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db deutsche bauzeitung 2022|01-02
Dienende Bauten
db deutsche bauzeitung 2022|01-02

Domestizierung der Infrastruktur

Busgarage und Werkhof in Zürich

An eine bestehende Busgarage im Nordwesten von Zürich anschließend ist ein Erweiterungsbau entstanden. Durch expressive Akzente, verbunden mit einer sensiblen und diskreten Materialisierung, ist es den Architekten gelungen, das große Bauvolumen quartiersverträglich umzusetzen.

17. Januar 2022 - Hubertus Adam
Die Wohnbevölkerung in der Stadt Zürich wächst kontinuierlich: Beträgt die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner derzeit 434 000, so wird sie bis zum Jahr 2030 auf 500 000 klettern. Und wo mehr und mehr Menschen leben, bedarf es steigender Investitionen in die Infrastruktur. Dies ist der Hintergrund für ein städtisches Bauvorhaben, das eine Erweiterung der Busgarage für die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) mit einem Werkhof von Entsorgung & Recycling Zürich (ERZ) vereint.

Infrastruktur als Gestaltungsaufgabe

Busgaragen und Straßenbahndepots, die unweigerlich allein aufgrund ihrer schieren Größe öffentliche Aufmerksamkeit beanspruchen, werden seit jeher in Zürich nicht allein als reine Zweckbauten, sondern auch als gestalterische Herausforderungen verstanden: Der Bogen spannt sich vom zwischen Reform- und Heimatschutzarchitektur oszillierenden Tramdepot Hard (1911) am Escher-Wyss-Platz von Friedrich Fissler über die moderat funktionalistischen Bauten des zwischen 1919 und 1942 amtierenden Stadtbaumeisters Hermann Herter bis zum Großkomplex der VBZ-Werkstätten, einem heute sanierungsbedürftigen brutalistischen Meisterwerk der Architektengemeinschaft Dubois Eschenmoser Schaudt aus dem Jahr 1975.

Zwischen 1965 und 1969 war ganz im Nordwesten des Stadtquartiers Aussersihl, begrenzt von Bullinger- und Bienenstraße, eine für 160 Busse konzipierte VBZ-Garage nach Plänen von Casetti und Rohrer entstanden. Diese liegt gleichsam im Windschatten der 1976-78 realisierten Siedlung Hardau von Max P. Kollbrunner, die mit ihren vier rotbraunen Türmen eine städtebauliche Domiante im Zürcher Westen darstellt. Ohnehin prägen großmaßstäbliche Bauten das von der Ausfallachse der Badenerstraße und vom Gleisfeld mit seinen begleiteten Werkstattgebäuden gerahmte Gebiet zwischen der gründerzeitlichen Stadterweiterung im Züricher Westen und den einstigen dörflichen Vororten Albisrieden und Altstetten – das Letzigrundstadion und der Schlachthof befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft.

Bis 2030, so die Prognosen, werde die Frequenz des öffentlichen Verkehrs in Zürich um 30 % zunehmen. Grund genug für den Ausbau der VBZ-Garage Hardau durch die Erweiterung um zusätzliche Stellplätze für 26 Gelenk- und Doppelgelenk-Trolleybusse. Parallel zur Ertüchtigung und partiellen Erneuerung des Baubestands durch Müller Siegrist wurde 2015 unter zehn eingeladenen Teams ein einstufiger Wettbewerb für eine Erweiterung auf der benachbarten, bisher als Parkplatz genutzten Parzelle zur Herdernstraße durchgeführt, den pool Architekten für sich entscheiden konnten. Es ging aber nicht nur um eine Halle für die Busse, sondern auch um einen neuen Werkhof für die ERZ samt Aufenthaltsräumen für die Mitarbeitenden. Durch diese Kombination zweier Funktionen wurde der bisherige Werkhof vis-à-vis an der Bienenstraße überflüssig, das Grundstück steht zukünftig für eine neue Wohnbebauung zur Verfügung.

Neben Funktionalität, niedrigen Erstellungskosten, kostengünstigem Unterhalt und bauökologischen Kriterien wurden in der Wettbewerbsauslobung explizit auch Ästhetik und soziale Faktoren als Wettbewerbsziele genannt. Gesucht seien Projekte, »die mit ihrem architektonischen Ausdruck und mit ihrer Materialisierung einen Beitrag zur Quartieraufwertung leisten und die eine außenräumlich hochwertige und identitätsstiftende Gestaltung vorweisen«.

Weit gespannt und offen

pool Architekten greifen mit ihrer Buseinstellhalle die Baufluchten der bestehenden Bauten auf, rücken das neue Volumen aber vom Bestand ab und nahe an die Herdernstraße, sodass zwischen beiden Gebäudekomplexen ein breiter Platz entsteht. Hier befindet sich die Rampe zum UG, v. a. aber dient er der Zufahrt der Busse, die nach Betriebsschluss von dieser Seite aus in die Halle fahren und sie morgens über die Ausfahrt zu Herdernstraße hin wieder verlassen. Daher ist die stützenfreie Halle mit ihren 35 x 55 m tagsüber zumeist leer und kann auch – eine zusätzliche Funktion – bei Spielen im gegenüberliegenden Stadion Letzigrund im Notfall als Sanitätsstützpunkt dienen.

