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db deutsche bauzeitung 09|2017
Rückzugsorte
db deutsche bauzeitung 09|2017

Der gerahmte Blick

Wochenendhaus in Gerswalde

1. September 2017 - Mathias Remmele
Die Lage ist, das lässt sich nicht anders sagen, einfach traumhaft. Man stelle sich ein rund 2 ha großes, direkt am See gelegenes Grundstück vor, das so ungefähr alles in sich vereint, was die Uckermark an landschaftlichen Reizen zu bieten hat: einen verträumten, von Schilf und alten Bäumen gesäumten See, eine sanft geschwungene Topografie, eine große Wiese, ein Wäldchen und – gewissermaßen als i-Tüpfelchen – eine kleine Kirschbaumplantage.

»Verwunschene Wiese«

An diesem herrlichen Ort konnte der Berliner Architekt Thomas Kröger jüngst für eine ebenfalls in Berlin lebende Künstlerin und Galeristin ein ­Wochenend- und Ferienhaus realisieren, das – zumindest beim ersten Hinsehen – überrascht und ein wenig wunderlich erscheint. Was hat es für ein merkwürdiges Dach? Hoch, spitz zulaufend und mehrfach gefaltet ist es, gedeckt mit hell schimmernden, rautenförmigen Aluminiumschindeln. So sitzt es mit auffällig großem Überstand und einer merkwürdig gezackten Traufe wie ein etwas überdimensionierter Hut auf dem kleinen, einstöckigen Baukörper. Das Ganze hat etwas zeltartiges, erinnert einen ganz unwillkürlich an einen Pavillon im Park, an ein Lusthäuschen in einem großen, alten Garten – so wie etwa das Chinesische Haus im Park von Sanssouci, das nebenbei bemerkt auch ein Blechdach besitzt. Mit dieser Assoziation ist man schon auf der richtigen Fährte und doch verlangt die merkwürdige Form des Hauses nach Erklärung. Dies umso mehr, als Thomas Kröger, der in der Uckermark schon einige gelungene Häuser entworfen hat, sonst nicht zur Extravaganz neigt, sondern eher einem kontextbezogenen Bauen verpflichtet ist. Zu seinem jüngsten Werk bekennt er mit entwaffnendem Charme, er habe diesen Ort so besonders gefunden, dass er »dort einfach kein klassisches Haus ­denken« konnte, denn man hätte damit »die verwunschene Wiese so böse ­besetzt«. Das klingt jetzt fast ein wenig esoterisch. Vor Ort aber wirkt das mehr als plausibel. Vor diesem Hintergrund jedenfalls habe man »nach Typologien mit eher temporärem Charakter« gesucht und sei dabei auf eine alte Fotografie gestoßen, die einen Tanzpavillon in einem Münchner Park zeigte. Mit diesem Bild ließ sich arbeiten.

Punktgenau

Wenn nun aber die Naturschönheit der Lage zum Ausgangspunkt des Entwurfs gemacht werden sollte, brauchte es mehr als eine inspirierende Typo­logie. Kröger erinnerte sich an die Erkenntnis, dass ein (architektonisch) gerahmter Blick die Wahrnehmung der Umgebung fokussieren und intensi­vieren kann. Entsprechend richtete er den Entwurf konsequent auf die beiden ­visuellen Hauptattraktionen des Grundstücks – den Kirschhain und den See – aus. Und die liegen, wie es der schöne Zufall so will, ziemlich genau um 60° zueinander verdreht. Daraus entwickelte sich die hexagonale Grundrissform des Hauses mit ihrer regelmäßigen Abfolge von offenen und geschlossenen Seitenflächen, die sich wiederum gut mit dem Bild des Tanzpavillons verbinden ließ. Das Konzept des gerahmten Blicks hätte freilich viel von seiner Wirkungsmacht verloren, wenn die Genehmigungsbehörden es nicht erlaubt hätten, das Haus an der idealen Stelle zu errichten: unmittelbar am Rand des Kirschhains und genau an dem Punkt, von dem aus sich das Grundstück zum See hin neigt.

Der Effekt von Standortwahl und Blickfokussierung im Innern des Hauses ist ebenso verblüffend wie zwingend. Im Essbereich, der sich durch vom Boden bis unter die Dachkante reichende, vertikal gegliederte Fenster zum Kirschgarten hin öffnet, wirkt es, als sitze man förmlich zwischen den Kirschbäumen. Vom Wohnzimmer aus, wo der Blick auf die Ferne eingestellt wird, bietet sich durch ebensolche Fenster ein herrliches Postkarten-Panorama auf Wiese, Wald und See.

