Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 2022|04
Recycelt
db deutsche bauzeitung 2022|04

Einladung zum Experimentieren

Lehrgebäude der Architekturschule in Aarhus (DK)

Industrielle Anmutung, flexible Räume: Die neue ‧Architekturschule in Aarhus will kein Werk, sondern eine Werkstatt sein. Sie fügt sich unaufdringlich in ihre Umgebung ein und lässt vielfältige Nutzungsmöglichkeiten zu. Sinnvoll und kreativ sind recycelte Materialien und Möbel in das Gebäude integriert. Die neue Architekturschule in Aarhus will kein Werk, sondern eine Werkstatt sein. Sinnvoll sind recycelte Materialien und Möbel in das Gebäude integriert.

26. April 2022 - Julia Wäschenbach
Wer sich entlang der stillgelegten Gleise am alten Güterbahnhof im dänischen Aarhus bewegt, trifft auf eine vibrierende Oase kreativen Schaffens, auf Ateliers in kleinen Containern, improvisierte Cafés, eine Fahrradwerkstatt und – die 2021 fertiggestellte Architekturschule NEW AARCH des Kopenhagener Büros ADEPT. Der stufenförmig angelegte, umgerechnet rund 38,5 Mio. Euro teure Neubau erstreckt sich über vier ‧Etagen auf insgesamt 12 500 m² und entsteht scheinbar fließend aus seinem Umfeld heraus, anstatt aus ihm herauszustechen.

Die Fassade besteht aus rohem Beton und zu einem großen Teil aus Glas, das im EG am transparentesten ist und in den oberen Etagen 60 % des Wärmeeintrags abhalten kann, um ein optimales Innenklima zu schaffen. Transparenz ist auch im Inneren der rote Faden, der sich durch das Gebäude zieht und die Architektur mit ihrer Umwelt verbindet.

Sichtbar geführt

Hier setzt sich die industrielle Atmosphäre des Baus fort, der auch ein Lehrstück für die angehenden Architekten ist. »Alle Installationen sind offen geführt«, erklärt Martin Krogh, zuständiger Architekt des Projekts und Mitgründer des Büros ADEPT. »Die Studenten können daran im Prinzip ablesen, wie man ein Haus bauen kann.« Während die Elektrik und die Heiz- und Lüftungssysteme ansonsten üblicherweise kaschiert werden, kann man hier den Leitungen von der Steckdose aus auf ihrem Weg die Wand hoch folgen.

Im Eingangsbereich schafft eine große Fensterfläche eine Verbindung zwischen der Cafeteria und einer der Werkstätten. Die Verglasungen sind so dick, dass man zwar sehen, aber nicht hören kann, wie auf der anderen Seite gearbeitet wird – ein surreales Gefühl. Wie im Neubau war der Pausen- und Essbereich auch schon das Herzstück der alten Architekturschule, erzählt Martin Krogh, für den das Projekt auch ein sehr persönliches ist. Er hat selbst an der Hochschule studiert, die früher fast das Doppelte an Fläche auf insgesamt zehn Standorte in der Stadt verteilt umfasste.

Aufgabe des Büros ADEPT, das nach gewonnenem Wettbewerb 2017 mit der Realisierung beauftragt worden waren, war es u. a., Synergien zu schaffen, einen Ort, an dem die 600 Studierenden einander begegnen und voneinander lernen und einander inspirieren können, einen »Inkubator für architektonische Experimente«. Nach Einschätzung vieler Studierender ist dies gelungen.

Werkstattcharakter als DNA

»Das Gebäude versucht nicht, eine Ikone zu sein. Wir wollten kein Projekt, das v. a. zeigen soll, was wir als Architekten alles können«, sagt Krogh. Die DNA der Schule, meint der Architekt, sei deren Werkstattcharakter. So sollte das neue Gebäude eine Art Labor, ein Raum zum Experimentieren sein, den sich Studierende und Lehrende ein Stück weit auch selbst erschließen. So haben nicht alle Räume einen vorgegebenen Zweck, und noch wichtiger: Raumfunktionen lassen sich bei Bedarf auch schnell wieder ändern. »Am nachhaltigsten ist ein Gebäude, wenn es lange Zeit stehen bleiben und seinen Zweck verändern kann«, meint Krogh, der schon bei früheren Projekten den Fokus insbesondere auf die Nachhaltigkeit richtete.

NEW AARCH ist ein Raum voller kleiner und großer Räume mit z. T. flexiblen Grenzen. Die langen, offenen Zeichensäle liegen in den drei oberen Etagen an den Längsseiten des Gebäudes, in der Mitte die Treppen, über die man sich durch das Haus bewegt, und einige der »unprogrammierten Räume«, wie Architekt Krogh sie nennt. Noch haben die Studierenden nicht alle dieser »leeren Leinwände« nach ihren Vorstellungen mit Leben gefüllt: ‧Einiges ist noch im Entstehen, so mancher Raum muss seine Bestimmung erst noch erhalten. In manchen stehen bislang nur ein paar Stühle herum.

Die Werkstätten hingegen brummen vor Geschäftigkeit. »Jedes Mal, wenn man hier reinkommt, sieht es anders aus«, sagt ein Studierender. Man sieht dem industriell anmutenden Gebäude an, dass es genutzt wird, dass hier Theorie und praktisches Lernen unausweichlich eng verknüpft werden. Wie schon bei der Außenhülle drängt sich die Gestaltung der Innenräume nicht auf und kommt mit wenigen Materialien aus: Rohe Beton- und Holzwände sowie großflächige Verglasungen bilden den minimalistischen Rahmen für die Laborräume, in denen Holz und andere Baumaterialien herumliegen und den lebendigen Werkstattcharakter des Hauses unterstreichen.

Ressourcenschonende Ansätze

In einem 11 m hohen Mock-up-Saal, an dessen Seite sich ein riesiges Rolltor als Verbindung nach draußen befindet, können Studierende große Modelle aufbauen. Auf den verschiedenen Dachterrassen des gestaffelten Bauvolumens geht das Experimentieren weiter. Auch hier an der frischen Luft können die angehenden Architekten den Platz nutzen, um sich auszuprobieren. So ist etwa eine Bar aus Holz entstanden.

Der außen wie innen minimalistische Charakter des Gebäudes ‧trug zu einem relativ sparsamen Umgang mit Ressourcen bei. Dem zum Trotz sahen sich die Architekten gezwungen, auch für viele der Innenwände Beton zu nutzen, um die Lautstärke aus den Werkstätten zu dämpfen und den Studierenden in den anderen Räumen ein konzentriertes Lernen und Arbeiten zu ermöglichen. Neben den schalltechnischen Anforderungen sei die Nutzung von Beton auch den großen Spannweiten geschuldet, die zur Realisierung der flexiblen Räume nötig waren, erklärt Martin Krogh. Dabei kam so viel recycelter Beton, wie es innerhalb der dänischen Gesetzgebung möglich war (5-10 %), zum Einsatz.

Kreativ ging das Kopenhagener Architekturbüro mit dem Thema Recycling bei der Inneneinrichtung um. Für die Kantine im Eingang der Schule wurden zahlreiche PH-Lampen und Børge Mogensens ikonische Stühle »Folkestole« von den Standorten der alten Architekturschule zusammengetragen. In einigen Werkstätten bestehen die Böden aus upgecyceltem Holz von Resten der industriellen Fensterproduktion im dänischen Jütland. Für Teile der großen Bibliothek, die sich über mehrere Etagen des Gebäudes erstreckt, haben die eigens dafür beauftragten Architekten des Büros Praksis Arkitekter das Regalsystem eines alten Wirtschaftsarchivs wiederverwertet. Neben dem Konzept der Co-Creation wurde laut ADEPT auch auf lokale Produktionsstätten und kurze Transportwege Wert gelegt. Ohne Frage ist NEW AARCH ein pulsierendes Gebäude, das zum Experimentieren einlädt und kreative Synergien befördern kann. Dieser Werkstattansatz ist nicht nur gelungen, sondern auch sehr sinnvoll, da Architekturstudierende ein lebendiges Labor, um ihre Ideen ausprobieren zu können, bestens gebrauchen können – viel mehr als ein Vorbild in Form eines ikonischen Gebäudes. Der minimalistische und rohe Look schaffen darüber hinaus auf elegante Art Möglichkeiten der Materialreduzierung.

Was allerdings die Menge des verbauten Betons angeht, hätte der Neubau einer Architektur-Hochschule durchaus bestehende Standards mutiger herausfordern dürfen und dadurch sparsamer ausfallen können. Schließlich sollen kommende Generationen von Architekten hier nicht zuletzt lernen, wie sich die Zukunft nachhaltig gestalten lässt.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: