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Das Museum, die Maschine

Vor einer Woche wurde in Paris die neue Fondation Cartier für zeitgenössische Kunst eröffnet. Jean Nouvel hat direkt neben dem Louvre eine gigantische Maschinerie mit mobilen Etagen geschaffen.
31. Oktober 2025 - Wojciech Czaja
Nein, nein, ich wollte keinen Raum bauen“, sagt Jean Nouvel, „und schon gar kein Gebäude! Ich wollte vielmehr innerhalb des schon bestehenden Hohlraums arbeiten und die leeren Volumina, die Lücken und Löcher nutzen und zum eigentlichen Ort des Ausdrucks machen. Dieses Projekt ist – in Verbindung mit der einzigartigen Geschichte dieses Hauses – ein Versprechen endloser Möglichkeiten.“ Mathematisch berechnet von 117.854 Possibilitäten, um ganz genau zu sein.
Die neue Fondation Cartier pour l’art contemporain in der Rue de Rivoli im 1. Arrondissement im Herzen der Stadt, quasi eingeklemmt zwischen Louvre und Palais-Royal, ist das, was am Tag der Eröffnung, voll von Champagner und salbenden Dankesworten, immer wieder als „Maschine“ bezeichnet wird. Und diese Maschine will keineswegs bloß ein Symbol für die Größe und Mächtigkeit der neuen, 8500 Quadratmeter großen Ausstellungsräumlichkeiten sein. Diese Maschine ist im wahrsten Sinne des Wortes zu verstehen.
Potenzial ausschöpfen
Auf Knopfdruck, freilich weitaus komplizierter in seinen Abläufen, als sich dies anhören mag, bewegen sich fünf stählerne Plattformen, jede einzelne davon zwischen 250 bis 350 Tonnen schwer, mit einer Geschwindigkeit von fünf Metern pro Minute auf und ab, und können zwischen Souterrain und Beletage in jeweils elf verschiedenen Höhenpositionen eingerastet werden. Das Ziel ist, die Böden und Decken des Raumes aufzubrechen und eine flexible Bühne für Bilder, Skulpturen und raumfassende Installationen zu schaffen. Es seien so viele Varianten, versichert Nouvel – die Zahl ist bereits gefallen –, dass man das Potenzial wohl niemals werde ausschöpfen können.
„Die Fondation Cartier ist nicht nur eine weitere Galerie für zeitgenössische Kunst, eine von vielen in Paris, sondern eine Oase der Entdeckung“, sagt Nouvel. „Sie ist ein dynamischer Space, eine prachtvolle Werkstatt, die in der Lage ist, sich an die Kunst und an die Ideen und Konzepte der hier ausstellenden Künstler anzupassen.“ In den Ecken der fünf Plattformen, die gemeinsam eine Fläche von 1100 Quadratmetern bilden, befinden sich riesige Winden mit zentimeterdicken Stahlseilen, mit Schrauben und Bolzen, und damit das Maschinelle nicht optisch überhandnimmt, ist die gesamte Optik wie in einem Theater in ein schattiges, fast schwarzes Ich-bin-gar-nicht-da gehüllt.
Viele unterschiedliche Varianten, heißt es, habe man im Prozess ausprobiert und simuliert, von Schienen über Zahnräder bis hin zu Kolben und hydraulischen Stempeln. Doch mal waren es die Toleranzen, mal die Erschütterungen, mal die bedenklich großen Mengen an brennbaren Schmierölen, die das Planungsteam schließlich zum Liftmechanismus geführt haben. Ergänzt wird die Maschinerie der mobilen Plattformen von einem wandelbaren Glasdach, das je nach Tageslichtbedarf mit Klappen und Schiebeelementen geöffnet oder geschlossen werden kann.
Dramatische Transformation
In gewisser Weise fügt sich die neue Fondation Cartier, die den gesamten 150 Meter langen Häuserblock einnimmt, einen der ersten seiner Art, die nach dem damals neuen Pariser Generalplan von Baron Haussmann bebaut wurden, perfekt in die Historie des Ortes. Einst errichtet für die Weltausstellung 1855, beherbergte das Grand Hôtel du Louvre nämlich nicht nur Ballsäle, mit Pferdekutschen befahrbare Foyers und mehr als 1200 Zimmer und Suiten, sondern war auch eine technische Galanterie – mit Aufzug, Zentralheizung, Gasbeleuchtung, Lüftungsanlage, Telegrafenamt, elektrischen Klingeln und modernen englischen Wasserklosetts auf jeder Etage. In den darauffolgenden eineinhalb Jahrhunderten wurde das Hôtel du Louvre als Kaufhaus und Antiquariat genutzt.
