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Diplomatische Zurückhaltung
Der Standard

Ein eckiger Tanz auf dem internationalen Parkett: Der Neubau der Deutschen Botschaft in Wien versucht, die Balance zwischen Hochsicherheit und Offenheit zu halten. Das gelingt ihm nur teilweise.

4. Oktober 2025 - Wojciech Czaja
Das Wiener Botschaftsviertel ist ein Ort der nervösen Nachbarschaften. Hier, wo Parzellengrenzen Nationengrenzen darstellen, dominieren Zäune, Mauern, Kameras, Wachposten und Absperrungen den Zwischenraum. Mittendrin, mit einem prachtvollen Park gesegnet, die deutsche Botschaft, in angespannter Lage zwischen den Vertretungen Chinas und Russlands, dessen diplomatisches Verhältnis zu Deutschland momentan auf einem Tiefpunkt angelangt ist.

Mitten in diesem Spannungsfeld: eine Anomalie. Der hohe Metallzaun um das deutsche Territorium macht einen schwungvollen Ausreißer, weitet den Gehweg in Form einer tropfenförmigen Beule in den Garten hinein. Die freche Einladung zur Grenzüberschreitung, konzipiert vom Künstler Stefan Sous, ist die offizielle Kunst am Bau für den Neubau der Deutschen Botschaft. 2016 hatten die Leipziger Architekten Ansgar und Benedikt Schulz den Wettbewerb gewonnen, im April zogen die Mitarbeiter ein, Ende Oktober folgt die offizielle Eröffnung. Es ist das dritte Botschaftsgebäude an diesem Ort.

Die erste Vertretung errichtete das deutsche Kaiserreich 1877 im Renaissancestil, nach der Zerstörung folgte 1962–64 ein Neubau nach dem Entwurf von Rolf Gutbrod. Ein hervorragendes Beispiel der moderaten Moderne, das mit betonter Horizontalen und in schattigem Grau und Grün hinter den Bäumen zurücktrat. Es war die Zeit, als die junge Bonner Republik sich mit neuen Botschaftsgebäuden wie jenem von Hans Scharoun in Brasília als weltoffen und bescheiden präsentierte, ein Gegenmittel zum noch frischen Albert-Speer-Trauma der Monumentalität.

85.000 Reisepässe

Ab den 1990er-Jahren wurde es für die Beschäftigten jedoch enger, da die ständige Vertretung Deutschlands bei der OSZE an derselben Adresse Platz finden musste. Die Residenz des Botschafters wurde nach Hietzing ausgegliedert. 2014 wurde das sanierungsbedürftige Gebäude ganz geräumt, eine Studie kam zum Entschluss: Abriss und Neubau.

Man habe sich damals die Entscheidung für den Abriss wahrlich nicht leicht gemacht, sagt Thomas Hirschle vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), das als Bauherr fungiert. Neben dem zu hohen Sanierungsaufwand gaben die funktionalen Bedürfnisse den Ausschlag. 380.000 deutsche Staatsbürger leben in Österreich, davon 85.000 in Wien. Sie alle brauchen irgendwann einen neuen Pass. Die Wiener Botschaft ist nach jener in der Schweiz die zweitgrößte Pass-Anlaufstelle der Welt für Auslandsdeutsche. Veranstaltungen, Kulturarbeit und Empfänge brauchen repräsentativen Rahmen, vor allem wollte man Kanzlei, Residenz und Wohnbereich wieder an einer Adresse vereinen.

Der Entwurf von Schulz und Schulz, der die viergeschoßige Kanzlei mit den Büros und der Pass- und Visastelle über den zweigeschoßigen Trakt der Empfangsräume schichtet und mit dem fünfgeschoßigen Bauteil für die Residenz an der Ecke zur Reisnerstraße einrahmt, ist eine sinnvolle Umsetzung dieser Wünsche. Dabei blieb der Garten weitgehend unangetastet. „Der Garten war wirklich ein Geschenk“, sagt Benedikt Schulz. „Wir mussten ihn nur noch ein bisschen grüner machen.“

Zudem dient der Park als Filter zum öffentlichen Raum und übernimmt die zunehmend wichtige Rolle des Sicherheitsabstands. „Die internationalen Beziehungen sind schwieriger geworden“, sagt Botschafter Vito Cecere. „Vieles von dem, was heute passiert, entspricht nicht unseren Vorstellungen eines guten Miteinanders.“ Dass er damit vermutlich nicht nur den russischen Nachbarn meint, darf man zwischen den diplomatischen Zeilen lesen. „Umso wichtiger ist es, eine Dialogplattform bereitzustellen.“

Diese einladende Geste der Offenheit sei hier naheliegenderweise eine eher symbolische, betont Benedikt Schulz. „Die Sicherheit soll man gar nicht wahrnehmen.“ Die Sicherheitsanforderungen für Terrorabwehr und Geheimschutz innerhalb des Gebäudes sind hoch, die Personenströme müssen streng voneinander getrennt sein. Der Geheimschutz, sagt Ansgar Schulz, galt auch für die Architekten. „Wir durften bei der Planung auch nicht alles über das Gebäude wissen.“

Um den Widerspruch zwischen Offenheit und Terrorabwehr unter einen Hut zu bekommen, ist die Idee, die Baumasse mit einer horizontalen Fuge zweizuteilen und Luft hereinzulassen, nicht die schlechteste, auch wenn die Fassade aus Kärntner Marmor (eine Hommage an Gastgeberland und Nachhaltigkeit), die auch die Untersicht der auskragenden Bauteile bedeckt, dem Neubau eine gewisse lähmende Schwere verleiht. So ganz lässt sich der defensive Charakter nicht aus der Welt bekommen – eine Terrasse ist hier immer auch ein potenzielles Schussfeld.

Feststiege und Fluchtwege

Dafür empfängt die hohe Eingangshalle die Besucher mit ausgebreiteten Armen, das Atrium erlaubt den Blick in die unzugänglichen Obergeschoße und lässt zumindest die Existenz von inneren Botschaftsvorgängen erahnen. Den weniger sicherheitsrelevanten Weg in den ersten Stock eröffnet eine breite und recht steile Feststiege, die an einer leeren weißen Wand endet. Gäste mit Lackschuh und Robe müssen hier eine scharfe 180-Grad-Drehung hinlegen, wenn sie in der Beletage dem empfangenden Botschafter die Hand schütteln wollen. Die Atmosphäre erinnert eher an einen funktionalen Fluchtweg in einem Flughafenterminal als an den Wiener Kongress.

Die Repräsentationsräume, die sich zu Terrasse und Garten orientieren und an die Botschafterresidenz anschließen, zeugen von einer teils gelungenen Annäherung an Eleganz. Empfang, Bibliothek, Speisesaal. Am Boden leichte Variationen des Natursteins in Grau und Weiß, auch ein Schachbrettmuster taucht auf. Dezente Vorhänge, diskrete Holztäfelung. So ganz ließ sich die Aura bundesdeutscher Bürokratie aber nicht abschütteln. Immerhin: Entfremdete Auslandsdeutsche dürfen hier mit Assoziationen von Länderfinanzausgleichen, Sonderausschüssen und Anträge-bitte-per-Fax ihr Heimatgefühl auftanken.

Mit einer Ausnahme: Die weiße Wendeltreppe von der Terrasse in den Garten, inspiriert von den Besuchen der Architekten in Brasília, erlaubt sich eine martiniglashafte Leichtigkeit, die der übrige Bau nicht leisten darf, und erinnert an sorglosere Zeiten auf internationalem Parkett. Vielleicht kehren sie eines Tages zurück.

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