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db deutsche bauzeitung 2021|03
Putz
db deutsche bauzeitung 2021|03

Edles Gewand

Evangelisches Zentrum am Ulrichsplatz in Augsburg

Einmal mehr überzeugt das Büro Staab Architekten mit einer Architekturlösung, die sich hervorragend in den historischen Kontext einfügt. Das 2020 fertiggestellte Evangelische Zentrum steht am Ende der Augsburger Maximilianstraße, die als eine der baugeschichtlich bedeutsamsten Straßen Süddeutschlands gilt. Nicht zuletzt ist es die graue Putzfassade, die dem Gebäudeensemble einen uneitlen und zugleich markant edlen Charakter verleiht.

9. März 2021 - Klaus Meyer
Wie modern er zu bauen gedenke, wollte ein Reporter der Augsburger Allgemeinen im März 2017 vom Berliner Architekten Volker Staab wissen. Die Frage zielte natürlich auf das Projekt ab, das die architekturinteressierten Bürger Augsburgs bereits seit sechs Jahren umtrieb: den Neubau eines Evangelischen Zentrums am Südende der Maximilianstraße. Musste man sich auf eine unverschämte Provokation oder eine verpasste Chance einstellen? War mit einem hypermodern anmaßenden oder einem historisierend anbiedernden Schandfleck zu rechnen? Die ausgewogene Antwort des Planers nahm den Skeptikern beider Lager den Wind aus den Segeln. »Wir sind der Meinung, dass wir heute bauen«, begann Staab vorsichtig und fuhr dann fort: »Unser Bau enthält allerdings viele Elemente, die die Verbindung zu den historischen Häusern suchen, z. B. die Dachform und die Art der Fenster. An der Gestaltung der Fenster kann man aber auch erkennen, dass das Ensemble nicht aus dem 18. Jahrhundert, sondern aus der Gegenwart stammt. Ziel ist es, dass die Neubauten auf eine selbstverständliche Weise Teil des Straßenprospekts werden, ohne ihre Entstehungszeit zu verheimlichen.« Genauso ist es gekommen: Das im Mai 2020 fertiggestellte Ensemble fügt sich als zeitgenössisches Teil in ein altehrwürdiges Ganzes ein und bereichert die urbane Einheit, von der es geprägt wurde, durch eine neue Facette.

Von der Via Claudia Augusta zur Maximilianstraße

Dies ist keine geringe Leistung. Denn bei der urbanen Einheit, von der wir hier reden, handelt es sich um eine der kunsthistorisch bedeutsamsten Straßen Süddeutschlands. Die Ursprünge der Maximilianstraße, die sich vom Rathaus im Norden bis zur Basilika St. Ulrich und Afra im Süden erstreckt, reichen zurück bis in die Römerzeit. Ihr nördlicher Abschnitt liegt auf der Via Claudia Augusta, die das 15 v. Chr. gegründete Militärlager Augusta Vindelicum mit Italien verband. Ihr breiterer südlicher Teil entstand aus einer Abfolge von Plätzen, die seit der Barockzeit durch den Merkurbrunnen (1599) und den Herkulesbrunnen (1602) gegliedert wurden. Auf dem Weg vom Rathausplatz zum Ulrichsplatz passierte man den Brotmarkt, den Holzmarkt und schließlich den Weinmarkt. Maximilianstraße heißt die innerstädtische Flanier- und Einkaufsmeile erst seit 1957. Aber seit eh und je wartet sie mit zahlreichen architektonischen Glanzlichtern auf. Die Palette der Baustile reicht von der Gotik bis zur Renaissance (Fuggerhäuser) und vom Rokoko (Schaetzlerpalais, Roeck-Haus) bis zur Nachkriegsmoderne. Jedes Haus in dieser bunten Reihe ist interessant. Keines duckt sich weg, keines drängt sich vor. Und am Ende ist es diese sich zu einer harmonischen Einheit fügende Vielheit aus individuellen Figuren und Charakteren, die den eigentlichen Reiz der Prachtstraße ausmacht.

An ihrem südlichen Ende, wo sie sich zum Ulrichsplatz öffnet, klaffte jahrzehntelang eine Lücke. Der imposante Pfarrhof der evangelischen Kirchengemeinde St. Ulrich, der den nach Osten hin abfallenden Straßenraum gefasst hatte, war in der Bombennacht vom Februar 1944 zu Schutt und Asche zerfallen. Und das bescheidene Pfarrhaus, das 1954 auf dem Ruinengrundstück errichtet wurde, konnte den Verlust des Vorgängerbaus nicht wettmachen. Zwar begann die Diskussion um eine anspruchsvolle Neubebauung des »Ulrichsecks« bereits 1992, doch die konkrete Planung für ein künftiges Evangelisches Zentrum kam erst 2010 in Gang. Nachdem das Büro Staab Architekten 2011 als erster Sieger aus einem beschränkten Realisierungswettbewerb hervorgegangen war, hoffte man auf eine baldige Fertigstellung des Projekts. Doch es kam anders: Im Baugrund legten Archäologen sowohl römische Gräber als auch Spuren jahrhundertelanger Bebauung frei, sodass sich der Baubeginn um sechs Jahre verzögerte.

