Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 2022|12
Redaktionslieblinge
db deutsche bauzeitung 2022|12

In sich ruhend

Heimschule des Therapiezentrums Osterhof in Baiersbronn

Es ist eine anspruchsvolle Bauaufgabe, für Kinder, deren erst kurzer Lebensweg bereits durch schwerwiegende Probleme belastet wurde, einen im wahrsten Sinne vertrauenerweckenden Ort des Lernens zu schaffen. Die ruhige und Halt bietende Architektur der neuen Heimschule des Osterhofs hat dafür die besten Voraussetzungen.

6. Dezember 2022 - Martin Höchst
Im oberen Murgtal, einer ländlich geprägten Region mit abwechslungsreicher Landschaft am Rand des Nationalparks Schwarzwald, finden sich viel Natur und Ruhe. Während die Bewohner heute weitgehend vom Tourismus leben, diente hier noch bis zum Zweiten Weltkrieg das reichlich vorhandene Holz und dessen Verarbeitung als Haupteinnahmequelle. Nicht von ungefähr sind rund um die Gemeinde Baiersbronn, die aus etlichen Teilorten besteht und für ihre Dichte von Spitzenrestaurants weithin bekannt ist, viele Holzbauten zu finden – historische, historisierende und Gebäude jüngeren Datums, wie auch die Anlage des Therapiezentrums Osterhof. Kinder zwischen drei und zwölf Jahren, die auf intensive heilpädagogische und psychotherapeutische Hilfe angewiesen sind, leben hier zusammen mit Pädagogen auf Zeit am Rand des Baiersbronner Ortsteils Klosterreichenbach, idyllisch gelegen entlang des Waldrands mit Blick auf die Auwiesen der Murg.

Bereits in den 60er Jahren hatte der Sozialpädagoge und Psychotherapeut Ulrich Schmid, der Gründer des »Therapiezentrums Osterhof«, die Vision eines »heilenden Lebensraums«. Dafür zog er mit seiner Familie 1965 in ein historisches Schwarzwaldhaus, den »Osterhof«, nutzte es für seine Zwecke um und realisierte ringsum über die Jahre weitere Gebäude: u. a. für therapeutische Wohngemeinschaften, für Mitarbeiterwohnungen und Gästeapartments besuchender Eltern, einen heilpädagogischen Kindergarten und ein Therapie- und Gemeinschaftshaus. Mittlerweile wird das Therapiezentrum vom Sohn des Gründers, dem Psychologen Martin Schmid, zusammen mit wiederum dessen Sohn Valentin Schmid, einem ausgebildeten Architekten, geleitet.

Bis zu zwei Jahre leben die Kinder im Alter zwischen im Osterhof, um danach möglichst wieder in ihre Familien reintegriert zu werden. Die meisten der schulpflichtigen Kinder gehen in öffentliche Schulen vor Ort. Zudem bietet das Therapiezentrum einige Schulplätze mit besonders intensiver pädagogischer Begleitung in der eigenen Heimschule an.

Diese hatte noch bis vor ein paar Jahren in einem alten Mühlengebäude an der Murg ihre Heimat, nur wenige Hundert Meter entfernt vom Osterhof. Anfängliche Überlegungen, das sanierungsbedürftige Gebäude durch einen grundlegenden Umbau an die heutigen Anforderungen einer zeitgemäßen sonderpädagogischen Schule anzupassen, wurden nach eingängiger Prüfung verworfen, die Errichtung eines Neubaus beschlossen und das ehemalige Mühlengebäude abgerissen.

Gestaltungsanspruch

Neben einem breit gefächerten Therapieangebot und dem Erleben der Natur gilt im Konzept des Osterhofs auch die Architektur als wichtige Komponente des angestrebten heilenden Lebensraums für Kinder. Und so wurde, obwohl behördlich nicht vorgegeben, dem Projekt ein eingeladener Wettbewerb unter fünf Architekturbüros mit Erfahrungen bei Bildungsbauten vorangestellt. Den Anforderungen der sensiblen Bauaufgabe am besten gerecht wurde, so das einstimmige Urteil der der Jury unter Vorsitz von Hans Klumpp (Mitinhaber von KLUMPP + KLUMPP, Stuttgart), der selbst aus Baiersbronn stammt, der Entwurf von Thomas Schröder Architekten aus Berlin.

Mit dem Entwurf von Thomas Schröder Architekten setzte sich ein poetischer Gestaltungsansatz durch, der sich an der traditionellen Bauweise des Schwarzwalds mit den großen, weit herabgezogenen Dachformen orientiert. Dies wirkt aber keineswegs nostalgisch, denn neben den regionalen Anklängen finden sich auch geradezu exotische Zitate, wie die kreisrunden Öffnungen der Loggien an den Giebelseiten zweier Querhäuser am Hauptgebäude. Neben geometrischen Überlegungen zur dadurch möglichst ungestörten Wahrnehmung der Giebeldreiecke verweist Thomas Kröger auf die positiv aufgeladene Symbolik, die der Kreis in der asiatischen Bautradition hat.

Nah an der Natur

Die von den Architekten angestrebte Formulierung einer geschützten Hofsituation mittels des neuen lang gestreckten Hauptbaus und eines Nebengebäudes funktioniert, da u. a. die Maßstäblichkeit eines erhaltenen eingeschossigen Bestandsgebäudes aufgenommen wurde. Doch anders als bei diesem steinernen Haus, das derzeit noch saniert wird und künftig als Lehrerwohnung dienen könnte, ist bei den beiden neuen Holzskelettbauten die Horizontale stärker betont: Ein auf Streifenfundamenten leicht vom Boden abgehobener umlaufender Umgang bildet zusammen mit dem darüber auskragenden Dach mit seiner ebenfalls umlaufenden Traufkante eine Art horizontale Fuge. Diese dient den Räumen im EG als regengeschützter Übergangsbereich zwischen drinnen und draußen. Das Haupthaus, dessen Struktur konsequent »spiegelsymmetrisch und dadurch für die Kinder leichter erfassbar« ist, wie Martin Schmid beim Rundgang erläutert, und eine gewisse Ruhe verströmt, schließt an seinen Stirnseiten mit zwei Querhäusern ab, die wiederum jeweils den Abmessungen des kleineren der beiden Neubauten entsprechen. Während Letzterer Nebenräume und einen nutzungsoffenen Saal beherbergt, finden sich im EG des Hauptbaus insgesamt sechs Klassenräume jeweils mit angeschlossenem Nebenraum, z. B. zur Befriedung eines gestörten Unterrichts, ihren Platz. Die Klassenräume wurden an den vom Hof abgewandten Seiten angesiedelt und holen gewissermaßen mittels großflächiger, vertikal gegliederter Verglasungen die Natur herein. Von jedem Klassenraum aus lässt sich der Umgang und bald auch der noch umzugestaltende Freibereich mit Schulgarten und grünem Klassenzimmer betreten. Trotz der großzügigen Öffnung nach draußen vermitteln die Klassenräume dank niederer geschlossener Brüstungen und einem hohen Anteil an Holzoberflächen Geborgenheit. Auf die möglichst unauffällige Integration notwendiger technischer Komponenten wurde viel Sorgfalt verwendet. Die Belüftung der Räume erfolgt über Lüftungslamellen im oberen Bereich der EG-Fassade, was im Sommer auch eine nächtliche Temperaturabsenkung ermöglicht. Die Raumtemperierung in der kalten Jahreszeit übernimmt eine Luftwärmepumpe.

Von der zweigeschossigen Eingangshalle, die sich auch für kleine Schulveranstaltungen eignet, geht es über eines der beiden abgeschlossenen Treppenhäuser oder einen Fahrstuhl zu zwei Fachräumen und dem Bereich der Schulmitarbeiterinnen und -mitarbeiter im DG. Der Werkraum und der derzeit u. a. zum Theaterspielen genutzte zweite Fachraum nehmen jeweils das komplette Dach eines Querhauses ein und bieten an beiden Stirnseiten durch die Überlagerung der verschiedenen Öffnungsformen von Fenstern und Loggien Ausblicke, die fantastisch und fokussiert zugleich wirken.

Dass die Heimschule als Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung (SBBZ ESENT) noch mehr Vorgaben und Förderrichtlinien als ein konventioneller Schulbau unterliegt, sieht man dem Ergebnis nicht an. Im Gegenteil!

Die monochrome graugrünliche Farbgestaltung der Holzfassaden- und der Blechdachdeckung unterstreicht die Eigenständigkeit des Sonderbausteins in Abgrenzung zu den Hotels und Wohnhäusern in Sichtweite und verweist zugleich auf die Farbigkeit der umgebenden Natur. Die durchgängig harmonische Farbigkeit der unterschiedlichsten Oberflächen erforderte sehr viel Abstimmungsarbeit von Bauherrschaft und Architekten und unzählige Probeanstriche. Doch diese Mühe hat sich gelohnt: Die Monochromie und eine abstrahierende Detaillierung lassen aus der Heimschule eine in sich ruhende archetypische Architektur werden, der durchaus, wie es Thomas Kröger mit dem Entwurf anstrebte, »etwas Märchenhaftes« innewohnt.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: