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Frischer Schwung fürs Lernen

Bundeswehrfachschule in Karlsruhe

Auf einem Kasernengelände in Karlsruhe ist die Bundesrepublik ihrer Vorbildfunktion als öffentlicher Bauherr gerecht geworden. Für ehemalige Zeitsoldaten hat sie eine Ausbildungsstätte errichtet, die neue Standards im Schulbau setzt.

8. Dezember 2020 - Christian Schönwetter
In einer etwas abgelegenen Ecke von Karlsruhe versteckt sich eine militärhistorische Besonderheit: Ganz im Norden der Stadt, zwischen einer kleinen Teppichsiedlung und dem Waldrand, findet man den ersten Stützpunkt der deutschen Luftwaffe nach der Wiederbewaffnung. 1959 errichtete die Bundeswehr dort die Kirchfeldkaserne. Wer sie heute besucht, versteht, warum die Presse dem Areal damals »ein beinahe ziviles Gesicht« attestierte. Dreigeschossige Mannschaftsgebäude verteilen sich wie mit lockerer Hand hingestreut über weitläufige Grünflächen, wobei die fächerförmige Anordnung der Bauten dem annähernd dreieckigen Grundstück folgt – keine Spur jedenfalls von der strengen Orthogonalität früherer Kasernenhöfe.

An der Spitze des Fächers, wo lange das Offizierskasino stand, hat die Bundeswehr nun eine Schule gebaut, in der ehemalige Zeitsoldaten auf den Wiedereinstieg ins Berufsleben vorbereitet werden. Sie können hier Abschlüsse bis hin zur Fachhochschulreife nachholen oder ihr altes Schulwissen auffrischen, um besser für ein Studium gewappnet zu sein. Das Bauwerk, das v-architekten dafür entworfen haben, ist perfekt auf seinen Standort abgestimmt. Zunächst einmal setzt es ganz offensichtlich darauf, sich den zivilen Charakter des parkartigen Geländes zunutze zu machen. Die Unterrichtsräume liegen in den oberen Stockwerken und bieten durch vollverglaste Fassaden einen entspannenden Blick in die Baumkronen, während das EG Verwaltung, Lehrerzimmer, Bibliotheken und Vortragsräume aufnimmt. Auf den dreieckigen Grundstückszuschnitt wiederum reagiert das Gebäude mit drei Flügeln, die sich um ein zentrales Atrium gruppieren, gleichzeitig jedoch vor den alten Bäumen zurückweichen. Wer will, kann in der Grundrissfigur, die sich daraus ergibt, einen Propeller erkennen – und damit einen Verweis auf die Geschichte des Orts. Obwohl diese Assoziation vom Architektenteam gar nicht beabsichtigt war, wird sie von den stromlinienförmigen Rundungen der umlaufenden Wartungsbalkone ebenso unterstützt wie von der Leichtigkeit der Gebäudeflügel, an deren Enden die oberen Stockwerke weit auskragend über dem Gelände zu schweben scheinen.

InnenRäume Auf klugem Grundriss

Man betritt die Schule über den Nordflügel, der sich den anderen Gebäuden auf dem Kasernengelände zuwendet. Sogleich findet man sich in einem außergewöhnlich hellen Atrium wieder. Das Licht zieht den Blick nach oben, wo man ein zartes ETFE-Membrandach entdeckt. Statt einer aufwendigen Stahlkonstruktion und einer gerahmten Verglasung, die bei anderen Atrien meist einen unruhigen Schattenwurf erzeugen, überspannen hier nur drei gewölbte Rundträger den Raum und transluzente Foliennähte sorgen für einen gleichmäßigen Sonneneinfall. Ungestört kommt daher die präzise Ausführung der weiß verputzten Brüstungen zur Geltung, die auf den oberen Etagen in sanftem Schwung um die Ecken gleiten.

Weil ein großer Teil der Unterrichtsräume direkt über die Haupttreppe und die Galerien des Atriums zugänglich ist, reichen relativ kurze Stichflure aus, um die übrigen Räume zu erschließen. Die Gänge weiten sich von den Enden zur Mitte hin auf, sodass sie durch die perspektivische Verzerrung sogar noch kürzer wirken. Außerdem sind sie somit um genau jenes Maß verbreitert, das nötig ist, damit man in den Pausen gerne für einen Plausch stehen bleibt. V. a. aber bekommen sie als Teil einer einbündigen Erschließung seitliches Tageslicht, Aussicht ins Freie und damit eine Aufenthaltsqualität, die man bei den hochkompakten Schulgrundrissen unserer Tage nur selten antrifft.

Am Ende der Gänge liegen die Fluchttreppen. Sie eignen sich als »Shortcuts« zwischen den Etagen – weil sie direkt zu den Bibliotheken im EG führen, ergibt sich eine Schule der kurzen Wege. Auch bei der Nutzungsflexibilität wurde ein vernünftiges Maß gefunden. Während die Flurwände tragend ausgebildet sind, lassen sich die Leichtbau-Trennwände zwischen den Unterrichtsräumen einfach entfernen, ermöglichen eine Anpassung des Grundrisses und verlängern damit potenziell die Lebensdauer des Gebäudes.