Drei Häuser und was sie verbindet

Das Evangelische Zentrum, so wie es sich heute präsentiert, ist ein Gebäudeensemble, das aus einer Bischofsresidenz, einem Pfarrhaus und einem Kirchengemeindeamt besteht. Das Amtsgebäude schmiegt sich im Norden an die Brandwand des Nachbarhauses und wendet sich mit seiner Giebelseite der Maximilianstraße zu; die Residenz erstreckt sich an der südlichen entlang des abfallenden Milchbergs; das Pfarrhaus schließt die rückwärtige Flanke des Areals und wahrt dabei so viel Abstand zu dem tiefer gelegenen Afragässchen, dass die dortigen Wohnhäuser nicht verschattet werden.

Interessant an der Konstellation sind nicht nur die Gebäude, sondern auch die Zwischenräume – allen voran der kleine Vorplatz, von dem aus Besucher in das zentrale Foyer gelangen, das Bischofssitz und Gemeindeamt verbindet. Die Verortung des Haupteingangs am Übergang von Ulrichsplatz und Milchberg ergibt Sinn, denn auf diese Weise entsteht ein direkter Sichtbezug zu der gegenüberliegenden evangelischen Kirche St. Ulrich sowie der dahinter aufragenden katholischen Basilika St. Ulrich und Afra. Während der Vorplatz sich nach außen öffnet, bieten zwei weitere Freiräume Ruhe und Schutz. Der von der Residenz, dem Amtsgebäude und dem Pfarrhaus umschlossene Innenhof stößt an den raumhoch verglasten Gruppenraum der Gemeinde und kann für Aktivitäten unter freiem Himmel genutzt werden. Hinter dem Pfarrhaus schließlich liegt ein lang gestreckter Garten. Von dort aus führt eine Treppe an der denkmalgeschützten Sichtziegelmauer hinunter in das Afragässchen.

Gestalten mit Putzoberflächen

Dass die Neubauten sich harmonisch in das historische Umfeld fügen, liegt nicht zuletzt an der Fassadengestaltung. Mit ihren hellgrau verputzten Wänden und den hell gefassten Fenstern fügen die Häuser dem Farb- und Materialkanon der Maximilianstraße eine weitere stimmige Variante hinzu. Der Fassadenputz wurde mit einem durchgefärbten Edelkratzputz in 2 mm Körnung mit 25 mm Putzdicke hergestellt. Der Putz schließt bündig mit der Vorderkante der Stahlbetonfertigteilrahmen der Fenster ab. Im Übrigen hat es noch eine besondere Bewandtnis mit dem grauen Farbton: Indem er das Kolorit der barocken Kirche St. Ulrich aufgreift, stiftet er eine dezente visuelle Einheit zwischen den beiden evangelischen Einrichtungen.

Eine besondere Oberflächengestaltung erfuhren die Sockelzonen der Gebäude. An die Rustizierung der benachbarten Altbauten anknüpfend, stattete man den Erdgeschossbereich des Gemeindehauses mit einem horizontal strukturierten, gezogenen Schablonenputz aus. Das ebenfalls durchgefärbte Material ist feinkörniger als der Fassadenputz und wurde mit einem deckenden Anstrich versehen. Die Sockelzone des Bischofssitzes wurde dagegen nicht verputzt, vielmehr setzt sie die denkmalgeschützte Sichtziegelmauer am Milchberg und am Afragässchen fort.

Obwohl sich die Bauten hinsichtlich ihrer Kubatur, Dimension, Materialität und Farbigkeit ganz selbstverständlich in den städtebaulichen Rahmen einpassen, geben sie sich zugleich deutlich als zeitgenössisch zu erkennen. Details wie die schrägen, asymmetrischen Fensterlaibungen, die geschosshohen Glasflächen im Eingangsbereich, der horizontal gegliederte Sockelverputz oder auch der rollstuhlgerecht als schiefe Ebene angelegte Vorplatz verweisen auf heutige Stilpräferenzen und Nutzungsbedingungen. Wäre mehr drin gewesen? Hätte eine freiere Entfaltung heutiger baukünstlerischer Möglichkeiten dem Ort gutgetan? Vermutlich nicht. Schließlich ging es bei diesem Projekt nicht nur um die Errichtung eines Bauwerks, sondern um die Restaurierung eines Jahrhundertwerks: Der Neubau vervollständigt das Bild der Maximilianstraße – was will man mehr!

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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