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db deutsche bauzeitung 2022|11
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Vorhang auf!

Wohn- und Geschäftskomplex in München

Ein feines Entree zu dem Neubauquartier an der Paul-Gerhardt-Allee im Münchner Westen: Der 2021 fertiggestellte Wohn- und Geschäftskomplex von allmannwappner besticht durch abwechslungsreiche Fassadenbilder dank beweglicher Metallvorhänge.

7. November 2022 - Klaus Meyer
In dem unscheinbaren Giebelhaus an der Berduxstraße werden anfangs brave Familien gewohnt haben, doch seit vielen Jahren dient der 50er-Jahre-Bau nun schon als Bordell. Damit Freier die schäbige Hütte als ihren Traumpalast identifizieren können, prangt ein roter Neonschriftzug an der Einfahrt, der praktisch zu jeder Tages- und Nachtzeit die frohe Botschaft »Geöffnet« verkündet. Der Puff (der übrigens bis zu ihrem Tod im Jahre 2016 von der Schauspielerin Margit Geissler betrieben wurde) ist das bizarrste, aber nicht das letzte Relikt aus der wilden Zeit des Gleisdreiecks im Münchner Westen. Es gibt auch noch den »ReifenMann«, eine hinter Zaun, Buschwerk und Reklametafeln verborgene Münchner Institution. Auf dem Rest des 33 ha großen Areals entsteht seit einigen Jahren etwas vollkommen Neues.

Das Gelände liegt zwischen Paul-Gerhardt-Allee, Bärmannstraße und zwei Bahntrassen im Stadtteil Pasing-Obermenzing. Vor hundert Jahren durchquerte die Haupttrasse in ihrem Verlauf von München nach Pasing noch Äcker und Kuhweiden. Später errichtete die Bahn Lagerhallen und Werkstätten auf dem Gleisdreieck, doch seit der Bahnprivatisierung in den 90er-Jahren wurden die Gebäude nach und nach von privaten Gewerbetreibenden wie dem »ReifenMann« in Beschlag genommen. Als eine der letzten »zentralen« Bahnflächen rückte das Areal vor rund zehn Jahren in den Fokus der Münchner Stadtplaner: Aus dem wilden Gewerbepark sollte ein schmuckes Wohnquartier mit Grundschule, Sporthalle, Kindertageseinrichtungen, Geschäften, öffentlichen Grünflächen und rund 5 500 Wohneinheiten werden.

Ein exponierter Platz

Im Jahr 2012 gewann das Münchner Büro Palais Mai Architekten zusammen mit Lohrer Hochrein Landschaftsarchitekten den städtebaulichen und landschaftsplanerischen Ideenwettbewerb für das gesamte Neubauquartier. Der Masterplan sah polygonale Wohnhöfe vor, die die Geometrie des angrenzenden Gleisdreiecks aufnehmen. Einen der zwei geplanten Stadtplätze positionierten die Architekten im Inneren des Areals; der andere lag am westlichen Entree des neuen Stadtviertels – an der Kreuzung von Paul-Gerhardt-Allee und Hermine-von-Parish-Straße. Auf dem exponierten Grundstück sollte auch ein Wohnkomplex mit integrierten Geschäften entstehen. Den 2016 durchgeführten Realisierungswettbewerb für das stadträumlich wichtige Nahversorgungszentrum mit vorgelagertem Platz gewann das Münchner Architekturbüro Allmann Sattler Wappner (das seit 2021 als allmannwappner firmiert) zusammen mit dem ebenfalls in München ansässigen Büro realgrün Landschaftsarchitekten.

2021 wurden Gebäude und Platz fertiggestellt. Der Neubau erhebt sich auf einem unregelmäßig zugeschnittenen Baufeld und präsentiert sich als ein Komplex aus polygonalem Sockelgeschoss und drei aufgesetzten Baukörpern unterschiedlicher Form und Höhe. Die Sockelzone beherbergt Supermärkte, Fachgeschäfte und Dienstleistungseinrichtungen, die über eine gemeinsame Eingangshalle oder direkt über den Quartiersplatz erschlossen werden. Im Grundriss bildet der Sockel ein konkaves Sechseck, das den südlich vorgelagerten Quartiersplatz einfasst. Auf seiner Dachfläche – und somit getrennt von den gewerblichen bzw. öffentlichen Bereichen – liegen die Eingänge zu den 160 Wohneinheiten, die sich auf die drei aufgesetzten Gebäudeteile verteilen. Der höchste der drei Wohntürme fußt auf einer fünfeckigen Grundfläche und ragt um neun Geschosse auf. Aufgrund seiner Höhe, aber auch wegen seiner Position an der Schnittstelle von Paul-Gerhardt-Allee und Hermine-von-Parish-Straße markiert dieser Baukörper sehr effektvoll den Eingang zum neuen Viertel. Ergänzt wird das Turmtrio durch einen viergeschossigen Bau mit trapezförmiger Grundfläche an der Paul-Gerhardt-Allee und einen sechsgeschossigen Quader, der den Komplex zur östlich angrenzenden Grundschule abschließt.

Eine Piazza auf dem Dach

Wer den Gebäudekomplex lediglich von der Straße oder vom Vorplatz aus betrachtet, dem entgeht ein wesentlicher Aspekt des Entwurfs. Gemeint ist die Dachfläche des Sockelgeschosses, zu der eine halböffentliche Außentreppe hinaufführt. Zwischen den drei Wohnhäusern erstreckt sich hier ein vortrefflich gestalteter Dachgarten, der mit seinen Pflanzeninseln, Gehwegen, Ruhebänken und Spielflächen wie ein kleiner Park wirkt. Sogar einen Hügel gibt es. Im Inneren dieser ebenfalls polygonal zugeschnittenen Erhebung sind u. a. die Pausenräume des Ladenpersonals untergebracht. Zu dem Hochplateau, das mit weiteren Bänken, Rabatten und einem Sonnendeck aufwartet, windet sich ein von Ranken umsäumter Fußweg empor.

Natürlich ist der Garten, der sämtlichen Bewohnern offensteht, in erster Linie ein Begegnungs- und Erholungsraum. Aber er funktioniert auch wie ein Dorfplatz, der die umstehenden Gebäude zusammenhält und so etwas wie eine kommunale Identität stiftet. Ganz und gar nicht unwichtig für die Gesamtwirkung dieser grünen Piazza ist im Übrigen die umlaufende Pergola, die dem Ganzen eine schöne räumliche Fassung gibt.

Neben der Komposition der Volumina und der Anlage des Belvedere ist es v. a. die Fassadengestaltung, die den ästhetischen Reiz des Ensembles ausmacht. Das Besondere daran ist die zarte Ziehharmonikastruktur, gebildet aus Zackenprofilblechen und gefalteten Wandelementen, die das ansonsten streng gerasterte Erscheinungsbild auf elegante Weise dynamisiert.

Eine Hülle aus Blech

Ursprünglich sollte das strukturbildende Stahlbetonraster aus Lisenen und Geschossdecken verputzt werden. Auf Vorschlag des ausführenden Fenster- und Fassadenspezialisten entschied man sich am Ende für Blechbekleidungen. Die vortretenden Deckenkanten wurden umlaufend mit 2 mm dicken, weiß beschichteten Aluminiumblechstreifen bekleidet, die von einer hinterlüfteten Aluminiumkonstruktion gehalten werden. Den Betonstützen wiederum wurden M-förmige Aluminiumblechprofile vorgehängt. Und auch bei der Ausfachung des Rasters spielt Aluminiumblech die Hauptrolle. Zum Einsatz kamen perforierte Wandelemente aus gefaltetem Metall, die mal fest montiert und mal beweglich aufgehängt sind. Es sind diese halbtransparenten Vorhänge, die wesentlich dazu beitragen, Leben und Abwechslung in das Fassadenbild zu bringen.

Rasterfelder mit geschlossenen Metallverkleidungen finden sich z. B. vor fensterlosen Wohnungsaußenwänden oder im Bereich der Treppenhäuser. Öffnen lassen sich die Faltvorhänge dagegen dort, wo sie tatsächlich Fenster abschirmen. Ursprünglich war eine Öffnung über die gesamte Breite des jeweiligen Rasterfeldes vorgesehen, doch diese Idee erwies sich letztlich als technisch sehr aufwendig und wurde aus Kostengründen verworfen. »Auf- und zuziehen« lassen sich die Vorhänge nun lediglich in Fensterbreite. Muskelkraft bedarf es dazu nicht. Der elektromotorische Betrieb der Faltelemente erfolgt auf Knopfdruck.

Ein weiteres prägendes Element der Fassaden sind die mit weißen Metallgeländern bestückten Loggien, die es in großer Zahl gibt, da jede Wohnung über solch einen geschützten Außenraum verfügt. Jede Loggia nimmt jeweils ein ganzes Rasterfeld ein. Insgesamt ergibt sich dadurch ein abwechslungsreiches Fassadenbild, das sich aus offenen, halb offenen und geschlossenen Flächen zusammensetzt. Aufgrund der beweglichen Partien der Außenhülle verändert sich das Bild oft, sodass die drei Wohntürme immer wieder etwas anders aussehen, je nachdem wann und aus welcher Blickrichtung man sie betrachtet. Variieren lässt sich natürlich auch der Ausblick aus den Wohnungen. Dabei ist festzuhalten, dass die perforierten Metallvorhänge die Aussicht kaum beeinträchtigen, dafür aber die Räume zuweilen in ein schönes, diffuses Licht tauchen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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