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Neue Wohnanlage in Kirchdorf in Tirol: Wo der Wilde Kaiser grüßt
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Wohnbau ist immer zugleich Städtebau – das gilt auch und besonders auf dem Land. Am Anfang der neuen Wohnanlage in Kirchdorf in Tirol stand ein Wettbewerb.

12. April 2024 - Isabella Marboe
Kirchdorf in Tirol hat einiges richtig gemacht. Die kleine Gemeinde mit knapp über 4000 Einwohnern ist erfreulich kompakt und hat ein eindeutiges Zentrum, die Häuser sind moderat dimensioniert. Zwei bis drei Geschoße, darüber die ortstypischen flachen Satteldächer. Der Dorfplatz beginnt bei der mittelalterlichen Pfarrkirche St. Stephan. Von dort zieht er sich die Straße nordostwärts weiter über das Gemeindeamt bis hin zu seinem gleichermaßen profanen Pendant schräg gegenüber. Dort gruppieren sich alle wesentlichen öffentlichen Einrichtungen, die eine Gemeinde am Leben halten, zu einem angenehmen, ruhigen Dorfplatz.

Der kleine Musikpavillon mit seiner ziehharmonikaartigen, akustisch wirksamen Dachstruktur ist straßenseitig Bushaltestelle, zum Platz hin eine Bühne. Einträchtig fassen der neue Kindergarten, der bestehende Turnsaal, die neue Volksschule und der alte Dorfsaal inklusive Heimatbühne reihum den Platz ein. So ein geglückter öffentlicher Ort fällt nicht vom Himmel, er ist Resultat eines Wettbewerbs, den Parc Architekten und Markus Fuchs gewonnen haben. Selbst das angrenzende Bächlein wurde dafür verlegt.

Kirchdorf liegt im Speckgürtel von Innsbruck, unweit von St. Johann, die Gemeinde ist entsprechend attraktiv, ihr Wohnbedarf sehr hoch. Einen Steinwurf vom Dorfplatz, gleich hinter der Volksschule, lag ein großer Baugrund brach. Insgesamt 13.000 Quadratmeter, eine signifikante Größe für so einen Ort. Im Nordosten schlängelt sich besagtes Bächlein um eine kleine Kapelle, auch im Südosten begrenzt die Großache das Grundstück, der Baugrund war entsprechend schlecht. „Bei so einem großen Bauvorhaben hat ein städtebaulicher Wettbewerb durchaus Sinn“, so Michael Wurzenrainer, Prokurist der sozialen Wohnbaugenossenschaft Frieden Tirol, die sich stark über Architekturqualität profiliert.

Ein Ort, an dem man plaudert

Ein Wettbewerb verursacht Mehrkosten, bei der Wohnbauförderung ist naturgemäß die dafür festgesetzte Kostenobergrenze des Landes Tirol einzuhalten, den Bedarf erhebt die Gemeinde. Die Frieden Tirol schloss sich mit der Alpenländischen Heimstätte zusammen, kaufte den Grund, schrieb gemeinsam mit der Gemeinde 2019 einen städtebaulichen Wettbewerb aus und kooperierte mit der Architektenkammer Tirol; elf Büros nahmen teil. Das Programm umfasste 115 Wohnungen und einen Jugendtreff.

Die Entscheidung der Jury erfolgte einstimmig: Das Projekt von Architekt Veit Pedit und dem Büro Burtscher Durig siegte. Danach erfolgte die Bauwidmung. Gemeinsam entwickelten sie eine Art abgeflachter, trapezförmiger Punkthäuser, die geschickt zwischen dem Maßstab der öffentlichen Bauten am Dorfplatz und den Einfamilienhäusern vermitteln. „Wir wollten keine Reihen oder Blöcke auf das Grundstück stellen, sondern Häuser schaffen, die in den örtlichen Maßstab passen“, erklärt Veit Pedit. Die neun dreigeschoßigen, frei stehenden Baukörper haben trapezförmige Grundrisse, die zwischen 16 und 23 Meter breit sowie 24 und 29 Meter lang sind, jeder ist ein wenig anders. Sie sind so gegeneinander verdreht, dass sich zwischen ihnen kleine Plätze und Wege bilden. Die Eingänge sind an einem Eck in die Häuser eingeschnitten, in diesem gedeckten Freiraum trifft jedes Haus auf Straße und Platz.

Die ersten drei Häuser sind fertig, sie wurden mit Wohnbaufördermitteln des Landes Tirol errichtet. Die Wohnungen waren in kürzester Zeit vergeben, am 17. Oktober 2023 erfolgte die Schlüsselübergabe. Die Stimmung ist gut, auf fast jeder Tür ist „Willkommen“ zu lesen, auf den Balkonen wird Wäsche getrocknet, auch Fahrradständer und Postkästen stehen im Außenfoyer unter Dach, zwischen den V-förmigen Stützen spannt sich eine Bank. Zwei pro Foyer plus Eingang, das macht einen Ort, an dem man plaudert.

Umsetzung innerhalb der Kostenobergrenze

Der Spielplatz für Kleinkinder ist dem Abenteuerspielplatz der Gemeinde keine Konkurrenz. Ein Mädchen schaukelt, das Weidenzelt wartet auf besseres Wetter, und am Bach liegen Findlinge in einem Kreis. Architekt und Bauleiter haben sie gebracht. Jede Wohnung bietet schöne Ausblicke. Den Gipfel des Wilden Kaisers sieht man fast von überall, das Kitzbüheler Horn oft, auch Kirchturm und Bach bieten einen malerischen Anblick, nicht zuletzt die gegenüberliegenden Häuser. Alle Dächer sind extensiv begrünt, schließlich sieht man sie von den umgebenden Bergen aus.

Sie zeigen, dass auch die letzte Hürde – die Umsetzung innerhalb der Kostenobergrenze – souverän gemeistert wurde. „Es wird immer schwieriger, das zu stemmen“, so Christoph Riml, Bauleiter der Frieden, „wir müssen ständig Varianten erstellen.“ Die Anlage hat Passivhausstandard, Grundwasserwärmepumpe, kontrollierte Lüftung. Auch das wird gefördert, ohne rigorose Kostenkontrolle läuft nichts.

Die Architekten hatten die künstlerische Oberleitung und die Planung der Leitdetails inne. Das ist entscheidend, um mit geringstem Qualitätsverlust einzusparen. Von Anfang an gab es nur zwei Fensterformate, aber alle raumhoch. Einmal 90 Zentimeter schmal, französisch, für Schlaf- und Kinderzimmer, einmal drei Meter breit für die Wohnküchen. Aus Kostengründen sind es keine Holz-Aluminium-Fenster mehr, der günstigeren Kunststoff-Alternative sieht man mit dunklen, eingeputzten Rahmen ihr Material nun gar nicht an. Ausgeschrieben war beides.

Spielerisch-mediterrane Anmutung

Die Stiege in der Mitte hat Oberlicht, Wohnungen am Eck sind von zwei Seiten belichtet, fast jede mit zwei Balkonen, gesamt fast 25 Prozent der Wohnfläche. Die Grundrisse sind sehr gut geteilt und ausgestattet: Eichenstabparkett, großformatige, weiße Fliesen in den Bädern. Dafür kommen die Tiefgarage mit Sichtbeton und die Balkongeländer und Fahrradständer mit verzinktem Stahl aus. Keine Mehrkosten für Anstriche. Die Balkonplattformen aus Beton sind auf einer Seite zur Brüstung hochgeknickt: Das schafft Sicht- und Windschutz und verbessert die Statik. Vor allem ist es schön. Wie die Flugdächer und Fenster, die nicht strikt übereinander, sondern gegeneinander versetzt sind. Das gibt der Anlage etwas Spielerisches, sie wirkt fast mediterran und hat eine freundliche Ausstrahlung. Das ist nicht hoch genug zu bewerten.

Die Erdgeschoßeinheiten verfügen über Eigengärten, in der 99-Quadratmeter-Wohnung über der Tiefgarageneinfahrt lebt Familie Gartner, 1390 Euro brutto kostet die Wohnung im Monat, nur Strom kommt noch dazu. Die Familie schätzt sehr, dass die Zimmer ihrer Kinder Leon und Julia französische Fenster auf die Terrasse haben. „Wir wollten immer, dass unsere Kinder selbstständig nach draußen gehen können. Wir lieben diese Wohnung!“, so Steffi Gartner. Vom Esszimmer sieht man das Kitzbüheler Horn. Und die Kinder. Die Einreichplanung für das nächste Haus ist schon in Arbeit.

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