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db deutsche bauzeitung 2023|08
Jung saniert Alt
db deutsche bauzeitung 2023|08

Neues Wohnen im alten Stall

Casa Boscaia in Castasegna (CH)

Jung und motiviert bringen Alder Clavuot Nunzi frischen Wind ins Bergell. Zwischen atemberaubender Alpenlandschaft und historischer Bündner Bausubstanz verorten sich die meisten ihrer Eingriffe in der Transformation alter Häuser. 2021 fertiggestellt, dient ein ehemaliger Doppelstall in Castasegna heute dem Wohnen einer jungen Familie.

1. August 2023 - Nele Rickmann
Matthias Alder, Silvana Clavuot und Alessandro Nunzi sind junge Architekt:innen, ausgebildet an der ETH Zürich und der Berner Fachhochschule. Sie engagieren sich für das Bauen abseits der bekannten Hotspots Zürich, Basel, Genf und tragen einen wichtigen Teil zur architektonischen Weitergestaltung ländlicher Strukturen bei. Direkt nach dem Studienabschluss gründeten sie 2013 das gemeinsame Architekturbüro in Soglio, einem kleinen Bergdorf im Bergell nahe der italienischen Grenze, das nicht umsonst zu einem der schönsten Dörfer der Schweiz gewählt wurde. Da Alessandro Nunzi dort aufgewachsen ist, ergaben sich von vornherein kleine Aufträge, mit denen sich das junge Büro ein Standbein bilden konnte. Nach nun 10 Jahren praktischer Tätigkeit lässt sich – neben den bekannten Stationen der Seilbahn Funivia Albigna (2016) – im Werkverzeichnis eine klare Tendenz erkennen: die für die Region typischen historischen Bauten umgestalten und weiternutzen. Eine Aufgabe, die Handwerklichkeit, Zurückhaltung und Durchhaltevermögen voraussetzt. Alder Clavuot Nunzi geht es als jungem Büro nicht darum, nach eigenen architektonischen Vorlieben Neubauten auf der grünen Wiese zu errichten, sondern Haltung im Umgang mit bestehender Substanz zu zeigen. Eine Auffassung, die sich vor allem auf dem starken Interesse am Handwerk und den dringenden Fragen nach einer nachhaltigen Entwicklung gründe, erklären die Architekt:innen.

Die Region Bergell im Schweizer Süd-Osten ist geprägt von den für den Kanton Graubünden typischen Wohnhäusern mit Steindächern, Ställen im hölzernen Strickbau und herrschaftlichen Palazzi. Es ist eine Region, die im Sommer über ihre Grenzen hinaus Tausende Touristen anzieht und im Winter in den Tiefschlaf fällt. In den kleinen Dorfstrukturen mit engen Gassen und vermoosten Dächern legt die Denkmalschutzbehörde besonderen Wert auf den Erhalt von Ortsbildern und Bausubstanz. Dass alte Strukturen geschützt werden müssen, sei unbestritten, aber eine Musealisierung des gegenwärtigen Zustands könne nicht die Lösung sein, so die jungen Planenden. Sie werden mit der Frage nach Umbau und Transformation vor Herausforderungen gestellt, mit denen sie im Studium an der ETH Zürich nur gering – wenn überhaupt – konfrontiert wurden. Das Bauen im Bestand sei damals noch kein großes Thema gewesen, erklärt Matthias Alder. Sie als Architekt:innen seien nach dem Abschluss ins kalte Wasser gesprungen und ihnen obliege nun die Aufgabe, die verschiedenen Pole – Denkmalschutz, Handwerk und Gestaltung – auszubalancieren.

Schichtung aus Alt und Neu

So auch beim Umbau eines Stalls, der dem für die Region typischen Konstruktionsprinzip folgt – gemauertes Sockelgeschoss im EG, ggf. Mauerpfeiler und Ausfachung mit vertikalen Holzbrettern im 1. OG und offener hölzerner Strickbau im 2. OG. Das Gebäude aus dem 17. Jahrhundert mit späterem Anbau haben Alder Clavuot Nunzi nun zu einem Wohnhaus, der Casa Boscaia, umgewandelt. Mit einer Nutzfläche von über 100 m² bietet dieses mit zwei Schlafzimmern, zwei Bädern, einem Gäste-/Arbeitsraum, einer offenen Wohnküche und einem Wohnzimmer sowie Eingangsbereich und Nebenräumen im gemauerten EG ausreichend Platz für eine Familie.