„Und auch die Weltausstellung selbst“, schreibt die in New York lebende Architekturtheoretikerin Beatriz Colomina in ihrem Buchbeitrag über die neue Fondation Cartier, „war ein Wunderwerk der Technik und Mechanisierung, der Geschwindigkeit und des Spektakels, geformt durch neue Betrachtungsweisen auf die Welt. Die Fondation Cartier greift dieses mechanische Erbe und Technikfieber auf, indem die alte, stabile Gebäudestruktur nun eine geradezu schwindelerregende Instabilität aufnimmt. Die mobilen Plattformen werden nicht zufällig von einem Unternehmen hergestellt, das auf bewegliche Theaterbühnen spezialisiert ist – eine dramatische Transformation traditioneller Kunstausstellung.“
Schon jetzt, in der Anfangsausstellung, die in Anlehnung an die Weltausstellung 1855 einfach nur Exposition Générale heißt, werden große, zum Teil mehrgeschoßige Arbeiten von Freddy Mamani, Junya Ishigami, Alessandro Mendini, Richard Artschwager, Judith Bartolani, Juan Muñoz und Absalon gezeigt. Immer wieder mit spannenden Ausblicken auf die Touristen und Passantinnen einen Stock höher, die genüsslichen durch die Straßenarkaden hindurch spazieren, nichtsahnend, welche riesigen Löcher und Maschinerien sich hinter den denkmalgeschützten Kalksteinfassaden verbergen.
Magier der Räume
„Wir haben nun ein paar Jahrzehnte Zeit, um in dieses Haus hineinzuwachsen“, sagt Béatrice Grenier, Projektdirektorin der Fondation Cartier, die 1984 gegründet wurde und deren Sammlung mittlerweile rund 4500 Werke umfasst.“ „Mit der Leere und mit Nouvels Maschinerie ergeben sich neue Möglichkeiten der Inszenierung, aber natürlich ist die formlose Wandelbarkeit auch eine große Herausforderung für Künstlerinnen und Kuratoren.“
Über den nicht nur technischen, sondern auch finanziellen Aufwand hüllt sich die Fondation Cartier in Schweigen. „Es könnte sein, dass die Zahlen, die Sie hören, schon lange nicht mehr aktuell sind“, so Grenier. Auf Radio France Bleu ist von kolportierten 230 Millionen Euro Investitionsvolumen die Rede. Das neueste Projekt von Jean Nouvel, einem Magier der Räume, zettelt nicht nur ein atemberaubendes Wow an, sondern auch eine Diskussion über Angemessenheit und Suffizienz. In einem Heute, das nicht mehr so ist wie gestern.
Compliance-Hinweis: Der Autor besuchte die Fondation Cartier im Rahmen einer Pressereise.
Die neue Fondation Cartier pour l’art contemporain in der Rue de Rivoli im 1. Arrondissement im Herzen der Stadt, quasi eingeklemmt zwischen Louvre und Palais-Royal, ist das, was am Tag der Eröffnung, voll von Champagner und salbenden Dankesworten, immer wieder als „Maschine“ bezeichnet wird. Und diese Maschine will keineswegs bloß ein Symbol für die Größe und Mächtigkeit der neuen, 8500 Quadratmeter großen Ausstellungsräumlichkeiten sein. Diese Maschine ist im wahrsten Sinne des Wortes zu verstehen.
Potenzial ausschöpfen
Auf Knopfdruck, freilich weitaus komplizierter in seinen Abläufen, als sich dies anhören mag, bewegen sich fünf stählerne Plattformen, jede einzelne davon zwischen 250 bis 350 Tonnen schwer, mit einer Geschwindigkeit von fünf Metern pro Minute auf und ab, und können zwischen Souterrain und Beletage in jeweils elf verschiedenen Höhenpositionen eingerastet werden. Das Ziel ist, die Böden und Decken des Raumes aufzubrechen und eine flexible Bühne für Bilder, Skulpturen und raumfassende Installationen zu schaffen. Es seien so viele Varianten, versichert Nouvel – die Zahl ist bereits gefallen –, dass man das Potenzial wohl niemals werde ausschöpfen können.
„Die Fondation Cartier ist nicht nur eine weitere Galerie für zeitgenössische Kunst, eine von vielen in Paris, sondern eine Oase der Entdeckung“, sagt Nouvel. „Sie ist ein dynamischer Space, eine prachtvolle Werkstatt, die in der Lage ist, sich an die Kunst und an die Ideen und Konzepte der hier ausstellenden Künstler anzupassen.“ In den Ecken der fünf Plattformen, die gemeinsam eine Fläche von 1100 Quadratmetern bilden, befinden sich riesige Winden mit zentimeterdicken Stahlseilen, mit Schrauben und Bolzen, und damit das Maschinelle nicht optisch überhandnimmt, ist die gesamte Optik wie in einem Theater in ein schattiges, fast schwarzes Ich-bin-gar-nicht-da gehüllt.
