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db deutsche bauzeitung 2023|04
Ingenieurbaukunst Holz
db deutsche bauzeitung 2023|04

Raffinierte Schatulle

Showroom in Bad Schönborn

Die Entwicklung des Holzbaus vom Stab zur Platte und darüber hinaus bringt es mit sich, dass selbst Ingenieurholzbauten nicht mehr auf den ersten Blick als solche zu erkennen sind. Beim Showroom des Möbelherstellers ophelis lernten die Planer sogar bewusst vom Betonbau, tragwerkstechnisch wie formal: Es gibt wunderbar runde Ecken und eine dank »wilder« Spanten zweiachsig gespannte Brettsperrholzdecke.

4. April 2023 - Christoph Gunßer
»Unser Bauherr wollte eine Holzhalle mit möglichst wenigen Stützen. Da landet man schnell beim Fachwerkbau«, erzählt Architekt Jens Ludloff. »Doch dessen Träger geben dem Raum immer eine Richtung, die bei der Präsentation der Möbel gestört hätte.« Diese stehen hier nämlich frei gruppiert im Raum: Regale, Stellwände, Tische und Sitzmöbel bilden »Inseln«, die ein Eigenleben entfalten sollen.

So entstand die Idee der Baumstützen, die eine aus Brettsperrholztafeln gefügte Decke tragen. Obwohl diese Tafeln kreuzweise verleimt sind, dürfen sie jedoch nach DIN nur einachsig gespannt verbaut werden.

Um dem Raum damit nicht abermals eine Richtung geben zu müssen, entwickelten die Ludloffs gemeinsam mit dem Tragwerksplaner Andreas Külich eine ebenso raffinierte wie simpel aussehende Form der Unterspannung, welche die Platten erstmals längs wie quer tragfähig macht.

Schraubpressverleimte, 8 cm schmale Brettschichtholzlamellen steifen die Deckenplatte aus, die so lediglich 16 cm stark sein kann. Sie wird quasi zu einer Serie aus kreuz und quer verlaufenden Plattenbalken. Die Spanten folgen dabei in ihrer Anordnung etwa dem Kräfteverlauf in der Platte, sind aber so dimensioniert, dass es »kein Problem ist, sie in einem etwas wilderen Muster drunterzukleben«, wie sich Jens Ludloff ausdrückt. Wo die Momentenlinie auf null fällt, liegen die Stöße der bis zu 15 m langen Platten.

Schlanke Stämme, wildes Blätterwerk

Rein ästhetisch stößt sich der Purist hier etwas an dem Gegensatz von disziplinierten Baumstützen und »wilden« Spanten. Die lassen sich zwar als Blätterwerk deuten, sehen aber gerade in der Schrägsicht wirklich chaotisch und auch etwas grob aus, da sie alle unabhängig von der Länge gleich hoch sind. Erst beim direkten Blick nach oben erschließt sich in dem Hin und Her eine gewisse strahlenförmige Ordnung.

Jens Ludloff ist ordentlicher Professor für Baukonstruktion an der Uni Stuttgart. Ihm liegt das materialübergreifende »Querdenken«, wie er es nennt, und er lernte in diesem Fall vom Betonbau, bei dem Plattenbalken ja häufig vorkommen, wenn auch nicht kreuz und quer. Dass sein Werk hier am Ende eine spielerische Note bekommen hat, schmälert die wie gewünscht richtungslose und auf jeden Fall extrem materialeffiziente Lösung nicht.

Verpackt und zugleich gestützt wird dieses formschöne, aber in sich noch nicht stabile Raum-Tragwerk von einer tragenden Außenhülle. Statisch besteht sie aus einem Kranz eingespannter Stützen im Format 8/20 cm, auch sie aus Brettschichtholz. Da dieser recht eng getaktete Kranz bis über die halbe Höhe (ca. 3 m) von einer Stülpschalung beziehungsweise innen von lasierten Dachlatten bekleidet ist, trägt er einen Teil der Deckenlasten und steift die gesamte Konstruktion aus.

Aus Beton ist hier lediglich die Bodenplatte. Trotzdem umkurvt diese Außenhaut die 910 m² große Halle so elegant organisch, dass einem sogleich Hugo Häring mit seinen Rundungen wie z. B. beim Gut Garkau in den Sinn kommt. Schon der Zugang über eine enge Rampe macht es spannend, bis sich der Schneckengang zur Halle weitet. Sehr gelungen ist hier die in die zweite Leitwand integrierte Garderobe.
Dahinter liegt der größte der insgesamt drei angegliederten Konferenzräume. Um ihn, der als einziger mit zum Hallenvolumen gehört, stützenfrei zu gestalten, ließen die Planer die eigentlich hier nötige achte Stütze weg und legten die Deckenplatte auf die Saalwand auf. Folglich wäre das »Blätterwerk« an dieser Stelle überflüssig. Um der Einheitlichkeit willen beließ man es und hängte ‧eine leichte Lichtdecke darunter ab.

Daneben docken in einem niedrigeren Quader weitere Räume für Meetings samt Küche und Toiletten an, doch liegen sie auf der Rückseite und zum betongrauen Altbau der Verwaltung hin ausgerichtet. Die Hauptansichten stört das untergeordnete Volumen nicht.

Ausnahmeerscheinung im Gewerbegebiet

Sehr ruhig und nobel bieten sich die übrigen Fassaden des trotz seiner rund 40 m im Karree unscheinbaren Baukörpers dar: Wie eine Schatulle wirkt er, deren flacher Deckel schmal auf einem umlaufenden Oberlicht aus Polycarbonat-Stegplatten ruht. Dass hinter dem Fensterband ein Großteil der Deckenkonstruktion verborgen liegt, enthüllt erst die nächtliche Beleuchtung, die den oberen Bereich etwas weniger hell erscheinen lässt.

Die vertikale Stülpschalung der Fassade ist aus Lärche, geölt und mit Eisenoxid geschwärzt, weshalb erst bei wirklich näherem Hinsehen (was die sie flankierende Bepflanzung mit Gräsern verhindert) die Materialität deutlich wird. Die Verarbeitung, auch der blechernen Attika, könnte an manchen Stellen besser sein. Die Ludloffs durften von Berlin aus nur die Leistungsphasen 1–5 übernehmen.
An diesem ringsum wild mit Discountern und Gewerbebauten zugestellten Nichtort zwischen Heidelberg und Karlsruhe zählt aber letztlich nur die geschützte Binnenatmosphäre des Gebäudes – darum auch das opake, 6 cm dicke Polycarbonat weit oberhalb der Augenhöhe des Betrachters. Angenehmes, diffuses Tageslicht verbreitet es, das durchaus noch die unterschiedlichen Himmelsstimmungen, aber ansonsten nichts vom Umfeld erkennen lässt. Sechs runde Oberlichter lassen etwas Zenitallicht einfallen und beugen als Lüftungselemente zudem sommerlicher Überhitzung vor.

Das Gebäude hängt übrigens am Nahwärmenetz der Möbelfabrik, das per Bauteil-Aktivierung den Betonboden durchströmt. Sollte der Leichtbau sommers doch stärker aufheizen als erwünscht, lässt er sich auf diesem Wege auch kühlen.
Die zumeist matt-weiß lasierten Oberflächen an den Wänden der Halle kontrastieren mit erdigeren Farbtönen in den Abteilungen, die mit der jeweiligen Möblierung harmonieren sollen. Einfache Dachlatten auf Textilbespannung im Rund der Halle sowie feine vertikale Leistenelemente im Konferenzsaal sorgen für eine gedämpfte Akustik. Der zerklüftete Plafond der Deckenkonstruktion dürfte den Hall zusätzlich reduzieren.

Während bei Tage diese Zerklüftung durch das diffuse Rundumlicht gemildert wird, betonen abends direkt an den Kanten der Spanten angebrachte lineare Leuchtkörper deren Plastizität: »Schattig wie im echten Wald« nennt das Jens Ludloff. »Wir wollten keine einheitliche Lichtsoße wie im Büro.«

Und woher hat er den Hang zur stromlinienförmigen Moderne, die auch in anderen Werken des Büros deutlich wird? »In der Jugend war ich mal in Miami«, sagt er, »und Flugzeugkonstruktionen fand ich schon immer spannend.«

ausgeklügelt und vorgefertigt

Ganz up to date ist indes der Grad an Vorfertigung des Gebäudes. Die besonders in der Seitenansicht und bei 14 m Abstand voneinander außer‧ordentlich schlanken Pendelstützen kamen in je zwei Teilen, die wie Bumerangs aussahen, auf die Baustelle. Am Fußpunkt messen sie 8 x 12 und am Beugepunkt 12 x 26 cm.
Sind die nicht allzu dünn? Tragwerksplaner Andreas Külich beruhigt: »Oben an der Decke sind sie über große Stahlteller kraftschlüssig mit der Brettsperrholzplatte verbunden, sodass ein stabiles Dreieck entsteht, wie bei der Fachwerkbauweise.« Möglich war das auch, weil die Deckenplatte extrem dünn ist und die Dachbegrünung nur extensiv. Ingenieurwissen und Gestaltung, es greift eben alles ineinander.

Kein white cube, sondern ein stimmiger »atmosphärischer Hintergrund«, wie es Jens Ludloff ausdrückt, umgibt die Kollektionen. Dem 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zählenden Möbelhersteller ophelis, zuvor noch recht gediegen als Pfalzmöbel benannt, scheint der Showroom gutzutun. Vor Ort hört man nur sehr zufriedene Stimmen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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