Einige Eingriffe von Alder Clavuot Nunzi lassen sich an der Fassade auf den ersten Blick klar ablesen. Neu hinzugefügte Öffnungen setzen sich in der Farbigkeit des frischen Fichtenholzes vom Bestand ab. Das wird besonders an dem langen Balkon im 2. OG an der Südfassade und an neuen Tür- und Fensteröffnungen deutlich. Bis auf einen weiteren Balkon aus Beton im 1. OG blieb die restliche Fassade allerdings im Großen und Ganzen unverändert. Um trotzdem Tageslicht ins Innere zu lassen, wurden im 1. OG einzelne vertikale Bretter der Ausfachung entfernt. Auf den zweiten Blick sieht man nun, dass sich hinter der alten Hülle eine eigene, neue Fassade verbirgt. Eine gestalterische Entscheidung, die aus den Anforderungen der neuen Nutzung und dem bestmöglichen Erhalt der ursprünglichen Erscheinung resultiert. Bei einem anderen Umbauprojekt, das sich im Nachbardorf noch im Bau befindet, treiben die Architekt:innen dieses Prinzip weiter, indem sie einen circa 30 cm breiten Abstand als großzügige Hinterlüftung zwischen altem Stall als Hülle und neuem Wohnkern lassen.

Dämmen mit Maß und Ziel

Die Wohnräume im 1. und 2. OG der Casa Boscaia, innen in Fichtenholz bekleidet oder an den Bestandsmauerpfeilern mit Dämmputz verputzt und mit neuem Estrichboden versehen, haben eine gemütliche Atmosphäre und entsprechen modernen Anforderungen. Für Stauraum ist ebenfalls durch schlichte Einbaumöbel aus Holz gesorgt. Auf den beiden oberen Geschossen wurde gedämmt, wohingegen das gemauerte EG mit Nebenräumen als Kaltraum erhalten blieb. Eine bewusste Entscheidung, das Haus weiterhin »atmen« zu lassen und, soweit vorhanden, im Erdreich zu belassen.

Schließlich müsse ein altes Gebäude nicht den Anforderungen eines Neubaus entsprechen und stattdessen vielmehr den Charakter des Bestands weitertragen, so Matthias Alder.

Besonders eindrucksvoll ist die durch die starke Hanglage auf allen drei Ebenen vorhandene Beziehung zum Außenraum. Im 1. OG bildet eine große Dachterrasse auf dem Anbau eine Erweiterung der Wohnküche und im 2. OG wurde ein Ausgang nach Norden ergänzt, der zum grünen Garten führt. Von hier aus hat man einen imposanten Blick auf das Dach, das in regionaltypischer Weise mit Steinplatten gedeckt ist. Davon sind 1/3 Bestand und 2/3 mussten neu hinzugefügt werden. Ein facettenreiches Farbenspiel aus Alt und Neu – aus unterschiedlich grau-braun und silbrig schimmernden Steinplatten – erstreckt sich über das ganze Dach.

Von der Casa Boscaia, die sich am Ortsrand Castasegnas befindet, eröffnen sich weite Ausblicke auf die gegenüberliegende Alpenlandschaft. Enge Nischen und Gassen des Dorfes in direkter Umgebung machen die kontrastreichen Eigenschaften des Grundstücks aus. Diese spiegeln sich auch im Haus wider, das von zurückgezogenen und offenen Bereichen mit Durch- und Ausblicken geprägt ist. Der Umbau der Casa Boscaia ist ein über die Grenzen des Bergell hinaus wichtiges Projekt: Es stärkt die ländliche Region, die allzu sehr vom Tourismus geprägt ist, und bringt bis dato unbenutzte, historische Baustrukturen mit Perspektive in die Zukunft.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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