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db deutsche bauzeitung 2022|01-02
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db deutsche bauzeitung 2022|01-02

Speicher hinter Speichen

Fahrradparkhaus in Nürnberg

Im Wettstreit der Städte zählt die Infrastruktur fürs Fahrrad zu den Standortfaktoren, auch wenn Deutschland im internationalen Vergleich hier noch eher wenig punktet. Das Fahrradparkhaus in Nürnberg ist das erste in der Stadt und soll in dieser Hinsicht ein Zeichen setzen. Es zählt zwar zu den kleineren dieses noch recht neuen Bautyps, seine gut durchdachte Architektur aber kann sich sehen lassen.

17. Januar 2022 - Christoph Gunßer
Hinterm Bahnhof, das ist normalerweise keine gute Adresse. Auch der prächtige neobarocke Hauptbahnhof in Nürnberg, der Zahl seiner Gleise nach der größte Europas, bot auf der Rückseite lange nur einen öden Parkplatz. Doch seit einiger Zeit bemüht sich die Frankenmetropole um ein ansehnlicheres Bahnhofsumfeld. Vorn hat Max Dudler gerade anstelle der Hauptpost zwei wuchtige Hotel-Blöcke hochgezogen, und hinten entstand nach Plänen von Rainer Schmidt ein einladender Grünraum am Übergang zur Südstadt, der Nelson-Mandela-Platz.

Zwischen diesem recht offen gestalteten Platz und dem Gleiskörper, flankiert vom alten und dem neuen Südausgang des Bahnhofs, sah die Stadt auf eigenem Grund ein Fahrradparkhaus vor, das erste in der Halbmillionenstadt. Wie viele andere Städte wollte man damit das ausufernde Wildparken der Radler um die Station eindämmen, das immer mehr zu einem Problem v. a. für Fußgänger, aber auch für die Rettungskräfte wurde. Außerdem galt es, den Haltern immer hochpreisigerer Drahtesel ein Angebot zu machen, diese für eine geringe Gebühr sicher und trocken unterstellen zu können.

Experimentieren mit dem noch neuen Bautyp

Das noch recht junge ortsansässige Büro SRAP Sedlak Rissland Architekten Partnerschaft bewarb sich mit einem Vorschlag samt Kalkulation und bekam daraufhin den Auftrag für das Projekt. Vorbilder für den Bautyp gibt es inzwischen viele, allein in Nordrhein-Westfalen existieren bereits an die 100 »Radhäuser«. Anders als etwa in den Niederlanden, wo die Bahn selbst die Infrastruktur vieler »Bike & Ride«-Angebote steuert (immerhin kommen 46 % ihrer Kundschaft mit dem Rad), fängt man bei uns vielerorts ständig neu an zu planen. Das ist schön für die Planenden, doch vielleicht nicht immer die effizienteste Herangehensweise. »Allein die Raster der Einzel- und Doppelstockparker bilden eine verbindliche Vorgabe«, sagt Architekt Robert Sedlak.

Der Abstand der beiden Bahnhofstunnels beschränkte die Länge des Bauwerks auf 112 m. Die Höhe des Bahndamms, dem man sich unterzuordnen hatte, schloss eine mehrgeschossige Anlage aus. Am Ende der Überlegungen stand also ein streng lineares einstöckiges Raumkonzept: 6 m breit, 3 m hoch, bietet die Stange mit einer Kombination aus Einzel- und Doppelparkern 399 Stellplätze, darunter auch Plätze für Lastenräder und zwei Servicecontainer sowie Reparaturmöglichkeiten.

Filigrane Platzfassade mit Moiré-Effekt

Den Bahndamm im Rücken, orientiert sich das Gebäude ganz auf den Platz nach Südsüdost. Die Architekten lösten diese einzige Fassade ihres »Fahrradspeichers« in eine prägnante, gut wiedererkennbare Stahlstruktur auf, die sich aber nicht aufdrängt. Motivisch macht sie Anleihen bei der typischen Speichenstruktur eines Fahrrads: Hinter den senkrechten Rundstählen folgt innen eine zweite Reihe gleichartiger, doch schräg stehender Streben.

