein Wohnhaus mit günstigen Wohnungen für Bedienstete der Kölner Stadtwerke, ist bereits in Entwicklung, doch ausgerechnet beim Wohnregal in Kaulsdorf ist die Rechnung leider nicht aufgegangen.
Der Auftraggeber und Investor Euroboden, der lange Zeit innovative High-End-Bauten mit namhaften Architekten wie etwa David Adjaye, David Chipperfield und Arno Brandlhuber realisiert hat, ist seit Ende 2023 insolvent. Eine attraktive Bewertung und Verwertung des Objekts scheint in dieser Situation für einen potenziellen Abverkauf allerhöchste Priorität zu haben – und das schlägt sich auch in der Miete nieder. Auf diversen Immobilienplattformen tauchen die letzten noch verfügbaren Mietwohnungen für 20 Euro und mehr pro Quadratmeter auf. Das ist selbst für Berliner Verhältnisse jenseits von Gut und Böse.
Wirtschaftlich reizvoll
„Mit den beiden Fertigteilhäusern in Moabit und Köln haben wir bewiesen, dass eine serielle Fertigung architektonisch attraktiv und wirtschaftlich reizvoll sein kann und dass wir die Wohnkosten auf diese Weise spürbar reduzieren können“, sagt Marc Frohn, „aber auch, wie viel Freiheit und Gestaltungsmöglichkeiten wir in einem seriellen System haben – und das genau hier, in Kaulsdorf, umgeben von Plattenbauten, quasi von unseren architektonischen Großeltern. Wir können von der Platte lernen.“
In einer Zeit, in der die Wohnkosten ungebremst nach oben klettern, auch in Österreich, mit all den Normen, Vorschriften und baurechtlichen Anforderungen, stellt sich die Frage, ob der Verzicht auf teure Baustoffe, hochwertige Ausstattungen und komplexe technische Schnittstellen nicht eine Möglichkeit wäre, das Wohnen endlich ein Äutzerl billiger zu machen. Sicher keine Lösung für die breite Masse, aber für einige.
Kaulsdorf im tiefsten Osten von Berlin ist so etwas wie das Harter Plateau in Linz oder die Rennbahnsiedlung in Wien. Kaulsdorf Nord 1 im Speziellen, eine wenig charmante Namensgebung der damaligen DDR-Stadtplanung, zählt mit seinen Hochhäusern aus den 1970er- und 1980er-Jahren zu den größten Plattenbausiedlungen Europas – mit viel Grün zwischen den Häusern, aber auch mit Hartz IV, Netto-Diskontern und verrosteten Teppichklopfstangen im Innenhof.
„Im Sinne der städtischen Nachverdichtung eignen sich diese luftig bebauten Quartiere bestens für Neubauten und Lückenschließungen“, so Frohn. „Und nachdem wir hier von jahrzehntelanger Expertise in serieller Vorfertigung umgeben sind, mit Waschbetonfassaden und Plattenbauten aus der Serie WBS70, wollten wir uns auf genau diesem Grundstück mit der Zukunft des seriellen Bauens beschäftigen – und uns die Frage stellen, wie wir Vorfabrikation im besten Einvernehmen mit architektonischer Kreativität technisch effizient und wirtschaftlich attraktiv weiterdenken können.“
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Marc Frohn – der gemeinsam mit Mario Rojas und Wendy Gilmartin das trinationale Architekturbüro FAR Frohn & Rojas leitet, mit Niederlassungen in Berlin, Los Angeles und Santiago de Chile – mit seriellem Wohnbau beschäftigt. Bereits 2019 entwickelte er das vielfach preisgekrönte Wohnregal im Berliner Bezirk Moabit, damals noch mit bloß zehn Wohnungen und einem Büro im Erdgeschoß, in das er selbst eingezogen ist.
Spiegelgleiche Wohnriegel
„Doch nun wollten wir noch einen Schritt weiter gehen und die Idee des Seriellen mit all seinen räumlichen und materiellen Reizen auf einen größeren Maßstab ausweiten.“ Das Resultat ist eine Wohnhausanlage mit zwei spiegelgleichen Wohnriegeln mit insgesamt 124 Wohnungen. Der Bausatz umfasst an die 8300 Fertigteile – darunter nicht nur Säulen, Platten und Unterzüge, sondern auch 124 vorfabrizierte und in einem Stück auf die Baustelle gelieferte Badezimmerboxen.
