Bauwerk

Wien Museum
WINKLER+RUCK, Ferdinand Certov - Wien (A) - 2023

Wien Museum: Dieser Beton schwebt nicht

Das neue Wien Museum wirft viele Fragen auf: warum an diesem Ort eine Box aus rohem Beton? Warum ein neues Foyer, das niemand braucht? Warum eine Kutsche, die einen Wal jagt? Die Antworten bleiben kryptisch. Über unscharfes Denken als baukünstlerisches Erfolgsrezept.

1. Dezember 2023 - Christian Kühn
Nach knapp fünf Jahren Exil öffnet das Wien Museum am Karlsplatz, frisch renoviert und erweitert, seine Räume fürs Publikum. Dem Architekturwettbewerb im Jahr 2015 waren intensive Diskussionen über den Standort und die Frage des Denkmalschutzes für das von Oswald Haerdtl entworfene Bestandsgebäude aus den 1950er-Jahren vorausgegangen. Vor allem in Kombination waren diese Fragen brisant. Dass der Karlsplatz ein optimaler Standort für ein Stadtmuseum ist, steht außer Frage. Ein Neubau hätte die Möglichkeit geboten, städtebaulich an die Aufgabe heranzugehen und gleichzeitig den Typus des Universalmuseums neu zu denken. Ob das auch unter der Vorgabe, Haerdtls mittelmäßigen Bestandsbau als Denkmal zu erhalten, gelingen könnte, war allerdings von Beginn an fraglich.

In der Einleitung zur Wettbewerbsausschreibung, gemeinsam verfasst vom „alten“ Direktor Wolfgang Kos und vom „neuen“ Direktor Matti Bunzl, fehlte es dennoch nicht an großen Erwartungen: „Keine Schatzkammer“, sondern eine „architektonische Vision“; ein „Labor der Zivilgesellschaft“; ein „Museum, das in der internationalen Museumswelt Vorbildwirkung hat“; eine „Wiener Sehenswürdigkeit der Top-Kategorie“. In der ersten Wettbewerbsstufe wurden 274 Projekte eingereicht, die sich im Spagat zwischen architektonischer Vision und Denkmalschutz versuchten. Die meisten Entwürfe lösten das Bestandsmuseum aus der Umklammerung mit dem später angebauten Nachbarn, der Winterthur-Versicherung, heraus und machten ihn dadurch wieder als Solitär auf Augenhöhe mit Künstlerhaus und Musikverein erlebbar.
Erweiterung des Bestands durch Zubauten und Aufstockung

Entscheidend war die Frage, wo die eingereichten Projekte die zusätzlich geforderten Volumina für die beinahe verdoppelten Ausstellungsflächen platzierten: in einem eigenständigen Baukörper vor dem Bestand mit unterirdischer Verbindung, wie es die Zweit- und Drittgereihten im Wettbewerb versuchten; als Verbindung von Alt und Neu zu einer neuen Gesamtfigur; oder als Erweiterung des Bestands durch Zubauten und Aufstockung. Bezüglich der letzteren Variante wird in der Ausschreibung angemerkt, dass „vonseiten des Bundesdenkmalamts eine Aufstockung oder ein weiterer Anbau an das Bestandsgebäude als nicht möglich erachtet wird“. Trotzdem konnte sich im Wettbewerb ein Projekt durchsetzen, das beides tat.

Das Projekt von Roland Winkler, Klaudia Ruck und Ferdinand Certov stockt den Bestand um zwei Geschoße auf und erweitert ihn um ein zusätzliches Foyer vor dem bestehenden Eingang. Im Modell sah das Projekt bestechend aus: ein kompakter Quader, durch ein verglastes Fugengeschoß getrennt über dem Bestand schwebend. Die innere Visualisierung des Quaders zeigte einen stützenfreien Raum mit einer Lichtdecke, ideal für Wechselausstellungen. Teile der Jury sahen in der scheinbaren Einfachheit eine Irreführung, vor allem angesichts des Versprechens, dass Alt- und Neubau sich nicht berühren, sondern die neuen Geschoße wie ein Pilz aus Stahlbeton aus dem bestehenden Hof wachsen würden. Die Jury blieb bis zum Schluss gespalten: Sechs der 15 Juroren stimmten gegen das Projekt.
Als hätte man dem Eingangsportal alle Zähne gezogen