Da die senkrechten Stäbe im Abstand planmäßig zwischen 30 und 45 cm variieren, wandern die Überschneidungen der zwei Stützenreihen in einer Sinuskurve auf und ab. So entsteht – zumindest bei entsprechendem Lichteinfall – ein reizvoller Moiré-Effekt, der die lange gleichförmige Front belebt. Gleichwohl wird das Gebäude als ruhige Raumkante im naheliegenden Stil etwa eines Bahnsteigs wahrgenommen. Wer seinen besonderen Zweck nicht kennt, könnte daran vorbeifahren, ohne es bewusst wahrzunehmen.

Leichte elementierte Stahlkonstruktion

Wenn es nach den Architekten gegangen wäre, hätten sich an den Stäben auch von außen Fahrräder anschließen lassen. Bei den zwei Fassadenschichten sollte es jedoch nicht bleiben: Die auch schlüssig um die Ecke gezogene Gitterstruktur gewährleistete zwar den gewünschten Diebstahlschutz, doch die Stadt Nürnberg als Bauherrin wollte offenbar mehr Kunden im statt am Gebäude sehen und verlangte als Finish das engmaschige Drahtgeflecht aus Edelstahl, das dieses kostenlose Anketten unterbindet. Da kannte sie offenbar ihre Bürger recht gut. Doch davon später.

Statischen Halt in Querrichtung geben dem Quader die in der betonierten Bodenplatte im Abstand von 5,50 m eingespannten Stahlstützen auf der Rückseite. Auf diesen rechteckigen Hohlprofilen sind Deckenträger mit Doppel-T-Querschnitt aufgelegt und verschraubt. Sie kragen ein ganzes Stück über die ebenfalls tragende Platzfassade hinaus und werden dort von weißen Blechpaneelen verhüllt. Das gibt der Fassade Plastizität und Tiefe und sorgt zugleich für den nötigen Sonnenschutz.
Im Inneren ist es durch das indirekt einfallende Sonnenlicht angenehm hell ohne Blendeffekte. Außen unmittelbar am Gebäude wären auch Sitzgelegenheiten denkbar. Allerdings wurden im Rahmen der Platzgestaltung recht wuchtige Holzbänke von der Fassade abgerückt aufgestellt. So dient die geschützte Zone entlang der filigranen Front eben als trockener Fußweg zwischen drinnen und draußen.

Hinter der eingerückten Aufkantung, auf den tragenden Trapezblechplatten, ist das Dach extensiv begrünt. Die weiße Lackierung mag für die Stahlteile eine etwas empfindliche Wahl sein, doch blieb die Struktur bislang von Vandalismus verschont. Nur etwas Rost und Staub sind schon zu sehen.

Zugänge gibt es an den Stirnseiten des Baus, zusätzlich einen in der Mitte – sonst wären die Wege gar zu lang. Leider konterkarieren die wuchtigen Zugangsticketautomaten die Leichtigkeit der Konstruktion ein wenig. Doch ohne Magnetkarte bleibt das Gebäude verschlossen. Für 70 Cent am Tag (oder 7 Euro im Monat bzw. 70 im Jahr) lässt einen die Schleuse mit dem Drahtesel passieren, ein fairer, durchaus üblicher Preis. Dank Automatik ist die Anlage rund um die Uhr zugänglich, LED-Lichtbänder für den Nachtbetrieb sind in die Decke eingelassen. Videokameras ersetzen den Hausmeister. Den Betrieb organisieren hier die städtischen Verkehrs- und Parkhausbetriebe.

Fremdeln mit dem neuen Angebot

Auch wenn die Technik offenbar schnell und zuverlässig funktioniert, wird der im September 2020 eröffnete Fahrradspeicher bislang erst zögerlich angenommen. Kaum zu einem Viertel voll waren die – übrigens einigermaßen übungsbedürftigen – Parkgestelle an einem normalen Werktag im November. Die Presse schreibt bereits, das alles in allem 1,5 Mio. Euro teure Parkhaus sei ein »Flop«. Denn draußen stehen indes viele Räder wie eh und je an Bäumen und Laternen.

Doch dieses anfängliche Fremdeln mit der ein wenig umständlicheren Art der Aufbewahrung ist aus anderen Städten bekannt. Sogar die Niederländer müssen für die Stationen mit dem Slogan werben: »Dein Rad will nichts anderes mehr«. Die Architekten selbst jedenfalls bekamen schon die Anfrage aus der Nachbarstadt, eine weitere, ebenso robuste wie elegante Anlage dieser Art zu planen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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