Viele unterschiedliche Varianten, heißt es, habe man im Prozess ausprobiert und simuliert, von Schienen über Zahnräder bis hin zu Kolben und hydraulischen Stempeln. Doch mal waren es die Toleranzen, mal die Erschütterungen, mal die bedenklich großen Mengen an brennbaren Schmierölen, die das Planungsteam schließlich zum Liftmechanismus geführt haben. Ergänzt wird die Maschinerie der mobilen Plattformen von einem wandelbaren Glasdach, das je nach Tageslichtbedarf mit Klappen und Schiebeelementen geöffnet oder geschlossen werden kann.
Dramatische Transformation
In gewisser Weise fügt sich die neue Fondation Cartier, die den gesamten 150 Meter langen Häuserblock einnimmt, einen der ersten seiner Art, die nach dem damals neuen Pariser Generalplan von Baron Haussmann bebaut wurden, perfekt in die Historie des Ortes. Einst errichtet für die Weltausstellung 1855, beherbergte das Grand Hôtel du Louvre nämlich nicht nur Ballsäle, mit Pferdekutschen befahrbare Foyers und mehr als 1200 Zimmer und Suiten, sondern war auch eine technische Galanterie – mit Aufzug, Zentralheizung, Gasbeleuchtung, Lüftungsanlage, Telegrafenamt, elektrischen Klingeln und modernen englischen Wasserklosetts auf jeder Etage. In den darauffolgenden eineinhalb Jahrhunderten wurde das Hôtel du Louvre als Kaufhaus und Antiquariat genutzt.
„Und auch die Weltausstellung selbst“, schreibt die in New York lebende Architekturtheoretikerin Beatriz Colomina in ihrem Buchbeitrag über die neue Fondation Cartier, „war ein Wunderwerk der Technik und Mechanisierung, der Geschwindigkeit und des Spektakels, geformt durch neue Betrachtungsweisen auf die Welt. Die Fondation Cartier greift dieses mechanische Erbe und Technikfieber auf, indem die alte, stabile Gebäudestruktur nun eine geradezu schwindelerregende Instabilität aufnimmt. Die mobilen Plattformen werden nicht zufällig von einem Unternehmen hergestellt, das auf bewegliche Theaterbühnen spezialisiert ist – eine dramatische Transformation traditioneller Kunstausstellung.“
Schon jetzt, in der Anfangsausstellung, die in Anlehnung an die Weltausstellung 1855 einfach nur Exposition Générale heißt, werden große, zum Teil mehrgeschoßige Arbeiten von Freddy Mamani, Junya Ishigami, Alessandro Mendini, Richard Artschwager, Judith Bartolani, Juan Muñoz und Absalon gezeigt. Immer wieder mit spannenden Ausblicken auf die Touristen und Passantinnen einen Stock höher, die genüsslichen durch die Straßenarkaden hindurch spazieren, nichtsahnend, welche riesigen Löcher und Maschinerien sich hinter den denkmalgeschützten Kalksteinfassaden verbergen.
Magier der Räume
„Wir haben nun ein paar Jahrzehnte Zeit, um in dieses Haus hineinzuwachsen“, sagt Béatrice Grenier, Projektdirektorin der Fondation Cartier, die 1984 gegründet wurde und deren Sammlung mittlerweile rund 4500 Werke umfasst.“ „Mit der Leere und mit Nouvels Maschinerie ergeben sich neue Möglichkeiten der Inszenierung, aber natürlich ist die formlose Wandelbarkeit auch eine große Herausforderung für Künstlerinnen und Kuratoren.“
Über den nicht nur technischen, sondern auch finanziellen Aufwand hüllt sich die Fondation Cartier in Schweigen. „Es könnte sein, dass die Zahlen, die Sie hören, schon lange nicht mehr aktuell sind“, so Grenier. Auf Radio France Bleu ist von kolportierten 230 Millionen Euro Investitionsvolumen die Rede. Das neueste Projekt von Jean Nouvel, einem Magier der Räume, zettelt nicht nur ein atemberaubendes Wow an, sondern auch eine Diskussion über Angemessenheit und Suffizienz. In einem Heute, das nicht mehr so ist wie gestern.
Compliance-Hinweis: Der Autor besuchte die Fondation Cartier im Rahmen einer Pressereise.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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