Die Architekten haben auf die sonst üblichen und beim Altbau vorhandenen Klapptore verzichtet und stattdessen auf Schiebetore gesetzt, die sich komplett auffahren lassen. Dies lässt die Konstruktion der Halle auf eindrucksvolle Weise zutage treten: Nach außen hin zeigt sie sich als massives Geviert aus Betonscheiben, das nur an den Ecken und an den Längsseiten zusätzlich mittels eines mittigen Pfeilers abgestützt wird. Die Seite zur Bienenstraße hin ist zwar geschlossen ausgeführt, ließe sich aber bei einer Nutzungsänderung ebenfalls öffnen. Lediglich im Nordosten dient die weitgehend geschlossene Hallenwand als auf Dauer angelegter Raumabschluss, da sich hier der vor‧gelagerte Servicetrakt der ERZ anschließt.

Von außen hinter dem Betongeviert verborgen, überspannen Fachwerkträger aus Stahlprofilen die Halle. Die mit beplankten Holzelementen versehenen Sheds sind leicht gebogen, sodass das Regenwasser gesammelt und über die im Halleninneren sichtbar geführten Rohre entlang der Längsseiten in ein unterirdisches Reservoir eingeleitet werden kann. Die Dachflächen sind mit Photovoltaikmodulen bestückt, die Halle selbst wird nur leicht temperiert. Das gilt auch für die darunterliegende Halle gleicher Größe, in deren kleinerer Teil Parkplätze für die Beschäftigten zur Verfügung stehen. Der größere Teil wird als Werkhof der ERZ genutzt: Hier werden die Kehrmaschinen und Streufahrzeuge geparkt, gewaschen und gewartet. Neben den Abstellflächen gibt es also auch Reinigungs- und Werkstattkojen. Vorgespannte Unterzüge und Betonstützen tragen die Flachdecke über dem UG, die Farben Gelb und Grün treten zum Grau des Betons.

Skulptur und Textur

Die übrigen Nutzungen des Werkhofs sind im Kopfbau angeordnet. Zeichenhaft tritt das expressiv mit Beton ummantelte turmartige Salzsilo in Erscheinung, an das sich die abgesenkte Durchfahrt anschließt, in welcher die ERZ-Fahrzeuge den Straßenkehricht in bereitstehende Mulden entsorgen. Im Geschoss darüber befinden sich die Personalräume des Werkhofs: Im Anschluss an das Silo und noch vor der Halle auskragend, liegt das Büro mit seinen beiden großen Bullaugenfenstern, des Weiteren Garderoben, Nasszellen, Technikräume und schließlich der großzügige Aufenthaltsbereich am anderen Ende des Korridors. Nicht nur die Raucher werden sich über den schmalen, bepflanzten Innenhof auf der anderen Seite des Korridors freuen, der durch Betonlamellen vor zu starker Sonneneinstrahlung geschützt wird. Gebrochene Gneisplatten aus dem Calancatal bilden den Bodenbelag; das gleiche Material, nunmehr geschliffen, findet sich auch im Korridor und in den übrigen Bereichen.

Die Rauheit, die für einen Infrastrukturbau typisch ist, wird von pool Architekten wie bei den Treppenhäusern mit ihrer Kombination von Sichtbeton und Metallgittertreppen durchaus in Szene gesetzt, aber durch eine fast liebevolle Materialisierung verbindlich gemacht, man könnte auch sagen: humanisiert. Dementsprechend inszenieren sie im Büro- und Aufenthaltstrakt keine antithetische Wohlfühlwelt, sondern modulieren die Materialpalette mit Naturstein sowie Seekieferplatten für die Wandbekleidungen.

Besonders deutlich zeigt sich die Sorgfalt der Gestaltung: Nicht nur der polygonale Siloturm macht aus dem generischen Hallenbau ein wiedererkennbares Gebäude, das der Forderung des herausragenden architektonischen Ausdrucks entspricht. Bemerkenswert sind überdies die Oberflächen des Betons mit seinem filigranen Schalungsmuster aus in die Schalung eingelegten Tannenbrettern. Andreas Honegger, für das Projekt verantwortlich bei pool, verweist auf den Architekten Otto Glaus, dessen skulpturale Bauten aus den 60er Jahren vergleichbare Sichtbetonoberflächen aufweisen – das Werkschulhaus Hardau befindet sich fast in Sichtweite und kann daher als lokale Referenz verstanden werden. Die Schalungen am Bau von pool wurden vertikal, horizontal, diagonal eingesetzt, unterstreichen damit als grafische Texturen die Geometrie der Flächen und greifen selbst auf die Laibungen der Bullaugenfenster über. Mit dieser feinen Strategie gelingt die Domestizierung des Funktionsbaus, in dessen Umgebung künftig weitere Wohnungen entstehen: Das an der Ecke Bullinger- und Herdernstraße stehende Wohnhaus Zum Eber aus dem Jahr 1904, Fragment einer nie realisierten Blockrandbebauung, wird derzeit beidseitig durch Flügelbauten ergänzt und zu einem Jugendwohnprojekt umgebaut. Auf Instagram ist der Bau mit dem Salzsilo schon zum Star geworden: So viele Likes wie bei diesen Bildern, so Andreas Sonderegger, hätten pool Architekten noch nie erhalten.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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