„Wir stellen das serielle Bauen bewusst und ungeschminkt zur Schau“, sagt Frohn, „ohne Farbe und ohne Verkleidung – und gerne mit all den fleckigen Marmorierungen in der Betonoberfläche.“ Sowohl drinnen in den Wohnungen als auch draußen auf den netzbespannten Laubengängen mit ihren hyperbelförmigen Balkonausweitungen sind die Unterzüge als konstruktive Maßnahme deutlich ablesbar. Bei einer Raumhöhe von 2,85 Metern, die im Neubau mittlerweile als Rarität erachtet werden kann, erscheint dies nicht wirklich störend. Mehr noch ergeben sich in den Schnittpunkten von Säule, Konsole und Querträger spannende Details. Schalter, Steckdosen und Verkabelungen sind auf Putz geführt. Why not?
Doch die Einsparungen liegen nicht nur in der radikalen Reduktion der Materialien, sondern auch in der cleveren Anordnung und Funktionsüberlagerung der Flächen: Der halböffentliche Laubengang dient zugleich als Balkon, auf Vorzimmer wurde komplett verzichtet, die unorthodox geschnittenen Räume mit ihren deckenhohen, teils doppelflügeligen Türen lassen unterschiedliche Nutzungen zu. Hinzu kommt der vom Berliner Landschaftsarchitekturbüro Topotek 1 gestaltete Innenhof – mit knallrotem Sportbelag und ebenso rot lackierten Sitzmöbeln und Spielgeräten.
„Ja, dieses Wohnhaus ist wohl Geschmackssache“, sagt ein junger Herr im Erdgeschoß, der erste, bereits eingezogene Mieter, nachdem die Vermarktung des Projekts im Mai startete und das Haus vor wenigen Wochen erst fertiggestellt wurde. „Ich habe mit meiner Familie davor in einem klassischen Gründerzeithaus gewohnt, und das hier ist jetzt so ziemlich das Gegenteil davon. Aber die Architektur ist in ihrer Fremdheit irgendwie ansprechend. Ich bin schon gespannt, wie sich dieser Wohnriegel mit der Zeit mit Leben füllen wird.“
Mit rund 15 bis 20 Prozent Ersparnis in den Baukosten ergeben sich hier gute Möglichkeiten, die mittlerweile exorbitant hohen Wohnkosten in deutschen Städten ein wenig zu senken. Beim ersten Projekt in Moabit ist dies gelungen, rechnet der Architekt vor, und auch das nun geplante Folgeprojekt in Köln, ein Wohnhaus mit günstigen Wohnungen für Bedienstete der Kölner Stadtwerke, ist bereits in Entwicklung, doch ausgerechnet beim Wohnregal in Kaulsdorf ist die Rechnung leider nicht aufgegangen.
Der Auftraggeber und Investor Euroboden, der lange Zeit innovative High-End-Bauten mit namhaften Architekten wie etwa David Adjaye, David Chipperfield und Arno Brandlhuber realisiert hat, ist seit Ende 2023 insolvent. Eine attraktive Bewertung und Verwertung des Objekts scheint in dieser Situation für einen potenziellen Abverkauf allerhöchste Priorität zu haben – und das schlägt sich auch in der Miete nieder. Auf diversen Immobilienplattformen tauchen die letzten noch verfügbaren Mietwohnungen für 20 Euro und mehr pro Quadratmeter auf. Das ist selbst für Berliner Verhältnisse jenseits von Gut und Böse.
Wirtschaftlich reizvoll
„Mit den beiden Fertigteilhäusern in Moabit und Köln haben wir bewiesen, dass eine serielle Fertigung architektonisch attraktiv und wirtschaftlich reizvoll sein kann und dass wir die Wohnkosten auf diese Weise spürbar reduzieren können“, sagt Marc Frohn, „aber auch, wie viel Freiheit und Gestaltungsmöglichkeiten wir in einem seriellen System haben – und das genau hier, in Kaulsdorf, umgeben von Plattenbauten, quasi von unseren architektonischen Großeltern. Wir können von der Platte lernen.“
In einer Zeit, in der die Wohnkosten ungebremst nach oben klettern, auch in Österreich, mit all den Normen, Vorschriften und baurechtlichen Anforderungen, stellt sich die Frage, ob der Verzicht auf teure Baustoffe, hochwertige Ausstattungen und komplexe technische Schnittstellen nicht eine Möglichkeit wäre, das Wohnen endlich ein Äutzerl billiger zu machen. Sicher keine Lösung für die breite Masse, aber für einige.
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