Die dritte »offene« Seite des Hauses, an der der Eingang liegt, fällt dagegen deutlich ab. Der Aus- und Einblick ist hier durch Einbauschränke und eine Treppe bis auf einen eher schmalen Zugang in den Wohnraum gleich wieder zugebaut. Funktional ist das verständlich, trotzdem offenbart sich hier eine kleine Schwäche des Entwurfskonzepts.

Überschaubar

Die Bauherrin wünschte sich das Wochenendhaus als informellen und intimen Rückzugsort für sich, ihren Partner und zwei Kinder. Entsprechend einfach ist das Raumprogramm. Im EG liegt neben dem Essbereich mit angegliederter Küchenzeile das Wohnzimmer, das ideell und grundrisstechnisch den Mittelpunkt des Hauses einnimmt.

Es mündet gleichsam in eine seewärts gelegene Terrasse, die dank der hinter die Fluchtlinie des Hauses zurückgezo­genen Fensterfront zu einem guten Teil überdacht ist. Zwei kleine Kinderschlafzimmer und ein Bad liegen hinter den drei geschlossenen Außenwänden des Hauses und weisen jeweils einen trapezförmigen Grundriss auf.
Eine schmale Holztreppe, die durch eine im Eingangsbereich liegende Tür erreichbar ist, führt ins obere Geschoss, das vom Elternschlafraum beherrscht wird. Ein winziges Bad und zwei begehbare Schrankräume flankieren den von zwei Oberlichtern erhellten, wiederum hexagonal geschnittenen Raum, der dank seiner hohen, kristallin ausgeformten Decke großzügiger wirkt, als es der Grundriss vermuten lässt. Das große, bis zur Dachspitze reichende Oberlicht übrigens war ein Wunsch der Bauherrschaft. Sie wollte vom Bett aus gern in den nächtlichen Sternenhimmel blicken, der in der dünn besiedelten Uckermark bekanntlich besonders hell erstrahlt. Wie schön muss das sein!

Das mit Erdwärme beheizte Haus steht auf einer Betonplatte, die einen geringen Niveauunterschied im Baugrund nachvollzieht. Das Haus wird ebenerdig betreten, zum Wohnraum geht es zwei Stufen hinunter und zum Essbereich wieder eine Stufe nach oben. Das stellt sicher, dass der Innenraum sich visuell stets bruchlos in den Außenraum erweitert. Gleichzeitig definieren die Stufen auf dezente Weise die Grenzen der verschiedenen Raumzonen.

Vom Sockel abgesehen, ist der Bau als Holztafelkonstruktion errichtet. Als Holzbau tritt er aber allenfalls an der Fassade in Erscheinung, die das Bild ­einer klassischen Leistenschalung evoziert. Tatsächlich sind die dünnen, weiß gestrichenen Holzlatten aber auf großflächige schwarze Wandplatten ­geschraubt. Ihre Funktion ist also rein dekorativer Natur. So oder so, das Bild passt zum Pavillon-Charakter des Hauses und die filigran anmutende Vertikalstruktur der hellen Latten lässt die Wandkonstruktion ganz leicht erscheinen. Ob es notwendig war, die Fensteröffnungen des Badezimmers und der Kinderzimmer hinter diesem Stabwerk zu verstecken, kann man dahingestellt sein lassen.

Den großen Dachüberstand erklärt Kröger mit Vorbildern aus der traditionellen Architektur Japans und Chinas. Das von der Dachkante heruntertropfende Regenwasser bildet gleichsam einen feinen Wasservorhang um den Bau. Abgesehen von diesem sicher poetischen Bild hätte eine breite Dachrinne eben einfach nicht zur dünnen Blechhaut des Dachs gepasst.

Zur Qualität dieses Hauses trägt Krögers Sensibilität für Materialien, Farben und Oberflächen sowie seine Sorgfalt im Detail bei, die sich nicht zuletzt in den Einbaumöbeln auf überzeugende Weise manifestiert. Während die Hauptwohnräume weiß gehalten sind, setzt der Architekt in den Bädern und Kinderzimmern farbige Akzente, die die heiter unbeschwerte Stimmung dieses Rückzugsorts fürs Wochenende unterstreichen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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