Die Innenräume sind geprägt von Oberflächen, deren handwerkliche Verarbeitung einen angenehmen Kontrast zu der industriell anmutenden Alu-Glas-Fassade bildet: naturbelassenes Eichenholz auf den Brüstungen, hellbeiger Terrazzo am Boden des EGs, Beton mit dem Abdruck einer senkrechten Bretterschalung an den Wänden. Von gestalterischer Raffinesse zeugt eine leuchtende Fuge zwischen Wand und Decke, die den Beton in Streiflicht taucht und seine Struktur besonders hervorhebt. Alle verbauten Materialien unterliegen mindestens dem Umweltprüfzeichen »Blauer Engel«.

Wie sinnvoll ist eine Schule aus Glas?

Waren die großen transparenten Fassadenflächen zunächst rein konzeptionell bedingt, so erwiesen sie sich im Planungsverlauf auch als vorteilhaft für das Energiekonzept, berichtet das Architektenteam. Zunächst einmal verbessern sie natürlich die Tageslichtnutzung und minimieren den Strombedarf für künstliche Beleuchtung. Im Winter fallen die Wärmeverluste durch die Dreischeibenverglasung nicht sonderlich ins Gewicht. Zum einen reicht die abgestrahlte Körperwärme der Schüler bei dem ansonsten gut gedämmten Gebäude aus, um die Unterrichtsräume angenehm zu temperieren. Zum anderen sind für den Energieverbrauch von Ausbildungsstätten weniger die Verluste durch Transmission als durch Lüftung entscheidend: In Schulbauempfehlungen und der EN 13779 wird für die dicht besetzten Klassenzimmer ein dreifacher Luftwechsel pro Stunde vorgeschlagen, also sechsmal mehr als im Wohnungsbau. Alle Aufenthaltsräume der Karlsruher Schule werden daher mechanisch be- und entlüftet. Ein Plattenwärmetauscher gewinnt dabei 85 % der Abwärme zurück, ohne Zu- und Abluft zu vermischen. Zusätzlich lassen sich in den Unterrichts-, Büro- und Besprechungsräumen die Fenster bei Bedarf öffnen, was die Nutzerakzeptanz erhöht.

Im Sommer schützen Lamellenraffstores vor einer übermäßigen Sonneneinstrahlung, im Süden unterstützt von den Wartungsbalkonen. Eine Teilklimaanlage mit adiabatischer Verdunstungskühlung senkt die Temperaturen zusätzlich. Dank der großen Glasflächen kühlt das Gebäude nachts schneller aus als ein Haus mit hochgedämmten opaken Wänden. Die Erschließungsflächen werden, falls nötig, automatisch über Glaslamellenfenster in den Flurfassaden und Rauchabzugsöffnungen unter dem Atriumdach mit kühler Nachtluft durchspült. Bei der Besichtigung an einem hochsommerlichen Mittag im September scheint dieses Konzept zu funktionieren – selbst in den Fluren an der Südseite herrschen angenehme Temperaturen.

Konsequent bis ins Detail

Beim Verlassen des Bauwerks fällt der Blick noch einmal auf die Freibereiche unter den auskragenden Enden der drei Flügel. Für die erwachsenen Schüler unterbreitet jede dieser Zonen ein anderes Angebot. Boxsack, Reckstange und Ringe stehen zur sportlichen Aktivität bereit, hängende Sessel zum »Chillen« und Stahlbügel zum unkomplizierten, regengeschützten Anschließen von Fahrrädern. Die daneben stehende Sitzbank aus Faserbeton zeigt, obwohl sie aus dem Katalog stammt, die gleichen abgerundeten Ecken wie die Balkone und zeugt damit von der Konsequenz, mit der der hohe Gestaltungsanspruch bis ins Detail durchgehalten wurde.

Was hat nun dazu beigetragen, dass sich dieser Schulbau von vielen seiner Artgenossen abhebt? Die Architekten betonen die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit dem Bauherrn, dem Staatlichen Hochbauamt Karlsruhe, das sie in schwierigen Abstimmungsrunden mit vielen Beteiligten aus Bundeswehr und Verteidigungsministerium stets unterstützt habe. Auch dass die Oberfinanzdirektion für das Projekt von Anfang an kein allzu knappes Budget vorgesehen hatte, mag geholfen haben: Mit 2.390 Euro brutto/m² BGF lag es über dem BKI-Durchschnitt für Schulbauten (und wurde exakt eingehalten). Sofern wie hier kein Luxus entsteht, darf es einer Gesellschaft ruhig ein paar Euro wert sein, bei Bauten für ihre ehemaligen Soldaten nicht zu knausern, sondern ihnen für die Rückkehr ins zivile Leben anständige Ausbildungsräume zur Verfügung zu stellen. Umso besser, wenn dabei anspruchsvolle Architektur herauskommt, mit der die öffentliche Hand die Baukultur fördert.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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