Das Ergebnis, wie es heute am Karlsplatz zu sehen ist, hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Die schwebende Box ist eine starke Geste, die sicher Freunde finden wird. Fragt man die Architekten, warum sie an diesem Ort ausgerechnet mit rohem Sichtbeton arbeiten, ist die Antwort überraschend: Auch der Haerdtl-Bau sei ein schalraues Betonskelett, mit dem man in Dialog treten wollte. Aber ist das wirklich eine Begründung für eine brutalistische Box neben Karlskirche und Musikverein? Außerdem handelt es sich konstruktiv nicht um eine Konstruktion aus Stahlbeton, sondern um ein extrem aufwendiges Stahlfachwerk, das innen und außen mit Betonplatten verkleidet ist. Das mag bei oberflächlicher Betrachtung keinen Unterschied machen, fällt aber an der Unterkante der Box auf, wo das Stahltragwerk unangenehm, weil nicht zum Rhythmus der Haerdtl-Fassade passend, zum Vorschein kommt.

Ähnlich irritierend ist die Argumentation für das neue Foyer. Man muss hier angesichts der Entfernung der Eingangstüren von einer Zerstörung sprechen, als hätte man dem Eingangsportal alle Zähne gezogen und ihm einen Maulkorb verpasst. Auf die Frage, wozu es dieses Foyer braucht, geben die Architekten eine entwaffnende Antwort: Sie seien stolz darauf, einen Raum geschaffen zu haben, der seine Nutzung noch finden darf. Sollte ein zeitgemäßes Museum nicht vor allem aus Räumen mit solchem Aneignungspotenzial bestehen?
Zu viele unscharf gedachte Lösungen

Entsprechend durchdesignt ist das Innere des restlichen Museums. Sichtbeton in so überirdischer Qualität wie in der zentralen Halle findet man wohl in ganz Österreich nicht. Räumlich ist die Halle großes Theater mit schwebenden Exponaten, unter anderem einem Wal aus dem Wurstelprater, der vom Museum auf den Namen „Poldi“ getauft wurde. Hier darf er sich mit einer barocken Kutsche, Figuren aus dem Donner-Brunnen und Alfred Hrdlickas Holzpferd ein surrealistisches Wettrennen liefern. Neu eingefügte Treppen erlauben einen kontinuierlichen Rundgang durch die dicht präsentierte, chronologisch aufgebaute Dauerausstellung und in das Fugengeschoß mit großzügigem Kinderbereich, einem Saal für 300 Personen und einer Terrasse mit Blick auf die Karlskirche. Der Raum für Wechselausstellungen im obersten Geschoß ist zwar groß, aber schwer teilbar: Die Stahlkonstruktion macht sich hier mit zwei diagonal im Raum stehenden Elementen störend bemerkbar.

Internationale Vorbildwirkung wird das neue Wien Museum nicht entfalten. Trotz spürbarer Liebe zum Detail gibt es zu viele unscharf gedachte Lösungen, an die laufenden Diskurse um Ressourcenschonung und Angemessenheit der Mittel kann das Haus mit seiner unnötig komplizierten Konstruktion auch nicht anschließen. Keinesfalls sollte es denkmalpflegerisch zum Vorbild werden. Es wäre klüger gewesen, den Denkmalschutz für den Haerdtl-Bau aufzuheben und es den Planern zu überlassen, Teile des Bestands als Exponate zu erhalten. Statt Zerstörung mit Verstand zu betreiben, haben wir uns wieder an die Vergangenheit gebunden. Das Publikum wird sich daran nicht stoßen.

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